Regionalbahn Thüringen mal anders entdecken: Mit dem Ersatzverkehr von Erfurt nach Nordhausen

11. April 2023, 19:30 Uhr

Wegen hoher Krankenstände bei den Fahrdienstleitern gibt es für die Bahnstrecke zwischen Erfurt und Nordhausen Schienenersatzverkehr. Zusätzlich müssen die Busse noch Umleitungen fahren, da die B4 zwischen Greußen und Sondershausen teilweise gesperrt ist. Zeit, die Bus-Alternative einmal zu prüfen. MDR-Reporterin Mai-Charlott Heinze ist mitgefahren und hat gemerkt: Wer nicht beruflich pendeln muss und Zeit hat, kann so Thüringen auf eine ganz neue Art erkunden.

Die Straßen sind an diesem April-Freitag in rot-goldenes Licht getaucht, als ich mich gegen 7:15 Uhr auf die Suche nach meiner Haltestelle begebe. Heute fahre ich mit dem Bus. Mit dem Schienenersatzverkehr soll es von Erfurt nach Nordhausen gehen, da die Bahnstrecke teilweise nicht befahren wird. Hinzu kommt eine Umleitung, die den Bus über Westerengel und Kirchengel führen wird, da die B4 zwischen Greußen und Sondershausen streckenweise gesperrt ist. Die Sonne schiebt sich träge über die Dächer am Erfurter Hauptbahnhof, während ich weiter nach meinem Abfahrtsort Ausschau halte.

7:20 Uhr - Intercity-Hotel Erfurt

Die Bushaltestelle ist dann doch recht leicht gefunden. Direkt vor dem Intercity-Hotel ragen große, rot-violette Schienenersatzverkehr-Schilder in die Höhe. Gerade steht aber noch ein Reisebus davor. Mädchen und Jungen mit Mickey-Maus-Ohren steigen aus, umarmen ihre Eltern und plappern laut, aber sichtlich übermüdet, über ihre Erlebnisse. Trotz vorbeirollender Koffer schnappe ich das Wort "Paris" auf. Kurz erinnere ich mich an meine Klassenfahrt - mit dem Bus - nach Paris und sehe neidisch den Kindern hinterher, die jetzt sicherlich viel zu erzählen haben. An meiner Bushaltestelle wird es hingegen immer verwaister. Nur Gesprächsfetzen der Taxifahrer auf der anderen Straßenseite hallen über die leere Kurt-Schumacher-Straße.

7:25 Uhr - Intercity-Hotel Erfurt

Ein junger Mann gesellt sich zu mir. Mit einem dampfenden Pappbecher in der einen und einer kleinen Tüte in der anderen Hand, wirft er einen flüchtigen Blick auf den Busfahrplan. Der weiß, wie der Hase hier läuft, denke ich und fackele nicht lange: Ich spreche ihn an, froh, nicht alleine die kleine Thüringentour machen zu müssen. Und erneut wird es international in Erfurt. Der junge Mann bittet mich höflich, ins Englische zu wechseln. Er sei Student in Ilmenau, erzählt er mir. Heute wolle er seine Freundin in Nordhausen besuchen. "Also fährst du öfter nach Nordhausen?", frage ich neugierig nach. Ja, sagt er, dann nehme er aber den Zug. Nur fährt dieser heute nicht, weshalb er auf die Bus-Alternative gewechselt ist.

Normalerweise braucht man von Erfurt nach Nordhausen mit der Regionalbahn, je nachdem ob man den RE 55 oder RE 56 nutzt, eine Stunde und zwölf Minuten oder eine Stunde und 18 Minuten. Laut Online-Fahrplan der Deutschen Bahn werden wir mit dem Bus rund doppelt so lange fahren. Zwei Stunden und 33 Minuten Fahrzeit sind angegeben. Auf MDR THÜRINGEN-Anfrage begründet eine DB-Sprecherin dies mit hohen Krankenständen bei den Fahrdienstleitern, sodass die Stellwerke der Strecke nicht durchgängig besetzt werden können. Damit Reisende trotzdem fahren können, gibt es den Ersatzverkehr mit Bussen.

Als ich den Studenten darauf anspreche und frage, wie er denn diese längere Fahrzeit findet, schüttelt er nur mit einem Lächeln der Kopf. Das sei für ihn nicht schlimm. Hauptsache, der Bus komme pünktlich, erklärt er mir. Dann weist er mich darauf hin, dass er froh ist, den Bus als Ersatz für die Bahn zu haben. In anderen Ländern sei das schließlich nicht immer die Regel und da würde man dann einfach dastehen und warten müssen, bis das nächste Mal eine Bahn kommt.

7:28 Uhr - Intercity-Hotel Erfurt

Ein Bus rollt um die Ecke. Der Student und ich sind kurz sprachlos. Kann das wirklich unser Schienenersatzverkehr sein? Und das so - fast - überpünktlich? Ich trete zum Busfahrer, nachdem zwei Fahrgäste ausgestiegen sind und erkundige mich, ob dies tatsächlich schon unser Schienenersatzverkehr ist. Tatsächlich ist das der 7:40-Uhr-Bus nach Nordhausen. Es gehe dann auch pünktlich los, informiert er mich freundlich. Dann holt er ein belegtes Brot raus und nutzt die Zeit vor der Abfahrt für eine rasche Pause. Als ich einsteige, halte ich mein Ticket griffbereit. Das habe ich vorab beim DB-Schalter gekauft, nachdem mir erklärt wurde, dass keine Tickets im Bus selbst erworben werden können. Ich suche mir einen Platz.

Das Schriftbanner an einem Bus weißt auf den Schienenersatzverkehr hin
Die Busse für den Schienenersatzverkehr fahren zwischen Erfurt und Nordhausen. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Andreas Arnold

7:37 Uhr - Intercity-Hotel Erfurt

Ich nutze selten den Nahverkehr, zumindest innerhalb Thüringens. In meinem Heimatdorf wäre ich ohne Auto tatsächlich auch aufgeschmissen. Wenn ich an meinem Studienort bin, laufe ich die meisten Strecken zu Fuß. So kommt es, dass meine Kenntnisse über den öffentlichen Nahverkehr in Thüringen höchstens als spärlich zu bezeichnen sind. Auch deswegen bin ich ein klein wenig nervös, als ich meine Tour antrete. Der Bus, ein Stadtbus mit Platz für Kinderwagen und Fahrräder, füllt sich langsam. Ein Mann und eine Frau steigen ein. Sie haben Einkaufstaschen in der Hand. Ein weiterer junger Mann kommt dazu. Eine Frau mit Wanderrucksack fragt den Busfahrer, ob er auch in Greußen halte. Dieser bejaht. Danach erklärt er ihr, dass er jeden Ort anfahren müsse, an dem auch die Bahn gehalten hätte. Insgesamt sind wir sieben Fahrgäste, die im Schienenersatzverkehr-Bus von Erfurt nach Nordhausen an diesem Karfreitag fahren.

7:40 Uhr - Abfahrt Intercity-Hotel Erfurt

Wir fahren planmäßig los.

7:49 Uhr - Ankunft Erfurt, Nordbahnhof

Im Bus ist es warm. Die Heizung läuft. Das Gebläse übertönt alle anderen Geräusche. Die meisten meiner Mitfahrer haben aber sowieso Kopfhörer drinnen. Wir sitzen verteilt im ganzen Bus. Es ist still und bereits vor unserem ersten Halt schlafen die ersten Fahrgäste ein. Es ist noch früh am Morgen, als wir durch die Straßen Erfurts fahren. Um 7:49 Uhr haben wir unseren ersten Stopp: Erfurt, Nordbahnhof. Doch niemand will aus- oder einsteigen. Wir warten eine Weile an der Haltestelle, da wir zu früh angekommen sind.

8:04 Uhr - Ankunft Erfurt Gispersleben

Das gilt auch für die Haltestelle Gispersleben, die wir ebenso pünktlich um 8:04 Uhr erreichen. Über Kopfsteinpflaster geht es weiter in Richtung Norden. Das ist schon ein Unterschied zur Bahn, denke ich, als ich etwas durchgeschüttelt werde. Wir lassen Erfurt hinter uns. Häuser tauschen jetzt den Platz mit den ersten Acker- und Feldflächen. Malerisch schiebt sich die Sonne über diesen empor. Morgennebel steigt auf. Ich denke an Caspar David Friedrichs Gemälde "Der Wanderer über dem Nebelmeer" und stelle fest, dass dieses auch hier hätte gemalt werden können. Der Wanderer wäre dann nicht über, sondern im Thüringer Morgennebel gewatet, mit Blick auf Erfurt. Es geht weiter nach Kühnhausen.

Gemälde, ein Mann steht auf einem hohen Felsen, vor ihm eine Landschaft mit Felsen und Nebelschwaden.
Wer Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" sehen will, muss nicht umbedingt nach Hamburg in die Kunsthalle. Bildrechte: picture-alliance/ dpa/dpaweb | Folkwang-Museum/Elke Walfo

8:12 Uhr - Ankunft in Kühnhausen

Thüringen neu entdecken. Das erlebe ich an diesen Freitagmorgen und ich nehme Kleinigkeiten auf den leeren Straßen um mich herum war, die in der Hektik einer Zugfahrt vielleicht untergegangen wären. Ich sehe Hundehalter, die mit ihren kleinen oder großen Hunden spazieren gehen. Manche schlurfen noch müde hinter ihren Tieren her, andere sind voller Elan und joggen. In Elxleben baumeln penibel aufgehangene Gießkannen am Friedhof. Ein Osterhase aus Stroh sitzt auf einer gelben Plastiktonne und grüßt mich bei meiner Einfahrt in Kühnhausen.

8:21 Uhr - Ankunft Walschleben

Hier ist es seltsam flach im Vergleich zum Thüringer Wald. So flach, dass ich mich an meinen Urlaub in Ostfriesland zurückversetzt fühle. Ein kleiner Kanal schlängelt sich entlang der Straßen. Manchmal bedeckt von Schilf und anderen Gewächsen. Ein bisschen Friesland-Feeling in Thüringen. Im Bus ist es weiterhin ruhig. Fast alle Fahrgäste sind weggenickt. Nur der junge Mann hinter mir hat angefangen, ein paar Snacks zu essen. Selbst unser Busfahrer scheint die Karfreitagsruhe nicht stören zu wollen und hat nicht einmal das Radio an.

8:33 Uhr - Ankunft Gebesee und Ringleben

8:51 Uhr - Ankunft Straußfurt

9:02 Uhr - Ankunft Greußen

Als wir Greußen erreichen, habe ich einen Tiefpunkt. Die Fahrt scheint sich ab jetzt ewig hinzuziehen. Ich habe Hunger und frage mich spaßig, ob ein Speisewagen für eine Zweieinhalb-Stunden-Fahrt nicht angebracht wäre. Was meine Stimmung noch mehr trübt, ist die Tatsache, dass Thüringen langsam zum Leben erwacht. Ich sehe Jogger, die gut eingepackt an gefrorenen Grasflächen vorbeirennen. Die ersten Kinder fahren mit ihren Fahrrädern durch Greußens Gässchen und erinnern an die eigene Ferienzeit. Wir halten am Bahnhofshäuschen. Die Dame mit dem Wanderrucksack und der ältere Mann verlassen als erste unsere kleine Reiserunde. Stattdessen steigt ein Mann mit Fahrrad zu uns. Zielsicher parkt er es in den dafür vorgesehenen Bereich, ehe er sich seine Kopfhörer aufsetzt. Wir fahren weiter. Die Umleitung der B4, über Kirchengel und Westerengel, führt uns über asphaltierte Feldwege, die unser Busfahrer zielsicher befährt. Die Straße ist eng und er muss darauf achten, dass uns kein Gegenverkehr begegnet.

9:29 Uhr - Ankunft in Sondershausen

9:49 Uhr - Ankunft in Wolkramshausen

Ein Ende ist in Sicht. Meine Mitfahrer erwachen langsam, als wir Wolkramshausen erreichen. Eine gewisse Ungeduld macht sich breit. Die ersten Kopfhörer werden weggepackt, Jacken angezogen und im Bus kommt auf einmal eine nervöse Energie auf. Alle bereiten sich auf unsere baldige Ankunft vor. Auch ich freue mich darauf, raus aus der mittlerweile viel zu stickigen Luft zu kommen. Die Sonne steht schon hoch über dem Himmel und ich bin froh, wenn ich mir die Beine vertreten kann.

10:10 Uhr - Ankunft Nordhausen

Überpünktlich erreichen wir den Bahnhof in Nordhausen. Die planmäßige Ankunft in Nordhausen ist laut Fahrplan für 10:13 Uhr angegeben. Alle stürmen aus dem warmen Bus. Den Studenten aus Ilmenau verliere ich zuerst aus den Augen. Ich schaue mich um. Ein paar Jugendliche warten in der Bahnhofshalle. Reisende mit großen Koffern eilen an mir vorbei. Ich habe mein Ziel erreicht.

Später

Ich sitze im Zug zurück nach Erfurt. Ab Vormittag fahren die meisten Regionalbahnen auf der Strecke Erfurt-Nordhausen wieder im gewohnten Takt. Die Bahn ist gut gefüllt. In Sondershausen setzt sich sogar eine ältere Dame neben mich. Ich lehne den Kopf ans Fenster. An mir rauscht die Landschaft von heute Morgen vorbei. Wir lassen einen Ort nach dem anderen hinter uns. Viel zu schnell, um sich einmal in Ruhe umzuschauen. Das Träumen fällt mir jetzt schwer. Es ist nicht so ruhig wie im Bus. Hinter mir redet eine Gruppe junger Frauen. Dieses Mal bin ich es, die sich die Kopfhörer aufsetzt.

Bahnfahren: Das verbinde ich mit Hektik und manchmal auch mit viel Ärger, wenn zum Beispiel mein Fernverkehrszug schon wieder 90 Minuten Verspätung hat. Auch im Regionalzug, in dem ich jetzt sitze, ist es seltsam unruhig. Ein älteres Ehepaar in meiner Nähe blättert in einer Zeitung. Ich höre, wie sie sich sorgen, dass ihr Zug rechtzeitig kommt. Sie haben zwei große Koffer dabei, welche nicht in die Gepäckablage passen. An den Haltestellen zwängen sich die Zusteigenden an ihnen vorbei.

Wir halten immer nur kurz an den Haltstellen. Zu rasant, als dass ich mir die Ortsnamen merken könnte, wäre ich die Strecke nicht erst heute Morgen abgefahren. Stattdessen versuche ich, meine Eindrücke von der Fahrt mit denen von heute früh zu vergleichen. Das fällt mir schwer, da die Felder bei der Schnelligkeit des Zuges alle gleich aussehen. Bis wir plötzlich kurz anhalten. Kurz vor einem Dorf stehen wir auf weiter Flur. Und da! Ein Hase hoppelt an meinem Fenster vorbei. Ach ja, es ist Ostern.

MDR (mch)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 01. April 2023 | 10:00 Uhr

3 Kommentare

nl aus jena am 12.04.2023

"Wegen hoher Krankenstände bei den Fahrdienstleistern gibt es für die Bahnstrecke zwischen Erfurt und Nordhausen Schienenersatzverkehr."
Die Taetigkeit heisst Fahrdienstleiter.

DIT am 13.04.2023

Tolle Themenidee, schön geschrieben. Glückwunsch an die Autorin! Klasse, dass es für solche Beiträge Raum auf mdr.de gibt.

MDR-Team am 12.04.2023

Ascheregen aufs Haupt, ausgebessert, sorry.

Mehr aus der Region Erfurt - Arnstadt

Mehr aus Thüringen

Ein großer Bildschirm mit Thüringens Finanzministerin Heike Taubert, im Hintergrund eine Frau an einem Pult 1 min
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk
1 min 30.04.2024 | 20:36 Uhr

Die Thüringer Finanzämter nahmen im Vergleich zum vergangenen Jahr rund drei Prozent mehr Steuern ein. Insgesamt rund 8,4 Milliarden Euro. Gestiegen sind die Einnahmen aus der Lohn- Umsatz- und der Erbschaftssteuer .

Di 30.04.2024 19:24Uhr 00:30 min

https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/video-steuern-finanzaemter-plus-einnahmen-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video
Ein Mann unterhält sich mit Justizministerin Doren Denstädt und Innenminister Georg Maier 1 min
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk
Rutschentest 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK