Eine Bewohnerin eines Pflegeheims wird von einer Pflegerin einen Gang entlang geschoben
Eine Pflegerin schiebt eine Seniorin im Rollstuhl – immer mehr Senioren warten währenddessen noch auf einen Platz im Pflegeheim. Bildrechte: picture alliance/dpa | Marijan Murat

Gesundheitswesen Mitteldeutsche Pflegeverbände alarmiert wegen hoher Zahl von Pflegefällen

28. Mai 2024, 05:00 Uhr

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zufolge hätte die Zahl der Pflegebedürftigen im vergangenem Jahr nur um 50.000 wachsen sollen. Tatsächlich ist sie aber um mehr als das Siebenfache gestiegen. Britta Richter, Referentin für den Fachbereich Pflege beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Thüringen, sagte MDR AKTUELL, die Bevölkerung werde älter. Aber auch die Veränderung von Richtlinien zur Einschätzung habe zu mehr Pflegebedürftigen geführt.

Jessica Brautzsch
Bildrechte: MDR SPUTNIK

Wieso die Zahl der Pflegebedürftigen 2023 siebenmal höher liegt als erwartet, konnte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorerst nicht ganz erklären. Frieder Weigmann, Sprecher der Diakonie Mitteldeutschland, wundert sich, über die Verwunderung Lauterbachs. "Die Fachverbände, die Pflegeverbände, die großen Wohlfahrtsverbände warnen seit Jahren davor, dass es diesen starken Aufwuchs geben wird."

Großzügigere Einstufung von Pflegebedürftigkeit macht Überalterung deutlich

Vor allem durch den demografischen Wandel. Die geburtenstarken Jahrgänge nehmen neben den bereits hochbetagten Menschen nun immer häufiger Pflege in Anspruch.

Dass die Zahlen jetzt so in die Höhe geschnellt sind, dürfte aber auch mit der Pflegereform von 2017 zusammenhängen, erklärt Britta Richter, Referentin für den Fachbereich Pflege beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Thüringen: "Die Bevölkerung wird älter. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit und darüber hinaus hat die Veränderung der Begutachtungsrichtlinien dazu geführt, dass mehr Menschen als pflegebedürftig im Sinne der Pflegeversicherung gelten. Oder anders gesagt: im Verhältnis gesehen wäre diese Entwicklung schon vor 2017 offensichtlich gewesen, wenn sie entlang der jetzt bestehenden Gesetzesgrundlage erfasst worden wären."

Das Pflegesystem droht zusammenzubrechen

Wie angespannt die Lage für Pflegebedürftige und Pflegekräfte in Thüringen bereits ist, beschreibt Richter so: "Also bereits heute erhalten Pflegebedürftige auf ihre Anfrage nach einer Versorgung häufig Absagen von ambulanten Pflegediensten, die keine freien Kapazitäten mehr haben. Gleichzeitig werden die Wartelisten der Pflegeheime länger. Es ist schon lange absehbar, dass dies in Zukunft deutlich zunehmen wird. Speziell auch im ländlichen Raum und Mitteldeutschland ist geprägt von ländlichen Raum."

Das System kollabiere zunehmend. Auch Frieder Weigmann von der Diakonie beobachtet das. Denn neben dem Mangel an Pflegekräften leiden Betroffene auch unter den hohen Pflegekosten: "Sie bekommen von der Pflegekasse Geld, um ihre Pflege zu finanzieren, nutzen das aber, um sich Lebensmittel zu kaufen. Wir beobachten also auch schon Ansätze von Verwahrlosung bei einzelnen Betroffenen, weil die sagen, ich habe mit diesem Geld ganz viele verschiedene Dinge vor. Da konkurrieren die Dinge miteinander."

Pflegevollversicherung und ein attraktiverer Beruf als Pfleger könnten helfen

Das könnte eine Pflegevollversicherung, wie sie von Wohlfahrts- und Pflegeverbänden gefordert wird, verhindern, so Weigmann. Auch mehr Kompetenzen für Pflegekräfte könnten die Versorgung verbessern – etwa wenn sie bestimmte Medikamente ohne ärztliche Rücksprache verabreichen dürften.

Das könnte den Pflegeberuf auch attraktiver machen, sagt Michael Junge, Vorsitzender des Pflegerats Sachsen: "Und das würde die Versorgung deutlich verbessern und vor allen Dingen auch vereinfachen. Für die Familien, für die Pflegebedürftigen selber und Pflegende, vor allem auch viel zufriedener ihren Beruf ausüben lassen. Das ist ein wirklich schöner Beruf, der auch wirklich lohnenswertes kam und dass es einfach wichtig ist, Menschen mehr zu gewinnen, die diesen Beruf auch gerne ausüben wollen."

Eine große Pflegereform wird nach Einschätzung von Bundesgesundheitsminister Lauterbach in dieser Legislaturperiode allerdings wohl nicht mehr kommen.

Füße eines Mannes, der im Rollstuhl sitzt 4 min
Bildrechte: imago images / photothek

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 28. Mai 2024 | 06:06 Uhr

26 Kommentare

Eulenspiegel1 vor 8 Wochen

Ich denke man kann es drehen wie man will. Es fehlen einfach die Pflegekräfte. Ausländische Pflegekräfte kann man für Mitteldeutschland vergessen wegen der doch sehr hohen Fremdenfeindlichkeit. Dies erzeugt nun mal eine Stimmung im Land in der diese ausländischen Pflegekräfte nicht wohl frühen würden. Deswegen kommen sie gar nicht erst oder sie sind ganz schnell wieder weg.
Ja das ist eine Situation die nicht die Politiker schaffen.
Pegida lest grüßen !!!

Eulenspiegel1 vor 8 Wochen

Hallo hilflos
Also ihre ersponnene und verallgemeinert Fremdenfeindlichkeit sorgt aber dafür das ausländische Pflegekräfte nur schwer bis gar nicht nach Mitteldeutschland zu bekommen sind. Aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Und genau da liegt de Hase im Pfeffer. Du das wollen solche Typen wie sie nicht wahr haben.

Thommi Tulpe vor 8 Wochen

Man kann auch Patientenverfügungen erlassen, welche genau regeln, was man als Patient in irgendwelchen Fällen der Fälle genau möchte, und was nicht.
Wollen Sie jetzt eine Art Punktesystem schaffen, nach der am Ende entschieden wird, was bei wem gemacht wird? Habe ich zu viel geraucht, zu viel und zu ungesund "gefuttert", bekomme ich keine Herz-OP und kein Spenderorgan. Mache ich Sport, was ja grundsätzlich gesund ist, und breche mir die Knochen, versagt man mir die Hüft- und Knie-OP? So ungefähr?
Sicher ist alles im Leben Rechnerei - bei jedem Menschen. Aber glauben Sie ernsthaft, dass selbst der "normal-gesunde" Mensch so viel an Geld in irgendwelche Kassen zahlen kann, dass das zu seiner eigenen Versorgung reichen würde? Auch "normal-gesunde" Menschen gehen zum Arzt, müssen mal ins Krankenhaus, zur Reha, schlucken mitunter teure Pillen ... Wo läge das Potential, wo unser Gesundheitssystem bei Ihnen persönlich sparen könnte, um nicht "unnütz" Ressourcen zu "verschwenden"?

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