Pflegeversicherung "Das System muss weg": Pflegebranche in Sachsen-Anhalt fordert Reform
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29. Mai 2024, 17:27 Uhr
Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt "explosionsartig" – mit dieser Einschätzung hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach am Montag für bundesweite Schlagzeilen gesorgt. In Sachsen-Anhalt zeigen sich jedoch noch weitere Probleme, die die Situation in Pflegeeinrichtungen zusätzlich verschärfen – und für die es bisher wenige Lösungen gibt.
- Die Pflegebranche in Sachsen-Anhalt hält eine Pflegereform für dringend notwendig. Pflegebedürftige müssten immer höhere Eigenbeiträge zahlen, um die steigenden Kosten aufzufangen, so das Deutsche Rote Kreuz.
- Der Zuwachs von Pflegebedürftigen mit Anspruch auf Unterstützung überfordert auch die zuständigen Ämter.
- Der Personalmangel in der Pflege wird sich schon bald noch weiter verschärfen. Für 2029 wird ein Kipppunkt erwartet.
"Dieses System muss weg, unbedingt. Es ist dramatisch, was da läuft." Zu dieser Einschätzung kommt Carlhans Uhle, Landesgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Sachsen-Anhalt. Das DRK betreibt in Sachsen-Anhalt 41 stationäre Pflegeeinrichtungen sowie 115 Stationen für ambulante Pflege und ist damit der größte Anbieter von Altenpflege im Land. Nach aktuellen Zahlen sind in Sachsen-Anhalt rund 170.000 Menschen auf Pflege angewiesen. Die müssen einen Eigenbeitrag zahlen, der die steigenden Kosten – etwa durch Lohnerhöhungen des Pflegepersonals – auffangen soll.
Pflege: DRK wirft Bundespolitik Versagen vor
Für Uhle ist das ein Problem, das die Bundespolitik verursacht hat: "Der Bundesarbeitsminister hat die Lohnerhöhung über Jahre gepusht. Er hat aber nie mit seinen Kabinettskollegen darüber geredet, dass man die Pflegeversicherung entsprechend anpassen muss."
"Explosionsartiger Anstieg" der Pflegebedürftigen
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte am Montag vor einem explosionsartigen Anstieg der Pflegefälle gewarnt. Man habe 2023 mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen gerechnet. Tatsächlich betrage das Plus aber über 360.000. Woran das liege, wisse man noch nicht genau, so Lauterbach. Es gebe nun aber erstmals zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen seien: Babyboomer und deren Eltern.
Für eine Pflegereform noch vor der nächsten Bundestagswahl sieht Lauterbach keine Chance mehr.
Altersarmut mit Ansage
Bei Pflegebeiträgen von bis zu 2.000 Euro pro Monat bleibt für viele Betroffene letztendlich nur der Gang zu Sozialamt. Genau das sollte eigentlich mit der Pflegeversicherung vermieden werden. Doch das System ist in Schieflage geraten. Das bestätigt Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V..
Der Verband vertritt in Sachsen-Anhalt Pflegeeinrichtungen und mobile Dienste. Auch er sieht politisches Versagen: "Die Preise sind davongelaufen und die Leistungen der Pflegeversicherung wurden eingefroren." Wer Beiträge erhöht, der sorgt immer für öffentliche Debatten, das gilt auch für die Pflege.
Doch die Folgen seien dramatisch, so Meurer: "Es hat sich mittlerweile derart zugespitzt, dass eine gewisse Anzahl von pflegebedürftigen Menschen nicht mehr so versorgt werden kann, wie es eigentlich notwendig wäre." Hinzu komme eine wirtschaftliche Schieflage vieler Heime, so dass es vermehrt Insolvenzen gebe.
Probleme der Pflegebranche: Sachsen-Anhalt besonders betroffen
Der Zuwachs von Pflegebedürftigen mit Anspruch auf Unterstützung überfordert zudem die zuständigen Ämter. In Sachsen-Anhalt sei man nicht darauf vorbereitet, von Jahr zu Jahr mehr Anträge zu bearbeiten, so DRK-Geschäftsführer Uhle: "Das bedeutet, dass auch die Altenhilfeeinrichtungen dramatisch auf ihr Geld warten. Und dann schicken wir dem einen Minister einen Brief und dann einem anderen. Und alle antworten dann: Das ist nicht mein Thema."
Aber auch bei der Finanzierung der Ausbildung gibt es Probleme. Seit dem letzten Jahr zahlen alle Einrichtungen in einen zentralen Topf ein, den die Landesregierung verwaltet. "Im letzten Jahr haben alle brav eingezahlt. Jetzt liegt das Geld aber irgendwo beim Land", sagt Uhle. "Aber das Land zahlt das Geld nicht aus, weil es das nicht hinkriegt. Und das macht pro mittlerem Altenheim so um die 100.000 Euro aus." Laut Uhle sind das Gelder, die im laufenden Betrieb fehlen.
Sonderfall mobile Dienste
Die teuerste Form der Pflege ist die stationäre Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung, weswegen es das erklärte Ziel ist, Menschen so lange wie möglich ihren eigenen vier Wänden zu versorgen. Das allerdings ist in einem Flächenland wie Sachsen-Anhalt eine besondere Herausforderung. Und gerade für Sachsen-Anhalts Pflegedienste ergeben sich besondere Probleme, erklärt Carlhans Uhle: "Die Fahrtzeiten werden ja faktisch nicht vergütet. Hinzu kommt, dass spezielle Leistungen, wie etwa die chronische Wundversorgung, nicht besonders vergütet werden."
Zudem gibt es derzeit einen Streit zwischen den Anbietern der mobilen Pflege und der AOK, die ja für ihre Versicherten die Leistungen bezahlt. Das Verhalten der Krankenkasse habe dazu geführt, dass auch zur Jahresmitte noch kein Vergütungsabschluss für die privaten Anbieter ambulanter Pflege in Sachsen-Anhalt vorliege, so der zuständige Verband in einer Pressemitteilung. Sachsen-Anhalts Sozialministerium wird aufgefordert, entsprechende Verhandlungen auf den Weg zu bringen.
Kipppunkt in fünf Jahren: Zahl der Pflegekräfte wird sinken
"So viele Pflegekräfte wie jetzt werden wir nie wieder haben", sagt Bernd Meurer vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste. Dem deutlichen Anstieg von Pflegebedürftigen steht ein ebenso deutlicher Rückgang vom Pflegepersonal gegenüber. Die Zahlen seien bekannt und stellten für Sachsen-Anhalt eine besondere Herausforderung dar, sagt DRK-Geschäftsführer Uhle: "Hier erwarten wir 2029 den Kipppunkt. Dann werden mehr Leute in den Ruhestand gehen, als an Nachwuchs zur Verfügung steht."
Den Effekt kennt man ja bereits aus Sachsen-Anhalts Schulen und man ahnt, dass sich auch im Pflegebereich der Personalmangel nicht einfach beheben lassen wird.
MDR (Uli Wittstock, Susanne Liermann, Kalina Bunk)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 29. Mai 2024 | 07:40 Uhr
Bella - 1999 vor 28 Wochen
Gesünderen Lebensstil gut und schön,aber die Lebensmittel sind voller Chemie und richtig gesunde Lebensmittel gibt's gar nicht mehr. Das ist auch noch gestattet vom Gesetzgeber, krank. Bewegung stimmt
Autofahren macht dick und unbeweglich und führt zur Faulheit. Die Regierungen in den letzten Jahrzehnten haben die Kontrolle über Land und Leute verloren,was denen auch nichts ausmacht.
salzbrot vor 28 Wochen
Katastrophe und politisches Versagen auf bundes- und Landesebene. Aber auch die Menschen sollten sich einen gefallen tun, und wenigstens künftig einen gesünderen Lebensstil führen mit viel Bewegung, wenig essen und Autofahren und freundlich sein