Baugeschichte Monsterbauten für Leipzig: Welche utopischen Luftschlösser waren geplant?
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03. Januar 2024, 05:00 Uhr
Ein Hochhaus-Koloss in Form einer Keksrolle, ein Flughafen auf Stelzen oder ein Klein-New-York in Leipzigs Westen - die Liste von gewagten bis größenwahnsinnigen Bauvisionen für Leipzig ist lang. Viele Projekte wurden als wahnwitzig abgelehnt, andere ernsthaft diskutiert. Am Ende sollte keines der baulichen Luftschlösser aus verschiedenen Gründen entstehen.
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Arnold Bartetzky steht auf dem Augustusplatz an der östlichen Ecke des Opernhauses. Der Kunsthistoriker zeigt mit der Hand in Richtung Georgiring. "Vom Augustusplatz bis zum Hauptbahnhof hätte sich der 'Welt-Messe-Palast' erstreckt." Das Gebäude - geplant 1921 - wäre ein wahrer Monsterbau in der Innenstadt von Leipzig gewesen. 280 Meter sollte das Messezentrum lang werden, 100 Meter breit. Auf 15 Geschossen sollte Platz für 20.000 Aussteller, 1.000 Läden und 4.000 Büroräume sein.
Das Projekt sei eine der vielen Spinnereien von Bauvisionären in der Leipziger Innenstadt gewesen, sagt Bartetzky. Der Leipziger hat zusammen mit weiteren Autorinnen und Autoren ein Buch über nie verwirklichte Bauten in Leipzig veröffentlicht. Die erste Auflage des Buches ist schon vergriffen. Die Idee für den Welt-Messe-Palast sei von einer Gruppe Leipziger Geschäftsleute gekommen, erklärt Bartetzky. Diese hätten damals davon gesprochen, dass der "Welt-Messe-Palast" eine "epochale Wirkung" und ein Markstein "für die Entwicklung Leipzigs zur Millionenstadt" werden würde.
Selbst hätten die Geschäftsleute das Projekt jedoch nie finanzieren können, betont Bartetzky. "Das alles war dubios und unseriös", sagt er. Das Vorhaben sei von Anfang so umstritten gewesen, dass es von der Stadt nicht ernsthaft diskutiert wurde.
Bauvisionen als Hoffnungsschimmer in Krisenzeiten
Doch der Welt-Messe-Palast stehe für eine Zeit großer Architektenvisionen in Leipzig, sagt Bartetzky. Der Nährboden für solche utopischen Bauten sei um das Jahr 1900 in der Messestadt entstanden. "Damals wurde Leipzig zur Großstadt. Es wurde immens viel gebaut und die halbe Altstadt dafür abgerissen", erklärt er. Damals entstanden die großen Messehäuser wie die Mädlerpassage.
Die 1920er Jahre ließen die gewagten bis wahnwitzigen Ideen der Architekten nur so sprießen. Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte große Armut und Orientierungslosigkeit in ganz Deutschland. "Aber es gab eine starke Offenheit für visionäres Denken. Das verband sich mit der architektonischen Moderne und ihrem Zukunftsglauben", erklärt Bartetzky.
Es gab eine starke Offenheit für visionäres Denken. Das verband sich mit der architektonischen Moderne und ihrem Zukunftsglauben.
In diesen Krisenzeiten sei die Leipziger Messe der rettende Hoffnungsschimmer gewesen. "Um 1900 war die Messe ein riesiger Impuls für die Stadtentwicklung." In den 1920er Jahren habe man an die alten Glanzzeiten anknüpfen wollen. "Der Glaube war: 'Mit der Messe werden wir zu einer Weltstadt'", sagt Bartetzky.
Messeturm-Koloss sollte Leipzigs erster "Wolkenkratzer" werden
Anders als der Welt-Messe-Palast sollten die Pläne für das Messehochhaus aus dem Jahr 1919 auch umgesetzt werden. Als Leipzigs erstes wirkliches Hochhaus wäre das Gebäude 126 Meter hoch gewesen. Auf 30 Geschossen sollten 1.500 Messeräume Platz finden. Bartetzky läuft am Schwanenteich in Richtung Hauptbahnhof. Das sei einer von mehreren vorgesehenen Standorten für den zylinderförmigen Koloss gewesen, erklärt er.
"Man ging fest davon aus, dass dieses Messehochhaus kommt", sagt der Kunsthistoriker. Wegen seiner Höhe und Größe wäre der Bau eine Sensation gewesen. "So etwas hatte es in Leipzig noch nicht gegeben. Das hätte wuchtig ausgesehen", findet Bartetzky. Obwohl der Messeturm viel Zustimmung gefunden hätte, habe man von dem Projekt wegen finanzieller und technischer Bedenken schließlich Abstand genommen.
Doch wäre der Messeturm heute nicht ein Hingucker? Bartetzky lacht: "Es gibt auf jeden Fall Projekte, bei denen man noch froher ist, dass sie nicht verwirklicht wurden." Aber: "Heute wäre es ein Leipziger Klassiker und man würde ihn sicher auf Postkarten finden."
Ein Flugplatz auf dem Dach des Hauptbahnhofs
Am Hauptbahnhof angekommen zeigt Bartetzky auf das Dach des historischen Baus von 1915. Denn nicht nur mit Stahl und Beton wollten die Menschen in den 1920er Jahren hoch hinaus. So habe es Pläne für einen Flugplatz auf dem Dach des Hauptbahnhofs gegeben, erklärt Bartetzky. Auch ein Flughafen auf Ständern über dem Augustusplatz sei diskutiert worden.
Aus damaliger Perspektive waren das ernsthafte Diskussionen, betont Bartetzky: "Es wirkte wohl weniger bizarr, weil die Flugzeuge viel kleiner waren und viel kürzere Start- und Landebahnen brauchten." Doch auch diese kühnen Pläne blieben schließlich nur Fantasien auf Skizzenblättern.
Eckgrundstück bis heute jungfräulich
Der Stadtrundgang entlang von Leipzigs nie gebauten Bauvisionen führt weiter entlang des Tröndlinrings bis zum Goerdelerring. Manche Stadtbereiche seien bis heute Brennpunkte visionärer Ideen, ordnet Bartetzky ein. Ein Beispiel sei das nach wie vor unbebaute Eckgrundstück Goerdelerring/Ranstädter Steinweg. "Seit den 1920er Jahren hat es unterschiedliche Planungen für ein Hochhaus auf diesem spitzwinkligen Grundstück gegeben." Sieben Hochhauspläne seien bisher meist aus finanziellen Gründen gescheitert.
Eine davon ist der Entwurf eines italienischen Architekten aus den 1990er Jahren: "Das Projekt wurde damals sehr gefeiert, weil es sich relativ gut in die Umgebung einpasste", sagt der Architekturkritiker. Vergleichbar mit der Blüte an Bauideen nach dem Ersten Weltkrieg war die Zeit nach der Friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung in den Jahren 1989/1990 in Leipzig eine Zeit für kühne Architekturvorhaben.
In den frühen 1990er Jahren gab es eine Aufbruchstimmung. Dann kam das böse Erwachen in der Realität in der zweiten Hälfte der 90er.
"In den frühen 1990er Jahren gab es eine Aufbruchstimmung. Dann kam das böse Erwachen in der Realität in der zweiten Hälfte der 90er", schildert Bartetzky. Denn in Leipzig standen damals Tausende Wohnungen leer. Die Mieten für Büros oder Ladenflächen sanken ins Bodenlose. "Investoren haben damals einen großen Bogen um Leipzig gemacht". So ist auch die Ecke am Goerdelerring/Ranstädter Steinweg bis heute unbebaut geblieben.
Wolkenkratzer für Industrie-Moloch
Als Leipzig in den 1990ern nicht zur erhofften Boom-Town wurde, wurden die Pläne von Manfred Rübesam als mehr als nur wahnwitzig angesehen. Der Münchner Investor plante eine Hochhaus-City im alten Industrie- und Arbeiterviertel Leipzig-Plagwitz in den späten 1990er Jahren. "Dort wurde Rübesam ein bisschen größenwahnsinnig - ihm ist der Realitätssinn abgekommen", urteilt Bartetzky aus heutiger Perspektive. Rübesam hatte bis zu 180 Meter hohe Häuser geplant. 150.000 Menschen sollten dort wohnen und arbeiten.
Vorbild für das Geschäftsviertel mit Banken und Shoppingcentern seien die Skylines von Frankfurt am Main und New York gewesen. Den Beginn sollte ein Grundstückskauf Rübesams beidseitig der Karl-Heine-Straße markieren. Darüber hinaus geschah jedoch nichts. "Das war in der Zeit vollkommen realitätsfremd. Leipzig befand sich in der Talsohle und lag darnieder", sagt Bartetzky. Schon zur damaligen Zeit beurteilte der Leipziger Stadtrat die Pläne Rübesams von Beginn an als irrwitzig.
Grüne Stadt löst gigantomanische Luftschlösser ab
Doch sind heutzutage solche baulichen Luftschlösser noch möglich? Mit Blick auf andere Staaten, werde noch groß bis gigantomanisch gebaut, sagt Bartetzky. Er nennt das Beispiel der modernen Wüstenstädte in Saudi-Arabien. "Da gibt es noch Utopien, die von einem technischem Machbarkeitswahn getragen werden."
In Deutschland hätten solche baulichen Visionen jedoch ausgedient, meint Bartetzky. Es gehe weniger um Baufantasien in Stahl und Beton, sondern um Ideen für eine grüne, nachhaltigere Stadt. In Leipzig gebe es etwa Pläne für einen fußgängerfreundlicheren Innenstadtring, der Freizeit, Sport und Erholung verbindet.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 20. November 2023 | 19:00 Uhr