Meinung zu Gast - von Annette Binninger, stellvertretende  Chefredakteurin der  Sächsischen Zeitung zum Thema Veränderungen 4 min
Audio: Aus alt mach neu – die Sachsen brauchen mehr Mut zur Veränderung, mahnt unsere Gastautorin. Bildrechte: David Pinzer Fotografie / IMAGO/Arnulf Hettrich / MDR

"Meinung zu Gast" Die Verkehrswende braucht mehr Rückgrat in der Politik

26. April 2024, 05:00 Uhr

"Meinung zu Gast"-Autorin Annette Binninger kritisiert, dass sich in Dresden die lauten Gegner des Fahrradweges auf der Brücke "Blaues Wunder" durchgesetzt hätten. Die Politik müssen Widerstand auch mal aushalten, die Verkehrswende vorantreiben und die Bürger dabei mitnehmen.

Annette Binninger
Bildrechte: David Pinzer Fotografie

Es hat nur wenige Tage gedauert, bis der Verkehrsversuch am Blauen Wunder zum roten Tuch für Tausende Dresdner geworden ist. Dabei sollte es doch nur mal testweise, nur für ein paar Wochen, eine Radfahrer-Spur mehr geben, zulasten einer sonst dreispurigen, breiten Autofahrer-Strecke. Nur mal ausprobieren wollte das die Dresdner Stadtverwaltung. Denn zu lange schon steckt der alten Elbbrücke ein Makel in den blauen Stahlknochen – es fehlt der Platz für Radler. Doch nach zehn Tagen dann der Test-Abbruch. Zu groß war der Widerstand. Zu lange die neuen Staus auf der Brücke. Zu ärgerlich die Verspätungen, auch für die Nutzer von Bus und Bahn.

Wieder mal macht Dresden mit seiner oft umstrittenen Verkehrspolitik über die Stadt hinaus Schlagzeilen. Ob es um die Planung und den Bau von Brücken geht oder die Sanierung wichtiger Einfallstraßen – immer wieder tut man sich schwer damit – in einer Stadt, die eigentlich eine sehr starke Auto-Lobby hat. Da knickt man schon mal schnell ein.

Meinung zu Gast In der Rubrik "Meinung zu Gast" analysieren und kommentieren Medienschaffende aus Mitteldeutschland Transformations- und Veränderungsthemen: faktenbasiert, pointiert und regional verortet. Die Beiträge erscheinen freitags auf mdr.de und in der MDR AKTUELL App. Hören können Sie "Meinung zu Gast" dann jeweils am Sonntag im Nachrichtenradio MDR AKTUELL.

Verfechter der Verkehrswende müssten der lauten Kritik standhalten

Es ist eben nicht so einfach wie es klingt mit der Verkehrswende. Und dann sind da ja noch Energie-, Klima- und Wirtschaftswende – es wird ganz schön viel abverlangt von den Bürgerinnen und Bürgern.

Dabei sollte es wie im Fall des Blauen Wunders nun darum gehen, mal etwas anders zu machen im Verkehr, etwas auszuprobieren. Denn das ist dringend notwendig. Der Verkehr ist noch immer einer der Hauptverursacher von Treibhaus-Emissionen in Deutschland. Weniger individueller Autoverkehr, eine bessere Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr – vor allem auch der ländlichen Gebiete – durch Bus und Bahn – oder am besten gleich der Um- und Ausstieg aufs Rad oder die eigenen Füße.

Fahrgaeste vor einer Anzeigetafel, die auf den Streik hinweist 3 min
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3 min

Die dringend nötige Abkehr vom Auto wird durch fehlende Busfahrer und Lokführerinnen behindert.

MDR KULTUR - Das Radio Fr 15.03.2024 18:15Uhr 03:00 min

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Die Notwendigkeit ist da, doch in Deutschland endet allzuoft schon der kleinste Versuch einer Kurskorrektur – und sei es nur ein Verkehrsversuch – vorzeitig und mit Frust auf allen Seiten. Allerdings: Wer so plant und schlecht vorbereitet handelt wie bei besagtem Dresdner Versuch und beim ersten Widerstand einknickt, der darf sich auch nicht wundern, wenn beim vielen größeren Wort der "Verkehrswende" immer mehr Menschen nur noch wütend und genervt abwinken. Die Lautesten dürfen nicht immer das letzte Wort haben, sonst bewegt sich am Ende gar nichts.

Aber auch das muss klar sein: Am Ende muss man vorankommen. Das Ziel muss klar sein.

Annette Binninger
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Annette Binninger Annette Binninger ist Politik-Chefin und stellvertretende Chefredakteurin der in Dresden erscheinenden "Sächsischen Zeitung". In der Reihe "Meinung zu Gast" kommentiert sie als Gastautorin Transformations- und Veränderungsthemen in Mitteldeutschland.

Die Bürger sind durch zögerliche Verkehrspolitik verunsichert

Doch es wäre zu einfach, die Bürger allein dafür verantwortlich zu machen, dass es nicht vorangeht. Die Politik ist allzuoft unentschlossen, und ihr Wankelmut überträgt sich auf die Bürgerinnen und Bürger. Was denn nun? Alle umsteigen aufs Elektroauto? Wo doch selbst in Sachsen, wo die meisten dieser Zukunftsfahrzeuge gebaut, eben nicht hier gefahren, sondern von hier aus exportiert werden. Dorthin, wo der Ausstieg aus dem Verbrennermotor längst beschlossene Sache ist.

Während in Deutschland im nahenden Europa-Wahlkampf gerade mal wieder über ein Ausstieg aus dem längst beschlossenen Verbrennerverbot ab 2035 laut nachgedacht wird. Würde ja auch passen zu den vielen Versäumnissen: mangelhafte Infrastruktur von Ladesäulen, zu wenige wirklich für den "Durchschnittsbürger" bezahlbare E-Autos und die plötzliche Streichung der staatlichen Kaufanreize. Und wann endlich wird es auf den Autobahnen – und sei es temporär und regional begrenzt – endlich ein Tempolimit geben, mit dem viele unserer europäischen Nachbarn längst sicherer und umweltfreundlicher unterwegs sind.

Klimapolitik nicht nur für, sondern auch mit den Bürgern

Besorgt lautet immer wieder die Frage, ob die Verkehrs- und Energiewende Deutschland seinen Wohlstand kosten könnte? Doch wie hoch wäre eigentlich der Preis, wenn sie nicht käme? Diese Rechnung wird ungern aufgemacht. Vor allem in einem Teil Deutschlands, weit im Osten, in dem eine Partei wie die AfD den vom Menschen mitverschuldeten Klimawandel immer wieder grundsätzlich infrage stellt, aber dennoch oder vielleicht auch deswegen in Umfragen um die 30 Prozent erhält.

Die Verkehrswende lässt sich nicht mit der Brechstange durchsetzen und sie darf auch nicht in ideologischen Grabenkämpfen auf beiden Seiten steckenbleiben. Man muss die Menschen dabei mitnehmen, Vorschläge, Prozesse transparent machen, sie auch kommunizieren – und die Menschen dadurch an der Entwicklung beteiligen. Sie wird aber nur schwer gelingen, wenn die Scheu, es auch nur etwas anders zu machen als bisher, so groß ist, dass der kleinste Widerstand jede noch so kleine Initiative sofort ausbremst. Und sei es auch nur der Versuch, am Blauen Wunder mal testweise eine Fahrradspur einzurichten.

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175 Kommentare

astrodon vor 7 Tagen

@Heip: Ohne jetzt alle Städte vergleichenzu wollen: Erfurt als Beispiel:
Die "normal" Monatskarte im Abo kostet 57,20€. Ab einer Strecke von 10km einfache Fahrt sind die Spritkosten höher als die des ÖPNV - Parkgebühren oder Abschreibung des KfZ nicht eingerechnet.

astrodon vor 7 Tagen

@Anita: Wobei man, bei ehrlicher Betrachtung, sagen muss, dass unter den Radfahrern die Missachtung der Verkehrsregeln durchaus Usus ist - mehr als unter anderen Verkehrsteilnehmern.

astrodon vor 7 Tagen

@wgeh: Als Autofahrer aus der Zahlung einer KfZ-Steuer Ansprüche abzuleiten, die ein Radfahrer nicht stellen darf ist eben schwach.
Die Haftpflicht dient nur Ihnen als Fahrer des KfZ, zur Verhinderung Ihres wirtschaftlichen Ruins im Falle eines durch Sie verursachten Schadens. Sollte auch jeder Radfahrer (und jeder andere auch) haben.
Als Auto- und Motorradfahrer zahle ich meine Steuern, auch KfZ-Steuer. Da Steuern ja nicht zweckgebunden sind kann ich also nicht sagen, ob diese für Radwege verwandt werden. Falls ja, finde ich das gut - obwohl ich beim Radfahren als Mountainbiker unbefestigte Wege bevorzuge. In der Stadt gehe ich zu Fuß, wenns weiter ist dann per Bus und Bahn. Sonst bräuchte ich ein extra Stadt-Rad ...

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