Problemfall Innenstadt Magdeburg: Der "Hassel" soll leben

23. November 2020, 09:31 Uhr

Stadtzentren stecken in der Krise. Dabei ist ihre Bedeutung für Städte immens. Auch Magdeburgs Ausgehviertel um den Hasselbachplatz hat Probleme. Trotz größter Anstrengungen von Gewerbetreibenden und vielen Ideen ist die Situation angespannt. Nun hat die Stadt zum zweiten Mal eine "Hasselmanagerin" angestellt. Reicht das?

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Es ist nicht leicht für eine Stadt, wenn die Innenstadt leidet. Magdeburg weiß das nur zu gut. Jetzt, in Zeiten der Corona-Pandemie, einmal mehr. Zu vielen Tageszeiten wirkt die Stadt wie ausgestorben – auch der sonst so belebte Hasselbachplatz scheint derzeit oft leer. Strenge Auflagen machen den vielen Bars, Clubs und Restaurants am "Hassel" zu schaffen.

Trotz der schweren Zeiten weigern sich die meisten von ihnen, aufzugeben. Von außen ist nicht immer sichtbar, dass hinter vielen Eingangstüren umgebaut wird. Viele Gastronomen nutzen die Coronazeit, um etwas Neues auszuprobieren, wenigstens Essen zum Mitnehmen anzubieten. Spürbar ist: Es geht längst nicht mehr nur ums wirtschaftliche Überleben. Es geht auch um den Kiez.

Doch viele sind frustriert. Weil trotzdem Kunden wegbleiben. Weil sie finden, dass in der Öffentlichkeit ein schlechtes Bild gezeichnet wird. Weil all die Mühe manchmal einfach keine Früchte trägt.

Es wäre schön, wenn hier nicht alles schlecht geredet wird, sondern mehr gezeigt wird, was der Platz bieten kann. Aber natürlich ist es gerade sehr hart, gerade mit dem zweiten Lockdown.

Mariya Shapochka, Barbetreiberin am Hasselbachplatz

"Städte sollten alles dafür tun, um ihre Zentren lebendig zu halten"

Mit dieser Situation, sagt Urbanistikforscher Frank Eckardt, steht der "Hassel" nicht alleine da. Weltweit hätten Städte Probleme, ihre Zentren lebendig zu halten. Und das schon vor Corona. Eckardt nennt als Gründe dafür den Onlinehandel und fehlende Aufenthaltsqualität.

Blick über den Hasselbachplatz mit seinen kreuzenden Straßenbahnschienen hinein in die Sternstraße.
Trotz riesiger Bemühungen der Läden und Gastronomen haben viele Innenstädte und Ausgehviertel nicht erst seit Corona mit Problemen zu kämpfen. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Sind Stadtzentren überhaupt wichtig, wenn die Einwohner sie nur noch wenig nachfragen? Ja, sagt Frank Eckardt, denn Stadtzentren seien Wirtschaftsfaktor und ein Ort, um sich begegnen. Außerdem sorgten sie für kulturelles Angebot. Unter einem toten Stadtzentrum leide die ganze Stadt. Deshalb sollten Städte alles tun, was möglich ist, um das Zentrum zu erhalten. Dafür sollte sich die Stadt Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung anhören und diese versuchen, umzusetzen.

Das Projekt "Dialog Zukunft Innenstadt"

Magdeburg ist derzeit mit den Einwohnern im Gespräch darüber, wie die Innenstadt künftig gestaltet werden soll. Unter dem Motto "Dialog Zukunft Innenstadt" läuft schon seit 2019 ein Projekt, bei dem alle Magdeburger mitmachen konnten. Zentrale Fragen waren:

  • Wo ist die Mitte?
  • Was macht die Innenstadt besonders?
  • Wo gibt es Handlungsbedarf?
  • Wie sieht unsere Innenstadt der Zukunft aus?


Die Antworten und Ideen werden derzeit ausgewertet.

Die Stadt hatte in diesem Jahr außerdem versucht, mit dem Projekt "Freiraumlabor" etwas Neues auszuprobieren. 150.000 Euro wurden dafür ausgegeben, um den Nordabschnitt des Breiten Weges zu beleben. Das Projekt wurde allerdings wenig angenommen und soll auch nicht wiederholt werden.

"Hassel": Image des Viertels kränkelt

Ein Teil der Innenstadt ist der Hasselbachplatz, der eine besondere Rolle einnimmt. Dem einstigen Ausgehviertel der Stadt blieben zuletzt zunehmend Kunden und Feierwillige weg. Viele gaben an, sie störten sich an der Atmosphäre. Besonders diskutiert: Die vielen Spätis und alkohltrinkenden Jugendlichen auf der Straße. Es sei laut und dreckig geworden, sagen einige, abends wirke die Stimmung manchmal bedrohlich oder aggressiv.

Die Statistiken der Polizei scheinen den subjektiven Eindruck nicht zu bestätigen. Trotzdem ist die Präsenz von Ordnungsamt und Polizei durch eine neue Stadtwache erhöht worden. Laut Frank Eckardt sind die Gründe, warum Ausgehverhalten sich ändert, ohnehin vielfältig und nicht an einem einzelnen Grund auszumachen. Trotzdem ist ein kränkelndes Image für einen Platz wie den "Hassel" ein Problem.

Hasselbachmanagement soll Image-Problem lösen

Die Stadt Magdeburg hatte Anfang 2020 deshalb für den Hasselbachplatz extra die Stelle des Hasselbachmanagements geschaffen und investiert jährlich immerhin 55.000 Euro in diesen Posten. Aufgabe des Hasselbachmanagements ist es, Kneiper, Laden- und Hausbesitzer zu vernetzen und Imagearbeit zu leisten. Dazu gehört viel Kommunikation: zuhören, Bedürfnisse bündeln, Konzepte ausarbeiten sowie zwischen Stadt, Anwohnern und Gewerbetreibenden vermitteln.

Die erste Hasselmanagerin, Alena Hertrich, warf bereits nach wenigen Monaten das Handtuch, obwohl sie vielversprechend gestartet war. Erste Projekte hatten begonnen. Sie ging zu früh, um wirklich sagen zu können, ob ihre Konzepte aufgegangen wären. Über die Gründe ihres Abgangs schweigt sie bisher. Stadt und Gewerbetreibende bedauern ihren Weggang. Immer wieder hatten Gerüchte über interne Kommunikationsprobleme und geplatzte Konzepte die Runde gemacht. Aber letztlich ist niemand bereit, öffentlich Genaueres sagen.

Neue Managerin: Weniger Verkehr am "Hassel"

Die neue Hasselmanagerin Marianne Tritz beginnt ihren Job am ersten Dezember. Sie wirkt hochmotiviert, bezeichnet sich als geschult in Kommunikation und Umgang mit Menschen, und hat sowohl kurzfristige als auch langfristige Pläne für den Hassel. Neben einer Eventreihe will sie gemeinsam mit allen Ansässigen Konzepte entwickeln, die funktionieren können. Damit will sie dafür sorgen, dass der "Hassel" wieder das Gesicht der Stadt wird.

Langfristig überlegt sie, ob für den "Hassel" eine Verkehrsumleitung infrage kommt. Weniger Verkehrsknotenpunkt, mehr Ausgehviertel könne ein Konzept sein, das dem "Hassel" gut tut, meint sie. Vorbilder dazu gebe es in anderen Großstädten. Als größte Herausforderung sieht sie, die verschiedenen Positionen unter einen Hut zu bekommen und die Menschen zu Veränderungen zu motivieren. Dazu will sie jetzt netzwerken und nach Möglichkeit alle Beteiligten ins Boot holen.

Neues Zentrum für Dialog und Vielfalt

Anfang 2021 zieht die neu gegründete Initiative "Platzmachen" in die Räume, in denen bisher das Café Central zu Hause war. Das ehemalige Café Central soll neben einem Aufenthaltsraum mit Kicker und Bar zu einem Zentrum für Stadtgestaltung, Kunst und Kultur, politische Bildungs- und Netzwerkarbeit, sowie Anlaufstelle und Beratungsangebot werden. Geplant sind neben dem Normalbetrieb unter anderem Workshops, Jamsessions, Beratungsangebote und Austauschforen. Dabei soll auch ein interkulturelles Verständnis gefördert werden.

Für mich persönlich ist der "Hassel" urbanes Zentrum der Stadt. Hier treffen alle aufeinander. Das macht den "Hassel" aus. Die dabei entstehenden Konflikte müssen nicht negativ sein.

Lea Russell, Mitbegründerin der Initiative "Platzmachen"

So soll ein Angebot für alle entstehen, unabhängig vom Geldbeutel. Es sei wichtig, hierbei nicht nur auf wirtschaftliche Aspekte zu achten. Im Gegenteil: Gentrifizierung sei eher eine Gefahr für den "Hassel", so die Initiative "Platzmachen". Finanziert werden soll das Projekt durch Spendengelder, Fördermittel und Einnahmen der Hausbar, die von Besuchern genutzt werden kann.

Ich denke, Menschen, die sowieso schon häufig von Benachteiligung betroffen sind, wie etwa Geflüchtete oder Wohnungslose, einfach vom Platz zu verdrängen ist nicht die Lösung.

Tilman Kloss, Mitbegründer der Initiative "Platzmachen".

Fehlt der Stadt ein klares Konzept?

Der ein oder andere Magdeburger mag die Pläne von "Platzmachen" unrealistisch finden. Die neue Hasselmanagerin jedenfalls zeigt sich sehr interessiert an den Ideen der Gruppe und möchte nach eigener Aussage schnellstmöglich mit ihr in Kontakt treten. Auch Mariya Shapochka von der Bar "Kartell" am Hasselbachplatz und Mitglied der Interessensgemeinschaft "Hassel" begrüßt die Pläne der neuen Initiative. Am "Hassel" gelte es ohnehin, zusammenzuhalten, findet sie.

Shapochka sagt, es sei schade, dass so viel Negatives über den Platz berichtet werde, denn es gebe so viele gute Ideen. Menschen würden gute Angebote schaffen. Um alles am "Hassel" besser bekannt zu machen, fehle es der Stadt an einem klaren Konzept, was der "Hassel" denn sein solle, vermutet sie. Von der Stadt kämen widersprüchliche Aussagen, wie der Platz genutzt werden sollte.

Mal sagen sie: 'Bänke abbauen', dann 'Bänke aufbauen und alles begrünen. Einmal: 'Den Hassel als Verkehrsknotenpunkt nutzen', dann 'Den Hassel als Ausgehviertel gestalten.' Da erkennt man keine klare Entscheidung der Stadt, da besteht keine Einigkeit, was der Platz am Ende sein soll.

Mariya Shapochka von der Bar "Kartell" am Hasselbachplatz und Mitglied der Interessensgemeinschaft Hassel

Belastung der Läden durch Corona

Denn eigentlich, sagt Shapochka, seien genug Möglichkeiten da und es gebe positive Entwicklungen. Neue Läden siedelten sich an, langsam entstehe ein größeres Angebot für Familien. Die Läden hätten während Corona Innovationen geschaffen und ihr Angebot entwickelt.

Corona sei aber eine extreme Belastung für viele: "Gerade ist es wirklich sehr, sehr hart, jetzt im zweiten Lockdown. Manche Läden werden das vielleicht nicht überleben. Aber es kommen auch neue Läden und Initiativen hierher", sagt Shapochka.

"Das Schwierigste wird sein, alles unter einen Hut zu bekommen"

Dass die Stadt die Hasselmanagerin zwei weitere Jahre bezahlen will, findet Shapochka gut. Es sei ein positives Signal, dass die Stadt überhaupt Geld ausgebe und Interesse am "Hassel" zeige. Ideen, die dort entstünden, müssten aber auch umgesetzt werden. "Das Schwierigste wird es sein, alles unter einen Hut zu bekommen", meint Shapochka. Denn es gebe unterschiedliche Interessen: Die einen kämen tagsüber, die anderen nachts. Hinzu kämen die unterschiedlichen Bedürfnisse von Betreibern und Anwohnern.

Einen gemeinsamen Nenner gibt es aber auf jeden Fall. Denn egal, wer für dieses Interview befragt wurde, alle waren sich einig: Der "Hassel" soll leben. Denn ohne ihn würde Magdeburg etwas Entscheidendes fehlen.

Dieser Artikel ist Teil einer Themenreihe. In den nächsten Wochen und Monaten werden wir uns in weiteren Recherchen immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Hasselbachplatz und der Stadtentwicklung beschäftigen. Dazu werden wir unter anderem mit Gastronomen über ihre Pläne für den "Hassel" sprechen, die Arbeit der Hasselmanagerin weiter verfolgen und über die geschichtliche Bedeutung des "Hassels" (für verschiedene Generationen) nachforschen.

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Leonard Schubert arbeitet seit Februar 2020 in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Seine Interessensschwerpunkte sind Politik, Umwelt und Gesellschaft. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er beim Charles Coleman Verlag, für das Outdoormagazin Walden und beim ZDF.

Nebenher arbeitet er an seinem Masterabschluss in Friedens- und Konfliktforschung. Über den Umweg Leipzig kam der gebürtige Kölner 2016 nach Magdeburg, wo er besonders gern im Stadtpark unterwegs ist. In seiner Freizeit steht er mit großer Leidenschaft auf den Poetryslambühnen Sachsen-Anhalts oder sitzt mit einem Eisbärbier am Lagerfeuer, irgendwo in Skandinavien.

Quelle: MDR/ls

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 01. Dezember 2020 | 09:30 Uhr

4 Kommentare

ossiradler am 24.11.2020

Das Kind ist bereits in den Hasselbachbrunnen gefallen.
Ich wüsche der neuen Managerin viel Glück.
Aber man doktert nur an Syntomen herum, die Ursache ist die Ghettobildung.
Es bildet sich eine Parallelgesellschaft und eine no go area. So wie in vielen Westdeutschen Städten bereits geschehen.
Nicht alle deutschen Mitbürger fühlen sich dann an diesem Ort wohl.
Die übrigen Multi-Kulti-Liebhaber können dann dort einziehen.

Emil Kaminsky am 23.11.2020

Jeder weiß wer Schuld an dieser Situation ist, aber keiner traut es sich zu sagen und wer es nur andeutet wird gebrandmarkt. Lieber wird ein lustiger Laden aufgemacht, der von Almosen lebt und für Toleranz wirbt.
Letztendlich wird der Hassel zu einem Kriminalitätshotspot und einer No Go Area werden und diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten.

Britta.Weber am 22.11.2020

Als alte Magdeburgerin bin ich früher oft am Hassel ausgegangen, meist auch mit Freundinnen. Heute ist das nicht mehr so. Ich fühle mich als Frau dort abends nicht sicher und das Klientel und die Athmosphäre sagen mir nicht zu, um dort einen angenehmen ungestörten Abend zu verbringen. Ähnliches haben mit auch Bekannte gesagt. Da diese Probleme im Artikel nicht einmal angesprochen wurden, wird sich nichts ändern, Hasselmanagerin hin oder her.

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