Stadtgeschichte Basteien, Mauern, Zwinger: Bautzen, das sächsische Nürnberg

12. November 2022, 13:06 Uhr

Bautzen besitzt eine außergewöhnliche Silhouette. Was heute in der Altstadt zu romantischen Spaziergängen einlädt, war damals ein hochgerüstetes Abwehrsystem aus Türmen, Basteien und Rondellen. Bis heute kann man viele Reste alter Befestigungen sehen und sogar darauf laufen oder sitzen, sagt Hagen Schulz vom Stadtmuseum Bautzen.

Auf dem Bautzener Kornmarkt durchbricht unweit des Reichenturms ein runder Bogen aus alten Granitbrocken die geometrisch eingelassenen Steinplatten. Bei Wochenmärkten stellen Händler ihre Kisten darauf, im Sommer sitzen Passanten gern darauf mit einem Eis in der Hand. Der Steinbogen ist aber keine architektonische Laune, sondern Überbleibsel einer einst sehr wichtigen Wehranlage.

Dabei handelt es sich um den Rest des ersten Rondells, das im Jahr 1527 vor ein Bautzener Stadttor gesetzt wurde, erklärt Hagen Schulz vom Stadtmuseum. Das Reichentor zu Fuße des Reichenturms genügte damals nicht, um die Stadt zu schützen. Also baute man das Rondell als zusätzlichen Sicherheitsmechanismus. Menschen und Fuhrwerke mussten da durch und vergleichbar mit einem Schleusensystem mehrere Kammern passieren, bis sie in die Stadt gelangten. "Man hat damit eine extreme Barriere gesetzt", so Schulz.

Weitere Tore, wie das Schülertor, erhielten solche Rondelle. Im 19. Jahrhundert waren sie dann unnötige Staufallen für Handel und Gewerbe. Sie wurden abgerissen, damit die Pferdefuhrwerke besser in die Altstadt kamen. Bis 1837 gab es das Rondell am Reichenturm.

Schwer umkämpft

Solche Verkehrsprobleme gab es im Mittelalter und in früher Neuzeit in Bautzen nicht. Vom 14. bis zum 17. Jahrhundert zog man mächtige Verteidigungsbauten hoch, um ungebetene Gäste fernzuhalten. "Kriegerische Ereignisse haben das Leben hier geprägt", erklärt Schulz.

Kriegerische Ereignisse haben das Leben hier geprägt.

Hagen Schulz Museologe im Stadtmuseum Bautzen

So wurde beispielsweise Bautzen in der Zeit des 30-jährigen Kriegs zwischen 1620 und 1639 dreimal schwer zerstört. Zuerst durch die Belagerung durch Kurfürst Johann Georg von Sachsen, dann durch einen großen Stadtbrand , das Feuer legten kaiserliche Truppen, und schließlich durch die kursächsisch-schwedische Doppelbelagerung.

Bautzen wurde dreifach gesichert

In seinen verteidigungsstärksten Zeiten zogen sich drei Mauern um Bautzen: Ein fünf Meter hoher Stadtmauerring schützte die Vorstadt. Wo einst diese äußere Stadtbefestigung verlief, zieht sich noch heute ein grüner Gürtel. Namen wie "Am Stadtwall", "Am Ziegelwall" und "Wallstraße" verweisen auf die einstige Verteidigungsanlage.

Acht Meter Mauer gefolgt von einem Zwingerbereich und einer zehn Meter hohen Mauer mit Wehrgang und Schießscharten umschlossen das Herzstück der Stadt mit der Ortenburg. "Der Zwinger ist dabei ein Raum zwischen zwei Mauersegmenten der inneren Stadtbefestigung", sagt Hagen Schulz.

Der Zwinger ist ein Raum zwischen zwei Mauersegmenten der inneren Stadtbefestigung.

Hagen Schulz Museologe im Stadtmuseum

Diese doppelten Altstadtmauern lassen sich heute noch am Nicolaiturm gut nachvollziehen. Geht man durch das Tor hinaus, kommt man rechts auf einen eingefassten Weg. Links ist die Vormauer, in der Mitte der Zwinger und rechts die nachgelagerte Hauptmauer gewesen, erklärt der 53-Jährige Experte. Und: "Der Zwinger soll es dem Gegner zusätzlich erschweren, in die Stadt hineinzukommen." Befand sich der Gegner in dieser freien Zone, sei er ein gutes Ziel für die Armbrustschützen gewesen. Rechts und links der Stadttore ragten zusätzlich Basteitürme auf, und zwar genau soweit entfernt, dass von hier aus die Schützen am Tor eindringende Feinde treffen konnten.

Denkmale bewahren

Viele Teile der ausgeklügelten Stadtbefestigung Bautzens sind verschwunden, viele aber auch bis heute erhalten. Doch was tun, mit Verteidigungsanlagen, die nicht mehr gebraucht werden? Sie wurden im Laufe der Zeit umgenutzt. Die Gerberbastei ist heute eine Jugendherberge, die Mühlbastei eine Pension, die Röhrscheidtbastei ein Veranstaltungsraum. Dass der Wendische Turm am Finanzamt noch steht, ist übrigens dem Dresdner Baumeister Gottfried Gottfried Semper zu verdanken. Er stieß in Bautzen in den 1840er-Jahren eine denkmalpflegerische Diskussion an.

"Semper hatte den Auftrag erhalten, in Bautzen an der Stelle des Wendischen Turms ein Kasernengebäude zu konzipieren", erzählt Schulz. Während damals die Stadträte und der Bürgermeister den Turm abreißen wollten, setzte sich Semper für seinen Erhalt ein und integrierte ihn in seine Baupläne. "Durch die Bewahrung des Wendischen Turms hat Semper dazu beigetragen, dass ein denkmalpflegerisches Denken in die Köpfe der Entscheidungsträger eingezogen ist." Diese von ihm ausgelöste Debatte klinge bis heute nach, wenn es in Bautzen um den Schutz historischer Bausubstanz geht, betont Schulz.

Vor 200 Jahren Touristen mit Nürnberg-Vergleich gelockt

Die vielen spät-mittelalterlichen und frühen neuzeitlichen Bauten geben der Stadt ein besonderes Flair. "Bautzen ist das sächsisches Nürnberg." Dieser Satz ist nicht mehr geläufig, war aber Slogan einer ersten touristischen Kampagne vor fast 200 Jahren. "Den Begriff hatte man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt, um Touristen anzulocken", berichtet Schulz. Heute spricht man von der Stadt der Türme.

Wer tiefer in die Befestigungsgeschichte Bautzens eintauchen möchte, hat dazu am Sonntag, 13. Novemebr, die Gelegenheit. Bei einer in diesem Jahr einmaligen Schau zeigt der Museologe Hagen Schulz an Plänen, Bildern und Modellen, wie sich Bautzen vom Mittelalter bis zur heutigen Stadt der Türme gewandelt hat.

  • "Türme, Tore und Rondelle – Wissenswertes zu den Bautzener Stadtbefestigungsanlagen", Rundgang im Stadtmuseum Bautzen am 13. November um 15 Uhr (Eintritt: 3,50 €, ermäßigt 2,50 €).

MDR (ama)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 11. November 2022 | 12:30 Uhr

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