Ein großer verzierter goldender Ring.
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Kommission entscheidet Unesco prüft Erfurts jüdisches Erbe - Antrag auf "Welterbe" eingegangen

01. Februar 2021, 17:23 Uhr

Erfurt hat den Antrag auf einen Unesco-Welterbetitel für das jüdische Erbe der Stadt fristgerecht eingereicht. Viele Touristen besuchen die Thüringer Landeshauptstadt, um mit der Alten Synagoge, der mittelalterlichen Mikwe und dem Erfurter Schatz das historische Judentum "zum Anfassen" erleben zu können. Jetzt entscheidet die Unesco-Kommission über den Erfolg des Antrags - voraussichtlich im Sommer 2022.

MDR-Autorin Antje Kirsten
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Hinter der Krämerbrücke in der Erfurter Altstadt machen Archäologen 2007 einen sensationellen Fund. Bei Ausgrabungen entdecken sie eine Mikwe. Das jüdische Ritualbad gehörte einst zur Alten Synagoge, die um das Jahr 1100 errichtet wurde. Denkmalpfleger, Historiker und Archäologen sind begeistert. Die ersten Stimmen werden laut, dass sich Erfurt mit seinem mittelalterlichen, jüdischen Erbe doch um den Unesco-Welterbetitel bewerben könnte. Ein Jahr später beschließt der Erfurter Stadtrat, genau das zu tun und plant für zwei Mitarbeiter Geld in den Haushalt ein. Maria Stürzebecher wird Unesco-Beauftragte der Stadt, lenkt und leitet die Forschungsarbeiten, reist zu internationalen Symposien und Ausstellungen, holt Wissenschaftler nach Erfurt, verfasst Broschüren und Bücher und ist mit jedem Tag mehr vom Erbe Erfurts begeistert. "Was Erfurt an steinernen Zeugnissen jüdischer Geschichte besitzt, ist einzigartig in der Welt", sagt die Kunsthistorikerin.

Maria Stürzebecher und Sarah Laubensein im Innenhof der Alten Synagoge
Die Unesco-Welterbenbeauftrage der Stadt Erfurt: Maria Stürzebecher im Innenhof der Alten Synagoge. (Archivbild) Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Jüdische Geschichte in Erfurt "plastisch" und "lebendig"

Im Mittelalter habe es einige Städte von der Bedeutung und Größe Erfurts mit jüdischen Gemeinden und Quartieren gegeben, aber davon sei meist nicht mehr viel übrig, sagt Maria Stürzebecher. Bei den allermeisten Orten sei bekannt, dass es jüdische Ansiedlungen gab, aber sie sind heute nicht mehr vorhanden oder es sind - wie in Regensburg - nur noch Fundamente einer Synagoge erhalten. In Erfurt, so Stürzebecher, ist das ganz anders. "Hier sind nicht nur die Alte Synagoge, die Mikwe oder mit dem Steinernen Haus ein jüdisches Wohnhaus erhalten, selbst die Quartiersstruktur ist in der Altstadt von Erfurt noch da. Das bauliche Ensemble ist das Besondere." 

Ergänzt wird dieser steinerne Schatz mit Gold und Silber sowie historischen Dokumenten. Sachzeugnisse wie der jüdische Schatz mit dem Hochzeitsring, über 3.000 Münzen, Handschriften wie der Erfurter Judeneid dokumentieren über 1.000 Jahre jüdische Geschichte. "Wir können hier so lebendig, so plastisch jüdische Geschichte im Mittelalter in einer Stadt erzählen wie in sonst keinem Ort. Erfurt steht damit exemplarisch für jüdisches Leben in vielen Städten vor 800, 900 Jahren".

 

Die Außenfassade der alten Synagoge in Erfurt.
Die Außenfassade der alten Synagoge in Erfurt. Bildrechte: Stadtverwaltung Erfurt; V. Gürtler

Erfurt bei Antrag auf sich allein gestellt

Das Ensemble von Alter Synagoge, Mikwe und Steinernem Haus soll die Welterbekommission überzeugen. Am Anfang des Weges hoffte Erfurt noch mit den sogenannten Schum-Städten - Speyer, Worms und Mainz - einen gemeinsamen Antrag auf den Welterbetitel einreichen zu können. Doch Rheinland-Pfalz lehnte dankend ab und setzte auf Alleingänge. Die Schum-Städte gaben ihren Antrag, der sich ebenfalls mit dem jüdischen Erbe befasst, vor genau einem Jahr ab. Die Schum-Städte haben die Dokumente, Erfurt die Bauten. "Bei uns braucht man keine Phantasie, um sich die Vergangenheit vorzustellen, bei uns ist sie zu sehen, zu berühren", sagte einst Erfurts Kulturdezernent Tobias Knoblich.

2014 kam Erfurt auf die Tentativliste. Diese Vorschlagsliste enthält die Kulturdenkmäler und Schutzgebiete einzelner Staaten, mit der sie eine Nominierung als Unesco-Welterbe anstreben.

Pointierter Antrag fristgerecht bei Unesco eingereicht

Und jetzt, zum 1. Februar 2021, ist es geschafft: Der Welterbeantrag ist fertig. Das Nominierungsdossier Erfurt umfasst schmale 221 Seiten, ergänzt von einem Managementplan mit 148 Seiten. Beide Dokumente sind in Englisch verfasst, edel gebunden und tragen den schlichten Titel "Das jüdisch-mittelalterliche Erbe in Erfurt". Sie habe lernen müssen, dass es auf Unesco-Ebene um prägnante und leicht verständliche Slogans gehe, sagt Stürzebecher. Für Experten, die sich weltweit mit dem Unesco-Antrag beschäftigen, müsse auf den ersten Blick klar sein, um was es geht.

Die Stadt Erfurt konnte ihren Antrag nicht selbst einreichen, das darf nur die Bundesrepublik Deutschland. Das Prozedere ist genau vorgeschrieben. Der Welterbeantrag ging zunächst an die Thüringer Staatskanzlei. Dort wurde er unterschrieben und direkt ans Auswärtige Amt geschickt. In der Corona-Pandemie wurde ein Schritt ausgespart. Die Kultusministerkonferenz hätte normalerweise den Antrag vorher erhalten müssen. So aber ging das Papier vom Auswärtigen Amt direkt ans Unesco-Hauptquartier nach Paris. Dort liegt er bereits seit ein paar Wochen, obwohl die Deadline erst der 1. Februar war.

"Eigentliche Arbeit" beginnt erst nach Antrag

"Wir waren fertig", so Stürzebecher. Aus Paris habe es schon die ersten Signale gegeben, dass der Antrag vollständig ist. "Ich bin nach all den Jahren und der vielen Arbeit so froh, dass wir alles in der Frist geschafft haben", sagt die 46-Jährige. Muss sie nun nur noch warten? Nein, lacht sie und sagt, das werde sie gerade oft gefragt. Jetzt beginne erst die eigentliche Arbeit. Denn jetzt prüfe die Unesco ja genau, ob auch alles stimmt, was da so im Erfurter Antrag steht. Gutachter des Internationalen Rates für Denkmalschutz nehmen sich jede Zeile des Papieres vor und werden auch nach Erfurt reisen - wenn es wieder geht. Und das ist dann ein bisschen wie bei Restauranttestern. Die Experten kommen ohne Ankündigung. Ihr Gutachten ist entscheidend für die Unesco-Kommission. Im Sommer 2022 soll die - so sieht es der derzeitige Zeitplan vor - über den Welterbeantrag von Erfurt entscheiden.

 

Erfurt: Drei Szenarien nach Antragstellung möglich

Es gibt drei Szenarien. "Wir hoffen natürlich darauf, dass wir den Titel erhalten", sagt Stürzebecher. Die zweite Variante wäre die Schlechteste: Der Welterbeantrag wird abgelehnt. Dann gibt es keine zweite Chance für Erfurt. Variante drei wäre: Die Unesco gibt den Antrag zum Nacharbeiten zurück. Für Maria Stürzebecher gibt es aber eigentlich nur eine Variante: Sie arbeite jetzt seit so vielen Jahren auf den Titel hin, dass es nur das Ziel geben kann, dass es im ersten Anlauf klappt. Wenn nicht, sagt Stürzebecher, sei das dennoch kein Weltuntergang.

In den vergangenen Jahren sei das jüdische Erbe so in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, habe so einen hohen Stellenwert in der Stadtgeschichtsforschung bekommen, sei so ein wichtiges Thema für die Stadt, die Kulturszene geworden, dass man unter diese Flughöhe nicht mehr sinken werde. Die Alte Synagoge ziehe - in normalen Jahren - jährlich etwa 45.000 Besucher an, Tendenz steigend. Viele Touristen kamen - vor Corona - nach Erfurt, um genau das zu erleben: jüdische Geschichte hautnah.

 

"Erfurter Schatz" in Alter Synagoge ausgestellt

Die neueste Ausstellung in der Alten Synagoge - zur Zeit zwar leider geschlossen - präsentiert erstmals alle drei in Europa bislang entdeckten jüdischen Hochzeitsringe aus dem Mittelalter. Sie erzählt, wie emanzipiert jüdische Frauen im Mittelalter waren, dass sie nach dem Tod ihres Mannes dessen Geschäfte fortführen oder sich auch scheiden lassen konnten. Und sie erzählt auch davon, dass jüdische Vergangenheit nicht nur aus Pogromen und Vertreibung besteht, sondern auch aus Musik, fröhlichen Festen und einem engen Miteinander mit den christlichen Nachbarn.

Für Erfurt heißt es nun: Daumen drücken. Der Welterbeantrag ist abgeschickt. Er ist schon vorfristig zum eigentlichen Abgabetermin 1. Februar in Paris eingetroffen.

Eröffnung der Ausstellung - Jüdischer Schatz - in der Alten Synagoge in Erfurt
Eröffnung der Ausstellung - Jüdischer Schatz - in der Alten Synagoge in Erfurt. (Archivbild) Bildrechte: IMAGO / Bild13

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 01. Februar 2021 | 19:00 Uhr

4 Kommentare

ule am 02.02.2021

@ "genau das zu tun und plant für zwei Mitarbeiter Geld in den Haushalt ein"

So hat das ganze auch etwas Gutes. Jüdische Vergangenheit, schafft Wohlstand und Arbeitsplätze in der Gegenwart.

Die freiwillige und großzügige Umverteilung von Geld, hat in Deutschland eine lange Tradition.
Auch dass hat seine Geschichte, die es es gilt, lebendig zu halten.

MAENNLEiN-VON-DiESER-WELT am 02.02.2021

Erst BUNDESgartenschau und jetzt sogar WELTniveau❓— Erfurt kommt...❗️👍 😎

....und die Touristen werden auch wieder in Ströhmen in die Landeshauptstadt gekarrt werden . Obwohl mich dieses „Marketingkonzept“ noch nicht so ganz
richtig überzeugen will . Vielleicht geht’s ja dennoch genauso gut aus für den
Osten — wie bei der Bewerbung um die Europäische Kulturhauptstadt 2025 .

Mazel tov ‼️

Harka2 am 01.02.2021

Ja, die westliche Welt hat den Juden viel zu verdanken. Mit ihnen gelangte das Wissen der alten Hochkulturen wie das der Ägypter, der Griechen und der Römer in unsere mittelalterliche Welt. Sie führten jahrtausende altes nicht nur medizinisches Wissen in die Welt des Mittelalters ein und entwickelten es weiter. Erfurt hat früh diese Gelehrten gesucht und sesshaft gemacht. Nur ist Erfurt ein schlechtes Beispiel für die Integration der Juden, denn Erfurt steht auch für die frühesten Progrome gegen sie.

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