Björn Höcke
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke möchte gern das Strafrecht umbauen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

AfD-Bundesparteitag Höcke will Straftaten wie Volksverhetzung entkriminalisieren: Was steckt dahinter?

10. Januar 2025, 15:05 Uhr

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke würde gern Straftaten zu Volksverhetzung oder zum Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen großteils abschaffen. Dafür stellt er zum Bundesparteitag der AfD am Wochenende einen Antrag. Wegen Vorwürfen um diese Straftaten stand er selbst vor Gericht. Um die Paragraphen gibt es eine längere Diskussion in Politik und Wissenschaft. Für einen Jenaer Strafrechtler gehört die Anwendung beider Paragrafen "eher zum Giftschrank des politischen Strafrechts".

Robert Mailbeck
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Der Thüringer AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke drängt auf Änderungen im Strafgesetzbuch. Der Rechtsaußen-Politiker will sich auf dem AfD-Bundesparteitag am Wochenende im sächsischen Riesa für eine Abschaffung oder weitgehende Einschränkung von Straftatbeständen stark machen.

Konkret geht es ihm um die politischen Straftatbestände der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Die werden nach Ansicht von Höcke nicht nur viel zu oft angewendet. Er sieht ihretwegen auch den freien Diskurs und die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit bedroht. Gemeinsam mit vier Parteifreunden will er erreichen, dass diese Tatbestände ins Bundestagswahlprogramm aufgenommen und diese unter einer Bundesregierung mit der AfD abgeschafft oder zumindest stark eingeschränkt werden.

Höcke schlägt einen zentralen Paragrafen vor, "der dem Aufstacheln von Haß gegen einzelne Gruppen vorbeugt". Wichtig sei ihm, dass keine "pointierte Äußerung eines wütenden Bürgers" bestraft werden könne, sondern nur dann, wenn "tatsächlich zu Straftaten gegen klar definierte Gruppen aufgerufen" werde.

2016 kritisierte Höcke bei einem Auftritt in Gera die Haftstrafe für die mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilte Holocaust-Leugnerin und kürzlich verstorbene Ursula Haverbeck. Sie hatte mehrmals abgestritten, dass das Konzentrationslager Auschwitz ein Vernichtungslager gewesen ist und dort ein Massenmord stattgefunden hat. Nach Schätzungen von Historikern ermordeten die Nazis allein im KZ Auschwitz-Birkenau mindestens 1,1 Millionen Menschen.

Wann wird in Deutschland die Meinungsfreiheit eingeschränkt? Die Meinungsfreiheit ist im Grundgesetz, Artikel 5, verankert. Jedoch gibt es drei gesetzlich verankerte Grenzen der freien Meinungsäußerung, die ebenfalls im Artikel 5 festgehalten sind.

Unter "Jugendschutz" fallen Grenzen für Meinungsäußerungen, wenn diese etwa Gewalt oder Verbrechen glorifizieren, Hass auf andere Menschen provozieren oder sexuelle Vorgänge in grob schamverletzender Weise darstellen.

Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit ist das "Recht der persönlichen Ehre". Darunter fallen Beleidigungen, Erniedrigungen und Verleumdungen. Eine Diskussion muss also fair seien.

Schließlich werden "generelle Gesetze" aufgeführt als Grenze der Meinungsfreiheit. "Generell" bedeutet, dass ein Gesetz nicht eine bestimmte Meinung verbieten darf, um andere Rechte und Werte zu schützen. Einzige Ausnahme für ein Verbot einer bestimmte Meinung ist die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Das fällt unter den Straftatbestand Volksverhetzung.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Aktuell steht im Entwurf des AfD-Wahlprogramms für die Bundestagswahl, der am Wochenende beschlossen werden soll, dass die AfD Rechtsextremismus, Linksextremismus sowie den religiösen, meist islamistisch geprägten Extremismus bekämpfen will. Allerdings kritisiert der Entwurf im weiteren Textverlauf lediglich Linksextremismus und einen islamistischen Extremismus. Die Thüringer AfD selbst wird vom Thüringer Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft, weil sie verfassungsfeindliche Positionen vertritt.

Höcke begründet seinen Vorstoß dem MDR damit, dass "ich in der Lage bin, meine Arbeit zu verrichten und die Sorgen und Nöte der Menschen deutlich artikulieren kann". Meinungsfreiheit werde aus seiner Sicht auch "über Strafrechtsparagrafen immer weiter ausgehebelt beziehungsweise eingeschränkt". Der Tatbestand "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen" sei ihm zu unbestimmt. Er gehe davon aus, dass sein Antrag beim Bundesparteitag angenommen wird und dass alle Thüringer AfD-Delegierten den Antrag auch unterstützen. Im Bundesvorstand gibt es dem Vernehmen nach keinen offenen Widerstand gegen den Antrag.

Falls der Antrag in das Wahlprogramm der AfD aufgenommen werden sollte, bleibt eine Umsetzung auf absehbare Zeit quasi ausgeschlossen. Denn für eine Gesetzesänderung müsste die Partei im Bundestag an der Mehrheit beteiligt sein. Doch keine der anderen Parteien, die im Bundestag sitzen, will mit der AfD aktuell zusammenarbeiten.

Höcke stand wegen beider Straftaten bereits vor Gericht

Wegen beider Vorwürfe wurde Höcke bereits angeklagt oder erstinstanzlich verurteilt. Das Landgericht Halle verurteilte Höcke im Vorjahr zweimal zu einer Geldstrafe, weil er jeweils die verbotene Parole "Alles für Deutschland" der paramilitärischen Sturmabteilung (SA) verwendet hatte. Höcke hatte zuvor seine Unschuld beteuert und spricht gegenüber dem MDR von einer "Willkürerfahrung" und "politischen Prozessen gegen einen führenden Oppositionspolitiker".

Während er beim ersten Mal vor Gericht erklärt hatte, dass er den Spruch als Parole im Nationalsozialismus nicht kannte, argumentierte er dann beim zweiten Mal, dass die Parole nur eine untergeordnete Bedeutung bei der SA gespielt habe. In beiden Fällen läuft eine Revision, weil das Urteil angefochten wurde.

Am Landgericht Mühlhausen ist seit dem Vorjahr ein Verfahren wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung gegen Höcke anhängig. Er wird verdächtigt, in den Sozialen Medien Migranten pauschal als Kriminelle stigmatisiert zu haben. Laut Landgericht ruht nach dem Regierungswechsel in Thüringen das Verfahren vorläufig, weil erst der Justizausschuss des neuen Landtages erneut die Immunität von Höcke aufheben muss, um das Verfahren fortzusetzen.

Eine Anzeige des Ex-Umweltministers Bernhard Stengele (Grüne) gegen Höcke wegen des Verdachts der Volksverhetzung verwarf die Staatsanwaltschaft dagegen im vergangenen November. Hintergrund waren Textzeilen eines Liedes eines nationalsozialistischen Lyrikers und Hitler-Verehrers, das dem Programm der AfD zur Landtagswahl im September vorangestellt worden war.

"Frontalangriff auf Verfassung": Scharfe Kritik der anderen Parteien im Thüringer Landtag

Die CDU kritisierte Höckes Vorstoß scharf. Er attackiere damit die Grundfesten der Demokratie, heißt es in einer Mitteilung. Höcke wolle ein Deutschland, das Hass und Spaltung über Freiheit und Verantwortung stellt, sagte Andreas Bühl, CDU-Fraktionschef im Thüringer Landtag. Diese Pläne seien ein Frontalangriff auf die Verfassung.

Auch das Thüringer BSW lehnt den Antrag ab. Es sei unbestritten, dass der Schutz der Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist, sagte Fraktionsvorsitzender Frank Augsten und ergänzt. "Straftatbestände wie Volksverhetzung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen dienen dem Schutz der Demokratie und des gesellschaftlichen Friedens." Eine Abschaffung oder Beschränkung könne rechtliche wie gesellschaftliche Unsicherheiten hervorrufen.

Die SPD-Landtagsfraktion wertet Höckes Vorstoß, Straftaten zu legalisieren, als weiteren Beleg für Angriffe der AfD auf die Verfassung. Die innenpolitische Sprecherin der SPD, Janine Merz, sprach von einer unerhörten Grenzüberschreitung. Die AfD wolle damit Regeln verändern und verbiegen, um künftig ungestraft Hass und Hetze zu streuen, wie es die Partei ständig tue.

Die Thüringer Linke-Vorsitzende und -Abgeordnete Ulrike Grosse-Röthig distanzierte sich ebenfalls scharf. Sie erklärte: "Wenn der Faschist Höcke nun Volksverhetzung und das Verwenden von rechtsradikalen und verfassungsfeindlichen Kennzeichen abschaffen will, dann ist sein Ziel durchsichtig." Laut Grosse-Röthig will Höcke damit den "Faschismus wieder salonfähig machen" und, dass immer mehr auch wieder sagbar werde. Sie fragt: "Würde es die Gesellschaft zulassen, wenn der Einbrecher die Strafbarkeit von Diebstahl abschaffen will? Wohl kaum."

Größere Diskussion um Volksverhetzung

Zu den beiden Straftatbestände der Volksverhetzung und der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen gibt es inzwischen unzählige Urteile, aber auch weiter Diskussionen. Bei der Anwendung der beiden Paragrafen muss laut dem Strafrechtler Edward Schramm größte Vorsicht gelten. Die juristische Praxis gehöre "eher zum Giftschrank des politischen Strafrechts". Beides seien "hochkomplexe Tatbestände". Und es finde in der Tat eine starke Einschränkung der politischen Meinungsfreiheit statt.

Diese ist aber aus Sicht des Professors an der Uni Jena aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands nötig: "Die historischen Fakten sind einfach erdrückend." Er fragt: Was würde es für den gesellschaftlichen Frieden und die öffentliche Ordnung bedeuten, wenn das Leugnen des Holocaust in Deutschland straflos wäre und etwa in den Sozialen Medien massenhaft praktiziert würde?

Professor Edward Schramm von der Universität Jena. Er ist Lehrstuhlinhaber für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Europäisches und Internationales Strafrecht.
Professor Edward Schramm ist Strafrechtler an der Universität Jena. Bildrechte: Universität Jena

Als Volksverhetzung gilt das Bestreiten, dass im Nationalsozialismus Menschen in Gaskammern ermordet wurden, explizit erst seit 1994. Zuvor wurde dies allenfalls als Beleidigung geahndet. Schramm verweist auch darauf, dass noch bis 1960 der Tatbestand "Anreizung zum Klassenkampf" hieß und praktisch vor 1945 Urteile wegen Volksverhetzung vor allem gegen Sozialisten oder Kommunisten fielen. Erst nach 1945 und dann in den 90er-Jahren gab es vorrangig Urteile gegen Menschen aus der rechtsextremen Szene."

Eine politische und wissenschaftliche Diskussion gab es nach einer Gesetzesverschärfung im Jahr 2022. Kritik kamen von Linkspartei und AfD, als FDP-Justizminister Marco Buschmann nach Druck durch die EU vorschlug, dass nicht nur die Verharmlosung des Holocaust sowie die Billigung von "Straftaten aller Art" ausdrücklich strafbar ist, sondern auch die Leugnung und gröbliche Verharmlosung von Völkermorden und Kriegsverbrechen in Deutschland als Volksverhetzung gelten sollten, wenn dabei zu Hass oder Gewalt aufgestachelt und der öffentliche Frieden gestört wird. AfD und Linke stimmten damals im Bundestag gegen die nichtsdestotrotz verabschiedete Gesetzesänderung.

Die Rechtspolitikerin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, erklärte damals gegenüber dem Onlinemagazin "Legal Tribune Online", dass durch die neue Regelung die Gefahr bestehe, die Meinungsfreiheit zu beschränken, weil ein tatsächlich strafbares Verhalten nicht vorliegen müsste. Auch von der AfD gab es damals schon Kritik. Der Geraer Bundestagsabgeordnete und Rechtspolitiker Stephan Brandner bemängelte demnach auch den Volksverhetzungs-Paragrafen, weil "etwa unbestimmte Rechtsbegriffe wie 'gröblich verharmlost'" verwenden würden.

Der Jenaer Jurist Schramm verweist darauf, dass die juristischen Diskussionen zu der Gesetzesänderung fortdauern. Denn Gerichte müssten zum Beispiel über eine Volksverhetzung entscheiden, obwohl etwa noch gar nicht völkerstrafrechtlich entschieden worden sei, ob Kriegshandlungen wie aktuell im Nahen Osten völkerrechtswidrig sind.

Anmerkung der Redaktion: Nach Auskunft der Nachrichtenagentur "dpa" sind die Anträge nicht durchgegangen und wurden daher nicht in das Programm der AfD zur Bundestagswahl aufgenommen.

MDR (kk/rom)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 09. Januar 2025 | 15:00 Uhr

151 Kommentare

Hebamme vor 11 Wochen

Naja, nach einem "Machtwechsel" in der Form von der Sie anscheinend träumen sind wir ziemlich weit entfernt. Und falls es so kommt gibt es auch den MDR nicht mehr. Dann jammert hier überhaupt niemand mehr. Gern können Sie nach Ungarn fahren und sich da mal informieren. Schlimmstenfalls auch nach Österreich.
Ich bin optimistisch...
Wäre ich das nicht könnte man Ihren Post als Drohung wahrnehmen, aber das wird ja wohl nicht so sein oder?

Peter vor 11 Wochen

Frau Weber: Ein ordentliches deutsches Gericht hat eine Entscheidung gefällt. Nach Recht und Gesetz.
Ob es Ihnen passt oder nicht.
Wenn Sie allerdings meinen, dass ordentliche deutsche Gerichte nach Gutdünken urteilen sollten, dann stehen Sie nicht auf dem Boden des Grundgesetzes.
Im Übrigen beneidet uns die ganze Welt (vielleicht außer Rußland und Nordkorea) um unsere unabhängigen und sachverständigen Gerichte. Wir sollten uns hüten, auf irgend Jemand zu hören, welche eine Justiz wie in den beiden oben genannten Ländern wünschen. Es wäre das Ende unserer Demokratie.

Der Matthias vor 11 Wochen

@ Britta.Weber

"Mit fällt es schwer, jemanden ernst zu nehmen, der dies verteidigt."

Mir persönlich fällt es schwer bzw. ist mir unmöglich, jemanden ernst zu nehmen, der einen Politiker verteidigt, der von Hitler schwärmt, in Bezug auf die monströsen Menschheitsverbrechen des NS und dem kollektiven Gedenken daran verächtlich von "dämlicher Erinnerungspolitik" spricht, sich mit der inzwischen verstorbenen Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck öffentlich solidarisiert oder generell Mitglied einer Partei ist, die aktuell z.B. einen Bundestagskandidaten (Matthias Helferich) aufstellt, der sich selbst als "das freundliche Gesicht des NS" bezeichnet hat! Von anderen politisch unappetitlichen Gestalten in dieser Partei mal ganz zu schweigen!

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