Europäischer Mufflon
Die geschwungenen Hörner sind bei den Muffelwiddern besonders markant. Bildrechte: picture alliance / Markus C. Hurek | Markus C. Hurek

Vom Aussterben bedroht Wie Wolf und Luchs das Muffelwild im Harz bedrohen

11. Dezember 2022, 12:20 Uhr

Der Bär, der Elch, der Auerhahn – sie alle lebten einst im Harz. Jetzt droht in der Region die nächste Art auszusterben: das Muffelwild. Zur Wendezeit gab es in der Region noch rund 2500 dieser Wildschafe, heute dürften es nicht mal mehr ein Fünftel davon sein. Auf Spurensuche mit einem Jäger, der sein Leben den Mufflons gewidmet hat.

Daniel Tautz vor einer grauen Wand
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Das Laub raschelt unter den Stiefeln, als Holger Piegert den Pfad in Richtung Bodetal einschlägt. Zielstrebig läuft der Jäger den Hang hinab, das Fernglas um seinen Hals schwingt im Takt der Schritte. Immer wieder blickt er vor sich auf den Waldboden, dreht sich nach rechts, dreht sich nach links. Piegert ist auf Spurensuche.

"Das ist so das Gelände, das die Muffel auch sehr gern haben", sagt Piegert und zeigt nach oben. "Wo alte Buchen stehen, die Bucheckern drunter liegen und auch ein bisschen Unterwuchs da ist." Die Buche, von der der Jäger hier spricht, steht nur wenige Meter entfernt. Sie ist einer der wenigen Bäume, die er hier gerade ausmachen kann, denn das ganze Tal hängt voller dichtem Nebel.

Holger Piegert klettert die ersten Stufen auf den hölzernen Hochsitz, rutscht kurz auf den vereisten Streben aus und fängt sich wieder. Oben angekommen, lässt er den Blick aus dem Ausguck schweifen. "Hier ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß. Tagsüber befinden sich die Mufflons meistens in den Steilhängen und sie kommen abends in der Dämmerung hier hoch in die alten Buchenwälder, um nach Nahrung zu suchen." Piegert ist Kreisjägermeister vom Landkreis Harz und kennt das Revier gut.

Dort, wohin der Jäger gerade blickt, liegt eigentlich das bewaldete Bodetal. Heute sieht er nur dichten Nebel und beim besten Willen kein Muffelwild. Zurück am Boden, ganz in der Nähe des Hochsitzes findet er dann aber doch eine Spur: An einer Stelle ist das Laub und der matschige Boden zertrampelt. Piegert erkennt Mufflonabdrücke und den kugelförmigen Kot der Wildschafe.

Fast 120 Jahre Muffelwild im Harz

Bessere Chancen für eine Muffelbeobachtung hat man in jedem Falle im Schloss Ballenstedt. Hier steht das besonders stattliche Exemplar eines Muffelwidders mit den markant geschwungenen Hörnern; ausgestopft zwar, dafür leicht zugänglich im Eingangsbereich der Ausstellung zum Thema Jagd, Forst und Natur. Auch die Geschichte der Mufflons spielt hier eine große Rolle. Sie leben schließlich seit über einem Jahrhundert im Harz.

Angesiedelt wurden sie im Jahr 1906 vom Hamburger Kaufmann und Naturschützer Oscar Louis Tesdorpf, um die artenverarmte Natur etwas aufzufrischen. Tesdorpf holte die ersten Mufflons von Korsika und Sardinien in den Harz, 28 Tiere wurden in die freie Wildbahn entlassen und vermehrten sich über die Zeit. "Diese Population hier im Ostharz entwickelte sich zu der bedeutendsten in Deutschland überhaupt", sagt Holger Piegert. "Wir hatten zu unseren besten Zeiten, also etwa um die Wende, 2500 Stück in freier Wildbahn."

Kehrtwende durch Rückkehr der Großraubtiere

Das ist jetzt aber 30 Jahre her und in denen ist viel passiert. Das weiß auch Wolf Last, der Geschäftsführer vom Landesjagdverband Sachsen-Anhalt. Er schätzt die heutige Zahl der Muffel im Harz auf 300 bis 400 Stück. "Die Entwicklung der Population hier geht steil nach unten", sagt Last. 

So in fünf bis zehn Jahren wird es hier kein Muffelwild mehr geben.

Wolf Last Geschäftsführer des Landesjagdverbands Sachsen-Anhalt

Dafür sieht er vor allem zwei Gründe: Erst wurde im Jahr 2000 der Luchs im Harz wieder eingeführt – und der frisst eben sehr gern Muffelwild. "Der Luchs ist aber wahrscheinlich das Raubtier, mit dem das Mufflon langfristig leben könnte", sagt Last. "Man könnte da durch ein gewisses Management eine Koexistenz erreichen." Doch dann sei von Osten und Norden auch noch der Wolf zurückgekommen. Und beide Großraubtiere seien zu viel für den Mufflon. In der Börde und der Altmark seien so bereits ganze Populationen von Muffelwild verschwunden.

Für unsere Region ist das Muffelwild zum Kulturgut geworden.

Holger Piegert Kreisjägermeister
Muffelwild mit braunem Fell wird durch einen Zaun hindurch von einer Hand am Maul gestreichelt
Im Tierpark Hexentanzplatz kann man dem
Muffelwild ganz nah kommen.
Bildrechte: MDR/Wolf Last

30 Autominuten später stehen Kreisjägermeister Holger Piegert und Wolf Last vom Landesjagdverband gemeinsam draußen im Nebel. Aus kleinen, weißen Tüten fischen sie kugelweise Trockenfutter und halten es durch die Maschen eines Zauns.

Hier im Tierpark Hexentanzplatz wird es auch dann noch Muffelwild geben, wenn es die freilebende Population dahingerafft haben sollte. Für Holger Piegert ist das kein großer Trost. Seine Diplomarbeit, seine Promotion, sein Arbeitsleben – alles drehte sich ums Muffelwild. Das brachte ihm unter anderem den Spitznamen "Muffeldoktor" ein.

"Für unsere Region ist das Muffelwild zum Kulturgut geworden", Piegert. "Die Muffel haben einen ganz großen Vorteil im Gegensatz zu unseren Hirschartigen: Sie sind tagaktiv und damit auch für Touristen erlebbar. Wir haben über viele, viele Jahre mit den Mufflons auch geworben für die Region. Und das wird uns fehlen, wenn es wirklich zu Ende geht."

Holger Piegert und der Landesjagdverband fordern deshalb, auch Wölfe reguliert jagen zu dürfen. Die gibt es übrigens auch im Tierpark, nur ein paar Gehege weiter. Aber hier brauchen die Mufflons keine Angst vor ihnen zu haben.

MDR (Daniel Tautz, Julia Heundorf)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 09. Dezember 2022 | 19:00 Uhr

12 Kommentare

nasowasaberauch am 12.12.2022

Der Wolf gehört in das Jagdrecht, da kann ich mich nur wiederholen. Ob nun Nutztierhaltung oder Muffelwild, Isegrim muss in die Schranken gewiesen und in seiner Population beschränkt werden. Alle haben das gleiche Recht geschützt zu werden, nicht nur der Wolf.

Holger_01 am 12.12.2022

"Der Bär, der Elch, der Auerhahn – sie alle lebten einst im Harz" und der Wolf und der Luchs muss noch ergänzt werden. Beim Elch bin ich mir allerdings nicht sicher. Aber wer sie ausgerottet hat, da bin ich mir ziemlich sicher - der Jäger. Wenn jetzt der Wolf die Mufflons frisst, ist das der Lauf der Ding.

Senta Tangerstedt am 11.12.2022

Da sieht man doch wieder, was für obsolete Vereine die Jagdverbände sind. Nicht heimische Arten künstlich anzusiedeln, um "die artenverarmte Natur etwas aufzufrischen", vielmehr natürlich um diese um jagdbare Arten mit schicken Trophäen zu erweitern, ist sowas von gestern und wird auch als Faunenverfälschung bezeichnet. Gleiches wurde übrigens auch mit Waschbär und Nutria praktiziert, die heute als invasive Arten gelten, wodurch die Jäger aber wiederum ihre fragwürdige Daseinsberechtigung ableiten. Muffel kommen ursprünglich aus felsigen Gegenden von Sardinien und Korsika und vertragen den im Artikel angesprochenen nord- und mitteldeutschen Matsch außerordentlich schlecht. Übelste schmerzhafte Klauenkrankheiten sind die Folge ("Moderhinke"), da ist das Erlösen vom Leid durch Luchs und Wolf noch tierfreundlich. Wer Faunenvefälschung betreibt, sollte eigentlich nicht mehr den Titel "anerkannter Naturschutzverband" tragen sollen.

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