Hans-Holger Petermann (Poetry-Slammer)
Hans-Holger Petermann bei seinem Poetry-Slam-Auftritt vor 150 Zuschauern im Neuen Schauspiel Leipzig Bildrechte: MDR/Adam Beyer

Theater Leipziger rockt mit 93 Jahren den Grand Poetry Slam

18. Februar 2024, 19:00 Uhr

Ein Senior beim Poetry Slam: In Leipzig misst sich Hans-Holger Petermann mit der jungen Konkurrenz. Er ist 93 Jahre alt. Der frühere Schauspieler und Conférencier fröhnt damit seiner alten Leidenschaft, dem Auftritt auf der Bühne. Dabei trotzt er auch körperlichen Beeinträchtigungen. Wir haben ihn beim Westslam im Neuen Schauspiel Leipzig begleitet.

"Achtung, die Stadtmeisterschaft ist am 28. Juni, nicht am 26. Juni", auch am Ende der Veranstaltung ist Hans-Holger Petermann noch hellwach. Der 93-Jährige hat gerade bei einem Leipziger Poetry Slam mitgemacht und hört immer noch aufmerksam zu. Und bei der Ankündigung des Moderators zum nächsten Event ist ihm ein kleiner Fauxpas aufgefallen.

Das weiß er auch deshalb, weil er den Termin schon fett in seinem Kalender eingetragen hat. Denn als Gewinner des ersten "Westslam-Livelyrix Poetry Slams" am 21. Dezember 2023 ist er bereits qualifiziert. Dennoch ließ er es nicht nehmen, auch beim zweiten Qualifikationswettbewerb in das kleine Theater Neues Schauspiel Leipzig zu kommen.

Mit dem Rollator auf die Bühne

Der Weg zu den Brettern, die ihm die Welt bedeuten, ist hier nicht ganz ohne für den ehemaligen Schauspieler. Er kommt mit Rollator, seinem "Senioren-Mercedes". Es sind fast zehn Treppenstufen, die er überwinden muss: "Über den TÜV käme ich heute nicht mehr", spricht er verschmitzt über seine Probleme mit dem Gehen.

Volles Haus - Konkurrenz ist jünger

Beim Poetry Slam ist er aufgrund seines Alters ein Exot. Die sechs Konkurrentinnen und Konkurrenten sind deutlich jünger, auch im Publikum ist die ältere Garde eher unterrepräsentiert. 150 Zuschauer sind da, freie Plätze gibt es keine mehr. Auch die Familie ist versammelt. Seine Tochter Micaela hat ihn zum Theater im Stadtteil Lindenau gebracht, später kommen auch noch der Sohn Detlev und dessen Ehefrau Marion hinzu.

Vier Regeln beim Poetry Slam

Die Bühne besteht aus einem roten Sofa und einem Mikrofonständer. Kein Schnicknack. Vier Regeln gibt es: Die Texte müssen von selbst geschrieben sein, der Auftritt darf nicht länger als sechs Minuten dauern, die Redner sollen keine Kostüme tragen, und das Publikum sollte das Ganze respektvoll verfolgen. Nur ein einziges Mal während der rund zweistündigen Aufführung ist aus dem Publikum der Sound eines Handyklingelns zu vernehmen. Moderator Marcel Schneuer fragt lächelnd: "Haben alle ihre Handys im Griff?"

Hans-Holger Petermann (Poetry-Slammer): Moderator Marcel Schneuer
Moderator Marcel Schneuer ist auch selbst ein Poetry Slammer. Er staunt über die Bühnenpräsenz von Petermann. Da merke man seine mehr als 70-jährige Erfahrung. Er erinnert sich an einen Poetry-Slam-Teilnehmer in Thüringen, der zwischen "80 und 90 Jahre alt" gewesen sei. Bildrechte: MDR/Adam Beyer

Neben Hans-Holger Petermann treten noch drei junge Frauen und drei junge Männer an. Das Lampenfieber bei allen Beteiligten scheint sich in Grenzen zu halten. Einer greift in dem kleinen Vorbereitungsraum neben der Bühne zum Bier. Kontaktdaten werden ausgetauscht. Eine Mitwirkende erscheint spät, aber rechtzeitig, eine hat es offenbar nicht geschafft.

Hans-Holger Petermann (Poetry-Slamer): Konkurrenz vor dem Auftritt
Die Konkurrenz ist jünger. V. li.: Naomi, Anne, Isabelle, Günther und Samuel Bildrechte: MDR/Christian Kerber

Petermann kommt vom Fasching zum Klimawandel

In der ersten Runde werden die ersten Teilnehmer per Klatschvotum rausgewählt. Der Älteste der Runde ist als Zweiter dran. Langsam fährt und geht er zum Mikro. Dann trägt er ein Gedicht vor, mit einem aktuellen Thema, Fasching. Dabei deutet er zum Satzende immer wieder Frivolitäten an, spricht sie aber nie aus. Über den Song "Leyla" und Aschermittwoch landet er bei Kriegen und Klimawandel: "Wir müssen alles ändern, sonst ist es vorbei."

Von "sehr mutig" bis "sexistisch"

Der Auftritt kommt überwiegend gut an. "Er ist sehr mutig, sehr temperamentvoll und sicher", sagt eine junge Zuschauerin. Ihre Freundin gibt zu: "Er ist für sein Alter sehr fit, ich kann mir nicht vorstellen, in dem Alter auf der Bühne zu stehen".

Michael, ein etwas älteres Semester, fand die Vorstellung "nicht gut, weil mir der sexistische Humor zu platt war". Das habe ihn "abgetörnt". Das sieht auch Sigrid, seine Begleitung, so: "Es ist natürlich beachtlich, dass er sich mit 93 mit dem Rollator auf die Bühne schiebt. Aber mir hat dieses Schlüpfrige auch nicht gefallen. Es hat auch den Rest des Textes abgewertet."

Sebastian Zimmermann fand es "sehr gut, vor allem der Bogen zur Ernsthaftigkeit, da noch eine Message zu bringen. Nach dem lustigen Teil war das wichtig und beeindruckend."

Hans-Holger Petermann (Poetry-Slamer) und Konkurrentin Anne
Hans-Holger Petermann konkurrierte in der ersten Runde mit Anne. Am Ende erhalten beide ungefähr gleich viel Applaus. Bildrechte: MDR/Christian Kerber

Fünf von Sieben überstehen die erste Runde

Das Weiterkommen ist spannend, auch Petermanns Konkurrentin Anne konnte überzeugen. Am Ende entscheidet der Moderator, dass es beide schaffen. Er konnte sich anhand des Klatschens einfach nicht entscheiden. Insgesamt kommen Fünf von Sieben weiter.

Den ersten Kontakt zur Leipziger Poetry-Slam-Szene ergab sich für Hans-Holger Petermann über das GeyserHaus. Das dortige Literatur-Café für Senioren bekam Besuch aus der Leipziger Poetry-Slam-Szene. Der entscheidende Impuls kam dann von seiner Tochter. Neben dem GeyserHaus liest der Schauspieler, der auch als Moderator und Regisseur arbeitete, auch im Gasthof Plaußig.

Seit 1951 auf der Bühne

Er steht seit 1951 auf der Bühne, alte Autogrammkarten zeigen ihn als Conférencier. Er sagte viele Stars des DDR-Unterhaltung an. Sein Freund Steve Jung erzählt: "Er hat erst geschmunzelt bei der Anmeldung zum Poetry Slam, aber ich glaube, das bringt ihm noch einmal einen guten Aufwind." Sohn Detlef spricht von einem "gesunden Selbstvertrauen" für den langjährigen Künstler. Tochter Micaela Petermann konstatiert: "Unser Vater: Einmal auf der Bühne, immer auf der Bühne".

Hans-Holger Petermann (Poetry-Slamer): Sohn und Tochter
Tochter Micaela fuhr ihren Vater zum Theater, dem Poetry Slam wohnte dann auch Sohn Detlef bei. Bildrechte: MDR/Christian Kerber

Probleme mit Knie und Wirbelsäule

Nach so einem Abend sei er "körperlich schon durch", erzählt sie. Anmerken tut man es ihm nicht. Der Künstler sagt: "Ich habe seit 38 Jahren Diabetes. Ich bin mit dieser Krankheit auf du und du. Wir kommen gut miteinander aus. Zwei Probleme habe ich gehabt. Das waren die Knie und die Wirbelsäule." Da hilft der Rollator.

Wie bei seinem zweiten Auftritt im Neuen Schauspiel. Da verwendet er ein eigenes Gedicht von 1947. Die Verse kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sind für ihn gerade wieder aktuell. Der Text stammt aus seiner ersten eigenen Schaffensperiode bei Gedichten, von 1942 bis 1955.

Engagement für einen Tigerpark

Seine jüngste Schaffensperiode mit selbstverfassten Versen begann 1997 und hatte mit einer alten Leidenschaft zu tun: "Angefangen habe ich vor allem deshalb, weil ich in die Tiger-Gruppe von Dompteurin Carmen Zander in Dölzig integriert war." Als Vorstand von Pro-Tiger kämpft er bei seinen Auftritten um Spenden zur Errichtung eines Tigerparks: "Wenn man akzeptiert, dass sie nicht mehr im Zirkus auftreten sollen, dann kann man nicht akzeptieren, dass die Tiere hungern müssen."

Hans-Holger Petermann (Poetry-Slammer)
Hans-Holger Petermann wirbt mit seinen Auftritten für die Errichtung eines Tigerparks in Leipzig. Er selbst wollte früher auch einmal Dompteur werden. Bildrechte: MDR/Adam Beyer

Schauspieler oder Raubtier-Dompteur

Mit zwölf Jahren hatte Petermann zwei Berufswünsche: "Raubtier-Dompteur oder Schauspieler: Ich wurde Schauspieler, weil die Tiger, die ich sehr geliebt hatte, beim Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg in Dresden alle getötet worden waren." Und mit fünf Kindern, neun Enkeln und 13 Urenkeln "bin ich ja in gewisser Weise auch Dompteur geworden", meint er augenzwinkernd. Privat unterstützt er seit Jahren das Vorhaben eines Tigerparks in Dölzig.

Poetry Slam endet schiedlich-friedlich

Hans-Holger Petermann (Poetry-Slammer)
Auch mit einem Blitz-Juror konnte kein Gewinner ermittelt werden. So endete der Poetry-Slam mit gleich fünf Gewinnern. Darunter auch Hans-Holger Petermann (3. v. re.). Bildrechte: MDR/Adam Beyer

So richtig sportlich sei er nicht, gibt Vater Hans-Holger zu. Aber Ehrgeiz hat er schon, beim Poetry Slam. Der Wettbewerb im Neuen Schauspiel endet schiedlich-friedlich. Auch unter Hinzunahme eines zweiten Jurors ist kein eindeutiger Gewinner ausfindig zu machen. Das Resultat erfolgt dann salomonisch: Alle Fünf werden zu Siegern erklärt.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 15. Februar 2024 | 07:00 Uhr

Mehr aus Leipzig, dem Leipziger Land und Halle

Kultur

Drohnenaufnahme der Kunsthalle Talstrasse
Der gefächerte Neubau steht in Kontrast zu der spätklassizistischen Villa, die viele Jahrzehnte allein die Nummer 23 in der Talstraße ausmachte. Über eine verglaste Brücke kann das Publikum zwischen beiden Gebäudeteilen wandeln. Bildrechte: Kunstverein Talstrasse

Mehr aus Sachsen

Kultur

Gemälde, ein Mann steht auf einem hohen Felsen, vor ihm eine Landschaft mit Felsen und Nebelschwaden.
Caspar David Friedrichs berühmtes Bild "Der Wanderer über dem Nebelmeer" – es atmet förnlich die Stimmung im Elbsandsteingebirge. Bildrechte: picture-alliance/ dpa/dpaweb | Folkwang-Museum/Elke Walfo

Sachsen

Ein Angeklagter sitzt in einem Gerichtssaal und verdeckt sein Gesicht mit Audio
Der frühere Leipziger NPD-Stadtrat Enrico B. soll für zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis - so die Forderung der Bundesanwaltschaft. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa Pool/Sebastian Kahnert