Ein Mann steht vor einer Wand mit Kinderzeichnungen und lächelt.
Andreas Zieris arbeitet als Koordinator für das Kinderhospiz Bärenherz. Bildrechte: MDR/Lars Tunçay

Markkleeberg Kinderhospiz Bärenherz: "Man kann froh sein, dass das eigene Kind gesund ist."

01. Juli 2023, 10:15 Uhr

Familien mit schwerkranken Kindern stehen unter einer großen Belastung. Rund um die Uhr für das Kind da zu sein und daneben Alltag und Arbeit zu bewältigen, setzt unter Druck. Um den Eltern ein wenig Entlastung zu ermöglichen, den Kindern liebevolle Pflege nach ihren Bedürfnissen zu verschaffen und die Familien schließlich auf dem letzten Weg zu begleiten, dafür wurde vor 20 Jahren der Verein Bärenherz gegründet. Hier werden unheilbar erkrankte Kinder gepflegt und ihre Eltern können für einen Moment durchatmen – an bis zu 28 Tagen im Jahr.

Claudia Huster ist dankbar, dass es das Bärenherz gibt. Ihre Zwillinge kamen mit Hirnblutungen zur Welt. Besonders die kleine Leonie ist rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. "Für mich als Mama bedeutet Bärenherz Entlastung und verstanden zu werden. Für mich ist es die einzige Möglichkeit einmal durch und beruhigt zu schlafen. Meine Tochter Nelly sagt, 'Bärenherz ist wie ein kleiner Urlaub, weil Mama auch mal Zeit für mich hat.'"

Auch Kerstin Thiem und ihre Tochter Rinah-Hadassah sind seit vielen Jahren regelmäßig zu Gast im Bärenherz. "Am Anfang ist es mir schwer gefallen, ein Kinderhospiz in Anspruch zu nehmen, es fühlte sich nicht gut an. Hospiz ist nur ein trauriger Ort, dachte ich. Aber ich brauchte dringend eine Auszeit und wurde schnell eines Besseren belehrt." Hier hört man ihr zu, sagt sie, hier werden ihre Fragen und Ängste ernst genommen, es wird beraten und getröstet. "Ich habe gelernt loszulassen und kann damit viel Kraft schöpfen für die großen Herausforderungen zu Hause."

Einzigartige Einrichtung seit 20 Jahren

Das Bärenherz ist einzigartig in Sachsen. Eine solches stationäres Kinderhospiz gibt es bundesweit nur 16 mal. Vor 20 Jahren trug Wolfgang Groh die Idee von Wiesbaden nach Leipzig und traf hier auf Gleichgesinnte. Seitdem ist der Verein immer größer geworden. 2008 zog man in den Neubau am Kees‘schen Park am Cospudener See, der 2018 um eine Etage erweitert wurde und heute bis zu zehn Familien aufnehmen kann.

Kinderhospiz Bärenherz Leipzig 54 min
Bildrechte: Kinderhospiz Bärenherz Leipzig e.V.

Mehr als 200 ehrenamtlich Tätige

Heute beschäftigt Bärenherz mehr als 80 Mitarbeitende. Rund 200 Ehrenamtliche sind für den Förderverein tätig, sammeln Spenden oder sind mit dem Infostand unterwegs, um Hilfesuchende zu informieren. Oder sie arbeiten im ambulanten Kinder- und Familiendienst und entlasten die Familien, gehen einkaufen, helfen im Haushalt. Sie kümmern sich um die Geschwisterkinder, die sich in solchen Situationen oft vernachlässigt fühlen.

Aber sie retten auch Ehen, sagt Ulrike Herkner, Geschäftsführerin des Bärenherz. "Wenn man ein schwersterkranktes Kind hat, um das man sich rund um die Uhr kümmern muss, neben Arbeit und der Fürsorge für ein Geschwisterkind vielleicht, da kann man eben schnell als Eltern auch die eigenen Bedürfnisse außer Acht lassen und sich als Paar verlieren."

Riesengroße Hilfe aus der Bevölkerung

Diana Warnecke arbeitet seit fünf Jahren festangestellt als Krankenschwester im Bärenherz. "Die Ehrenamtlichen sind für uns eine riesengroße Hilfe, gerade weil wir ja immer zwei Kinder betreuen. Wenn sie etwa einfach was vorlesen, merken die Kinder, dass da jemand ist, der sich kümmert."

Andreas Zieris berät die Eltern und leitet die Ehrenamtlichen an. "Der Kurs dauert vier Monate und es kann bis zu einem halben Jahr dauern, bis man überhaupt erst das Zertifikat in Händen hält, um für uns in den Familien tätig zu sein. Das heißt, wer helfen will, weiß in der Regel, was er tut und das ist gut für uns, aber auch für die Familien."

Das Kinderhospiz Bärenherz von außen.
Ruhig gelegen am Kees'schen Park in Markkleeberg bietet das Kinderhospiz Bärenherz viel Raum für die Kinder und ihre Familien. Bildrechte: MDR/Lars Tunçay

Wer helfen will, weiß in der Regel, was er tut und das ist gut für uns, aber auch für die Familien.

Andreas Zieris Mitarbeiter Kinderhospiz Bärenherz

Ein paar Tage Auszeit vom Alltag

Die Krankenkassen übernehmen etwa 28 Tage für sogenannte Entlastungsaufenthalte von Familien schwerstkranker Kinder im Jahr. Viele verteilen sie auf das gesamte Jahr, nehmen mal eine Woche, mal ein paar Tage Auszeit. Für sie ist der Aufenthalt eine Insel im Alltag, nah am Kind zu sein, aber auch loslassen zu können und trotzdem die Zeit als Familie zu genießen, sagt Ulrike Herkner.

Der stete Wechsel der Kinder stellt für die Pfleger und Pflegerinnen durchaus eine Herausforderung dar, sagt Krankenschwester Warnecke. "Wir setzen uns vorher mit den Eltern ins Aufnahmegespräch und bekommen mit, was die Kinder gerne mögen, was sie für Gewohnheiten haben, was das Kind für Ticks hat, damit wir uns richtig darauf einstellen können. Damit sie einen schönen Aufenthalt haben und es ihnen gut geht." Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tauschen sich auch regelmäßig aus, um das Erlebte zu verarbeiten.

Eine Frau lächelt in die Kamera.
Diana Warnecke arbeitet als Krankenschwester im Kinderhospiz Bärenherz und ist dankbar für die Unterstützung durch Ehrenamtliche. Bildrechte: MDR/Lars Tunçay

Man kann froh sein, dass das eigene Kind gesund ist.

Diana Warnecke Mitarbeiterin Kinderhospiz Bärenherz

Pflege und Trauerbewältigung

Diana Warnecke ist selber Mutter und sich jeden Tag bewusst: "Man kann froh sein, dass das eigene Kind gesund ist." Ihre Kollegin Franziska Zapp stellte fest: "Durch den Klinikalltag wurde mir bewusst, wie wenig Raum und Zeit dem Thema Tod und Sterben in unserer Gesellschaft gegeben wird. Hier gibt es Zeit für die individuelle Versorgung und Pflege schwerstkranker Kinder und deren Familien. Aber hier ist auch Raum für Trauer, Wut, Sorgen, Ängste und Hilflosigkeit. Genau so soll es sein."

Feste Bindung zum Haus und den Menschen

Auch der Austausch zwischen den Familien sei ganz wichtig, sagt Ulrike Herkner, denn viele haben im Alltag keinen Raum mehr für soziale Kontakte. Die Bindung der Eltern zum Bärenherz sei auch dann noch stark, wenn das Kind nicht mehr da ist. "Wir haben den Erinnerungsgarten. An jedem Todestag stellen wir eine Kerze auf für das Kind und meist kommen dann auch die Eltern und reden mit uns darüber. Es gibt einmal im Jahr einen großen Erinnerungsnachmittag, da werden alle Familien eingeladen, die hier ein Kind verabschiedet haben, auch wenn das schon zehn oder 20 Jahre her ist. Daher wird dieser Nachmittag immer größer." Die Verbindung der Familien zum Haus und dem Team sei eng, sagt Herkner.

Leben und Tod dicht beieinander

Für Herkner ist es immer wieder überraschend, wie nah der Tod und das Leben sind. "Wir sind hier ja direkt neben dem Cospudener See. Letztes Jahr hatten wir eine Verabschiedung von einem Kind. Da wird das Kind dann nochmal schön aufgebahrt in der Lieblingskleidung." Bei einem Verabschiedungsritual mit einer Trauerbegleiterin wird Musik gespielt und an das Kind erinnert, erzählt Herkner. "Die Familie ist eingeladen, aber auch alle Mitarbeitenden im Haus haben die Möglichkeit, sich vom Kind zu verabschieden. Und hinter dem Gebüsch sind die Leute währenddessen zum See gefahren, hatten die Musik laut an und den See vor Augen und die schöne Zeit. Und da habe ich gedacht: Krass, wie nah der Tod manchmal ist, ohne dass man ihn wahrnimmt. Das war für mich nochmal ein mahnender Moment."

Eine Frau schaut in die Kamera.
Ulrike Herkner ist die Geschäftsführerin des Bärenherz-Vereins. Bildrechte: MDR/Lars Tunçay

Es ist krass, wie nah der Tod manchmal ist, ohne dass man ihn wahrnimmt.

Ulrike Herkner Geschäftsführerin Bärenherz e.V.

Finanziert durch Spenden

Das Bärenherz lebt von einer Vielzahl an Spenderinnen und Spendern. Rund die Hälfte der Kosten werden von Fördermitgliedern getragen. Die andere Hälfte übernehmen Kranken- und Pflegekassen. Direkte staatliche Förderung gibt es keine. In Corona-Zeiten sei die Einrichtung von einer Welle der Solidarität erfasst worden, die sie durch die schwierige Zeit getragen habe, erzählt Herkner.

Eine Hochzeit im Bärenherz

So konnte das Kinderhospiz Bärenherz bereits viele letzte Wünsche erfüllen, erzählt die Geschäftsführerin. Ein Mädchen hatte sich etwa gewünscht, mal in einem Müllwagen zu fahren, der dann wirklich aufs Gelände kam. Erik durfte einmal die Pinguine im Zoo füttern. Ein Tier aus dem Nachwuchs trägt jetzt seinen Namen. Und ein 18-jähriger, an Krebs erkrankter Junge feierte hier eine symbolische Hochzeit mit seiner Freundin, Kuchen und Gästen.

Beratung und häusliche Pflege

Neben der Arbeit im Haus unterstützt der Verein auch viele Familien im eigenen häuslichen Umfeld. Seit 2021 betreibt das Bärenherz außerdem die Beratungsstelle SüdLicht, die sich an Familien mit Kindern, die eine chronische Erkrankung oder eine Behinderung haben, richtet.

Am 1. Juli wird der Bärenherz-Geburtstag mit einem großen Tag der offenen Tür gefeiert, zu dem auch Sachsens Sozialministerin Petra Köpping erwartet wird.

MDR (ltt)

Dieses Thema im Programm: Sachsenspiegel | 01. Juli 2023 | 19:00 Uhr

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