Katholische Kirche Bischöfe in Dresden: Neuer Expertenrat soll Missbrauchsfälle aufarbeiten helfen

01. März 2023, 19:04 Uhr

In den Verwaltungsbezirken der katholischen Kirche in Deutschland arbeiten zwei Dutzend Kommissionen, die sexuellen Missbrauch und Gewaltanwendung von Geistlichen aufarbeiten sollen. Unabhängig von all diesen Gruppen hatten im Herbst 2022 die Bischöfe beschlossen, die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen neu zu strukturieren. Das Konzept dafür wurde nun in Dresden vorgestellt. Unklar ist, was Betroffene konkret erwarten können und ab wann.

Die Hauptkritik von Betroffenen sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche klang am Mittwoch in Dresden so: "Die Kirche ist nur halbherzig und widerwillig bereit, den sexuellen Missbrauch aufzuarbeiten. Es ist zum Verzweifeln", sagte Hansi-Christiane Merkel. Bis 2020 war sie drei Jahre lang eine Ansprechperson für den Umgang mit Verdachtsfällen und Missbrauchsfällen im Bistum Dresden-Meißen.

Mit Vertretern der Initiative "Aufarbeitung von unten" protestierte sie vor der Deutschen Bischofskonferenz, die vier Tage lang ihre Frühjahrs-Vollversammlung in Dresden abhält. Die Kritiker ärgern sich darüber, dass sich Betroffene melden sollen, Bischöfe mit ihnen sprächen und Protokolle angefertigt würden. "Und was passiert dann? Für die Betroffenen verjährt der Missbrauch nicht. Sie leiden zeitlebens. Das muss wahrgenommen werden", verlangte Merkel.

Es ist zum Verzweifeln.

Hansi-Christiane Merkel Diplom-Sozialpädagogin und Katholikin

Das planen die Zuständigen

Drinnen verkündeten Bischöfe, wie sie die Aufarbeitung von sexuellen Missbrauch und Gewaltanwendungen neu strukturieren wollen. Dabei werde man "immer ausgehen vom Leid der Menschen, die Missbrauch erfahren haben", versprach Bischof Helmut Dieser aus Aachen. Der Schutz vor sexuellem Missbrauch und Gewalt solle effektiv und kontinuierlich verbessert werden mit Richtlinien, Berichten und Checks, ob die eigenen Regeln eingehalten werden.

Ein zusätzlicher Expertenrat soll neu entstehen. Nach Willen der katholischen Bischöfe sollen zehn Experten zusammenarbeiten, davon zwei Betroffene, die anderen acht mit Expertise aus Bereichen wie etwa Kriminalistik, Prozessmanagement oder Psychologie. Möglichst ab dem 1. Januar 2024 solle der Expertenrat arbeiten und regelmäßig "dringliche Empfehlungen" abgeben. Alle schon vorhandenen Gremien (Betroffenenbeirat, eine bischöfliche Fachgruppe, andere Aufarbeitungskommissionen) sollen erhalten und eingebunden werden.

Der Expertenrat soll eigenständig seine Arbeit wahrnehmen und uns unter einen ständigen Beobachtungsdruck und einen beständigen Rechtfertigungsdruck bringen. Was wir nicht tun, wird dort auffallen und sie werden uns sagen, was wir versäumen.

Helmut Dieser Bischof fürs Bistum Aachen, Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz

Ruf nach staatlicher Hilfe

Und wer beruft diesen neuen Expertenrat? Das fragten bei der Pressekonferenz mehrere Journalisten und auch Kirchenkritiker auf der Straße. Auch die Bischöfe hätten sich diese Frage gestellt. Bischof Dieser sagte, man habe mit allen demokratischen Parteien auf Bundesebene gesprochen, ob der Staat einen Expertenrat als eine Art "Wahrheitsgruppe" bestücken oder Experten für die neue Runde empfehlen könnte. "Das wurde nicht bejaht", sagte Bischof Diese und erklärte: "Da schwimmen wir noch etwas." Die Bischöfe seien offen für die Mitarbeit des Staates.

  • Die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals soll laut Bundesregierung nicht allein der Kirche überlassen werden. Was Kirchen eigentlich rechtlich regeln dürfen und was nicht, lesen Sie hier.

Am Rande der katholischen Bischofsvollversammlung in Dresden hatten auch Betroffenengruppen ihre Forderung nach Federführung des Staates bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Kirche bekräftigt. "Wir sehen die Landtage in der Pflicht, in ihrer Verantwortung zu schauen, was sie tun können", sagte der Geschäftsführer des Eckigen Tischs, Matthias Katsch. Man solle nicht erst warten, bis möglicherweise der Bundestag eine Wahrheitskommission einsetze.

Echo in Sachsens Landespolitik

Sachsens Regierungssprecher Ralph Schreiber sagte MDR SACHSEN, der Freistaat werde das Bistum Dresden-Meißen und die Arbeit der Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs mit staatlicher Expertise unterstützen, "soweit die Kommission dies wünscht". Ungefragt werde sich die Landesregierung "nicht in die inneren Angelegenheiten der Kirchen einmischen". Strafrechtliche Verfolgung und Opferentschädigungen erfolgten grundsätzlich auf Grundlage geltender Gesetze. Doch die Aufarbeitung selbst bleibe Kirchenangelegenheit.

Die Aufarbeitung selbst bleibt damit ebenso Angelegenheit der Kirchen wie die Frage nach strukturellen Ursachen und hieraus resultierenden organisatorischen Änderungsbedarfen.

Ralph Schreiber Regierungssprecher des Freistaats Sachsen

Nachfragen von MDR SACHSEN bei den Landtagsfraktionen zeigen ein gemischtes Bild: die katholische Kirche solle den Weg "der konsequenten Aufarbeitung" vorantreiben, erwartet der Beauftragte für Kirchenfragen der CDU-Fraktion, Martin Modschiedler. Er sieht die kirchlichen Institutionen gefragt bei der Anerkennung für die Betroffenen und vor allem bei der juristischen Aufklärung. Die Grünen betonen, dass bei der Aufarbeitung jenseits der Strafverfolgung die Trennung von Kirche und Staat zu beachten sei. Ob die SPD Bestrebungen im Bund "auch im Landtag flankieren" werde, müsse sie erst beraten.

Die AfD will keine "Doppelstrukturen durch den Freistaat Sachsen oder den Sächsischen Landtag", sieht aber politischen Handlungsbedarf, "weil sexueller Missbrauch ein gesamtgesellschaftliches Problem ist". Die Linke gab keinen Kommentar ab.

Betroffene: "Bischöfe wissen doch, was passiert ist"

Auf politische Unterstützung setzt die Betroffenen-Vertreterin und Katholikin Hansi-Christiane Merkel aus dem Landkreis Meißen nicht. "Der Druck auf die Kirche ist schon so lange da. Die Bischöfe wissen doch, was passiert ist." Jetzt gehe es endlich ums Handeln - für die Betroffenen und um künftig Missbrauch zu unterbinden, meinte sie.

MDR (kk/Daniela Kahls)/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 01. März 2023 | 19:00 Uhr

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