Interview Wissenschaftsrechtler: "Klage von Hentschke-Bau ist ein exotisches Phänomen"
Hauptinhalt
19. Januar 2024, 05:00 Uhr
Das Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) an der Uni Leipzig hat sich mit unternehmerischen Engagement für die extreme Rechte in Ostsachsen beschäftigt. Jetzt klagt ein Unternehmer, der in der Publikation genannt wird – zum einem gegen das Recherchekollektiv, zum anderen gegen die Universität. Ist das ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit? MDR SACHSEN hat mit Professor Klaus Gärditz von der Uni Bonn gesprochen, der auf Wissenschaftsrecht spezialisiert ist.
Herr Gärditz, in Sachsen klagt ein Unternehmer gegen eine wissenschaftliche Veröffentlichung. Wie oft kommt so etwas vor?
Dass gegen wissenschaftliche Veröffentlichungen geklagt wird, ist sehr selten. Der einzige Fall, der mir bekannt ist, spielte auch in Sachsen. Das war im Jahr 2016, als der Politologe Steffen Kailitz, der seiner Zeit auch als Sachverständiger in dem NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht tätig war, von der NPD verklagt worden ist. Dabei ging es um Äußerungen, dass die NPD organisierte Staatsverbrechen plant. Und da hatte die NPD im Eilverfahren zunächst Erfolg gehabt und zwar vor dem Einzelrichter der Kammer des Landgerichts Jens Maier.
Dieser Richter und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete wurde vom Sächsischen Verfassungsschutz 2020 wegen seiner Äußerungen als Rechtsextremist eingestuft. Er ist ja inzwischen des Dienstes enthoben worden. ...
Ja. Der Fall damals war auch ein Skandal: Ein Richter, der sich vorher schon offen positiv zur NPD geäußert hatte, erließ, ohne auf die Wissenschaftsfreiheit einzugehen, eine einstweilige Verfügung gegen einen Wissenschaftler. Seine Entscheidung im Eilverfahren wurde am Ende vom Landgericht in einer Kammerbesetzung mit drei Richtern auch aufgehoben. Aber weitere Fälle sind mir nicht bekannt, es ist also ein exotisches Phänomen.
Ging es damals auch um eine Publikation?
Steffen Kailitz, der zu politischem Extremismus forscht, hatte auf Grundlage seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen eine Zusammenfassung in der "Zeit" in Form eines Interviews gegeben. Der Wissenschaftskontext war hier unbestritten, weil Herr Kailitz in der "Zeit" schlicht seine Forschungsergebnisse zusammengefasst hatte. Diese hatte er auch bereits als Sachverständiger in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vorgetragen.
Fällt die Analyse des EFBI-Policy Paper unter die Wissenschaftsfreiheit?
Zunächst ist der bloße Umstand, dass Forschende an einer Wissenschaftseinrichtung etwas äußern, nicht ausreichend, um zu sagen, dass hier die Wissenschaftsfreiheit betroffen sein könnte. Damit daraus wissenschaftliche Forschung wird, muss das Paper in ein methodengeleitetes und erkenntnisgerichtetes Projekt eingebunden sein: zum Beispiel in ein Forschungsprojekt, das sich mit politischem Extremismus in Sachsen oder der Verstrickung lokaler Unternehmen beschäftigt. Dann wäre das Wissenschaft.
Das lässt sich aus dem Paper aber nicht herauslesen?
Nein. Darin werden total knapp ein Ergebnis präsentiert und Handlungsempfehlungen abgeleitet. Es liest sich eher wie politischer Aktivismus, dass man Machenschaften aufdeckt und dafür recherchiert hat. Das ist verdienstvoll und mit Sicherheit auch grundrechtlich geschützt, entweder durch Pressefreiheit, Informationsfreiheit oder die politische Meinungsfreiheit.
Nun wird von dem Unternehmen auch die politische Ausrichtung des Else-Frenkel-Brunswik-Institut kritisiert. Ist das für die Forschung ein Problem?
Dass ein Institut einen gewissen Drall hat, schließt dessen Wissenschaftlichkeit nicht aus. Das Entscheidende ist nicht, ob ich eine bestimmte Haltung zu einer Sache habe, sondern ob ich in der Lage bin, mich objektivierend und methodisch diszipliniert mit einer Sache auseinanderzusetzen. Dann genießt mein Vorhaben selbstverständlich Wissenschaftsfreiheit und ist geschützt. Auf die Frage der politischen Ausrichtung kommt es meines Erachtens gar nicht an.
Inwieweit ist das Policy Paper juristisch anfechtbar?
So wie das Policy Paper hier klingt, ist es für mich eher eine journalistische Recherche zu einem ganz konkreten Umfeld. Aber das ist für den Prozess nicht entscheidend. Egal, ob ich mich als Wissenschaftler, Journalist oder aktiver Bürger äußere, vor Gericht wird entscheidend sein, dass diese Äußerung wahrheitsgemäß ist. Man wird bei Verbreitung einer Tatsache keinen Unterlassungsanspruch geltend machen können. Letztlich ist also der Wahrheitsgehalt der Rechercheergebnisse entscheidend. Und auf dieser Grundlage des Dargestellten wäre die Einordnung als rechts oder rechtsextrem ein Werturteil, dass sich der Unternehmer dann auch gefallen lassen müsste.
Das Interview führte Madeleine Arndt.
Redaktionshinweis: Dem Recherchekollektiv wurde vom Landgericht Dresden verboten, die streitgegenständlichen Aussagen weiterhin zu verbreiten.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 19. Januar 2024 | 10:00 Uhr