Sparpläne Trotz wochenlanger Proteste: Musikhochschule Weimar schließt Institut für Alte Musik
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02. Juli 2024, 16:04 Uhr
Aus Spargründen will die Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar ihr Institut für Alte Musik abbauen. Das Präsidium begründet die Entscheidung mit einer geringen Auslastung und zu wenig Bewerbern für die Studiengänge. Wochenlang protestierten Studierende für den Erhalt des Instituts und holten prominente Unterstützer ins Boot. Trotzdem ist es nun beschlossene Sache: Ab 2026 werden am Institut für Alte Musik keine Studierenden mehr aufgenommen.
Es ist eine kulturpolitische Debatte, die längst über Weimar hinaus Schlagzeilen gemacht hat. Das Institut für Alte Musik und die dort verankerten Instrumentalstudiengänge sollen abgebaut werden. So steht es im sogenannten Struktur- und Entwicklungsplan (kurz "STEP"), den die Hochschule für Musik (HfM) im April vorgelegt hat. Welche weitreichenden und kontroversen Diskussionen der Entwurf nach sich ziehen würde, hatte damals wohl keiner geahnt.
Kurz nachdem die Neuigkeiten bekannt wurden, erhob sich lauter Protest. In einer Petition sammelten Studierende über 30.000 Unterschriften für der Erhalt ihres Instituts und konnten dabei zahlreiche Unterstützer aus der Musikszene für ihre Sache gewinnen.
Ausgerechnet im Barockland Thüringen, einer der wichtigsten Wirkstätten Johann Sebastian Bachs, sei ein Institut für Alte Musik unverzichtbar, so die Kritik an den Abwicklungsplänen. Von einem "kulturellen Verlust für Thüringen" ist die Rede. Spätestens seit sich der britische Dirigent Sir John Eliot Gardiner oder der Stargeiger David Garrett für die Rettung des Musikinstituts ausgesprochen haben, sind alle Augen auf Weimar gerichtet.
Mit dem Entwicklungsplan "Step" will sich die Hochschule nach eigenen Angaben neu orientieren und für die Zukunft rüsten. So ist vorgesehen, den musikpädagogischen Bereich und die Ausbildung im Kulturmanagement an der Hochschule zu stärken. Auch ein neuer Studiengang, Musiktherapie, soll in den kommenden Jahren gegründet werden. Im Zuge akuter Sparzwänge soll aber auch das 2008 gegründete Institut für Alte Musik abgebaut werden.
Die Nachfrage sei einfach zu gering, erklärt Vizepräsident Jens Ewen. In diesem Jahr habe es nur sieben Bewerber für die Studiengänge gegeben. Aktuell lernen am gesamten Institut 24 Studierende. Für viele Musiker sei das Risiko einfach zu hoch geworden, vermutet Jens Ewen: "Die Aussicht, mit dieser Ausbildung in einem öffentlich finanzierten Orchester zu landen, ist relativ gering. Das ist in den Studiengängen für die klassische Musikausbildung nicht so. Das heißt, man bewegt sich auf eine freie Szene zu und die ist natürlich spätestens seit der Pandemie sehr unter Druck."
Unter sogenannter Alte Musik wird Musik aus dem frühen Mittelalter über die Renaissance bis in die Barockzeit zusammengefasst. Obwohl die Alte Musik eine enthusiastische Anhängerschaft hat, ist sie ein Nischenfach - und wenn die Corona-Pandemie eines deutlich bewiesen hat, dann, dass es kulturelle Nischen besonders schwer haben.
Wir merken, dass ganz viele Musiker, die in Deutschland erfolgreich sind, in Weimar ausgebildet wurden.
Das Musikinstitut abzubauen, sei der falsche Ansatz, findet Studentin Katharina Klehr: "Wir merken, dass ganz viele Musiker, die in Deutschland erfolgreich sind, in Weimar ausgebildet wurden", sagt die Flötistin. "Und die sind auch die Basis für renommierte Barockfestivals wie den 'Güldenen Herbst' oder die 'Thüringer Bachwochen'", ergänzt Kommilitone Carl Franke. Im Juni haben Katharina Klehr, Carl Franke und andere Studierende in Weimar mit Protestaktionen und -konzerten von sich Reden gemacht. Auch die Petition haben sie gestartet.
Hochschule: Angebot modernisieren
Das Präsidium der Hochschule versichert, man habe größtes Verständnis für die Studierenden und Lehrenden, die sich für ihr Institut einsetzen. Allerdings sei die aktuelle öffentliche Diskussion laut Vizepräsident Jens Ewen stark verkürzt und werde zu einseitig dargestellt.
"Es geht uns nicht ausschließlich um finanzielle Einsparungen, sondern es geht vor allem um eine Modernisierung unseres Angebots. Das heißt, wir wollen die Alte Musik und die sogenannte historisch informierte Aufführungspraxis in die Breite bringen."
Es geht uns nicht ausschließlich um finanzielle Einsparungen, sondern es geht vor allem um eine Modernisierung unseres Angebots.
Bedeutet ganz konkret: Statt einem eigenständigen Institut, an dem Studierende ausschließlich in Alter Musik ausgebildet werden, soll der Bereich stärker in andere künstlerische Studiengänge integriert werden. Musikstudierende wären dann noch breiter, interdisziplinärer aufgestellt und damit besser auf die Musikwelt vorbereitet, begründet die Hochschule.
Das klinge ja erstmal nach einer innovativen Lösung, sagt Studentin Katharina Klehr, "aber wir fürchten einfach, dass, wenn die Originalsprache der Alten Musik nicht mehr am Institut für Alte Musik gesprochen wird, dass dann dieser Klang in Weimar vollständig verloren geht."
Abwicklung der des Instituts bis 2031
Fast drei Stunden dauert die Versammlung, in der über den "Step" und damit auch über das Schicksal des Instituts für Alte Musik abgestimmt wird. Außenstehende haben keinen Zutritt. Die Stimmung sei angespannt und die Diskussion leidenschaftlich gewesen, berichten mehrere Anwesende. Studierende und Lehrende hatten bis zuletzt gehofft, dass die Entscheidung noch zwei Jahre aufgeschoben werden könnte.
Bis dahin hätte beobachtet werden können, ob sich das Institut von seinem Corona- und Bewerberknick rehabilitiert, heißt es. Doch Senat und Hochschulrat machen kurzen Prozess. Damit ist klar: ab 2026 werden keine neuen Studierenden mehr aufgenommen. Alle eingeschriebenen Studentinnen und Studenten können ihre Ausbildung regulär beenden. Bis 2031 soll das Institut dann vollständig abgewickelt sein.
Frust und die Enttäuschung bei den Studierenden
Diese Entscheidung sei schon lange vor der Versammlung getroffen worden, ist sich Student Carl Franke sicher. "Wenn nicht in den Abstimmungsergebnissen, dann zumindest in den Köpfen."
Der Frust und die Enttäuschung steht den Studierenden an diesem Montagabend ins Gesicht geschrieben. "Wir sind unglaublich müde, weil wir die ganze Zeit kämpfen mussten", sagt Katharina Klehr. Wegen der medialen Aufmerksamkeit sowie der Statements von David Garrett und Co. hatten sie bis zuletzt auf ein Happy End gehofft.
Riss in den Reihen der Hochschule
Die vergangenen Wochen und der nun gefasste Beschluss haben einen spürbaren Riss in den Reihen der Hochschule hinterlassen. Jonas Dippon, Studierendenvertreter im Senat, sieht die Ursache dafür vor allem in der Kommunikation - und zwar auf allen Seiten: "Begonnen hat es auf der einen Seite mit einer etwas misslich verlaufenen Kommunikation der Hochschulleitung. Das hat dann einen energischen Höhepunkt gefunden, als Sachen an die Öffentlichkeit gekommen sind, die so nicht an die Öffentlichkeit hätten kommen sollen. Nicht zuletzt gab es dann eine sehr unglückliche Berichterstattung, die auf einzelne Personen abgezielt hatte. Und das, was dann auseinander gedriftet ist, hat bis zuletzt eigentlich nie wieder zusammengefunden."
Zurück bleibt ein Scherbenhaufen. Die Ereignisse sollen jetzt hochschulintern aufgearbeitet werden, sagt Vizepräsident Jens Ewen. "Die Aufgabe wird jetzt eben sein, in einem Moderationsprozess die Hochschule nach und nach auf diesen Weg zu bringen. Auch mit denjenigen, die nicht alles umgesetzt sehen, was sie sich gewünscht hätten. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir sie mitnehmen können."
Ringen um Alte Musik geht weiter
Denn jetzt muss ein Konzept ausgearbeitet werden, wie die Alte Musik ohne eigenständiges Institut an der Hochschule weiterleben kann. Denkbar seien etwa ein Nebenfach oder freiwillige Wahlfächer.
Für die Studierenden bleibt somit ein Hoffnungsschimmer, dass nicht alles verloren ist. An den Gesprächen über mögliche Fächerverschränkungen wollen sie sich beteiligen. Das Ringen um die Alte Musik in Weimar geht also weiter. Auch, wenn das dazugehörige Institut schon bald der Vergangenheit angehören wird.
MDR (caf,ost)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Johannes und der Morgenhahn | 02. Juli 2024 | 07:00 Uhr
goffman vor 23 Wochen
Bitte? Es gibt genug Parteien, die sich für eine bessere Finanzierung der Hochschulen stark machen.
Siehe z.B. BT Wahlprogramm der Grünen: Rubrik: „Die Wissenschaft auskömmlich finanzieren“, oder auch: „Unser Ziel ist, einen individuellen Rechtsanspruch für jedes Grundschulkind auf Ganztagsbildung und -betreuung mit Qualitätsstandards umzusetzen – mit ... einer breit gefächerten Zusammenarbeit mit ... Musikschulen ...
Derartige Kooperationen wollen wir finanziell unterstützen.“
Es gibt Parteien, die sich für Bildung, Musik und Kultur stark machen und dies auch finanziell fördern wollen. Wir könnten was machen, aber wir haben diesen Parteien halt keine Mehrheit gegeben.
goffman vor 23 Wochen
Wenn die Bewerberzahlen nicht ausreichen, dann ist eine Schließung des Instituts gerechtfertigt. Wichtig ist, dass das Wissen trotzdem vermittelt wird, z.B. als Nebenfach.
Finanzielle Gründe sollten allerdings nicht das Problem sein. Wir sollten uns als Gesellschaft dafür einsetzen, dass Hochschulen generell gut finanziert sind. Auch die musikalische Bildung sollte deutlich stärker gefördert werden. Wünschenswert wäre, wenn jedes Kind die Möglichkeit hat, ein Instrument zu erlernen und auch durch die Schulen dazu ermuntert wird. Es ist ein Problem, wenn wir uns allein auf die MINT Fächer fokussieren und unsere Kultur, Werte oder auch die Geisteswissenschaften vernachlässigen.
Der Mensch ist mehr als ein Taschenrechner.
goffman vor 23 Wochen
1. Nicht die Kultur wird abgeschafft, sondern ein Institut zum Nebenfach.
2. Was hat denn „die Politik“ damit zu tun? Es ist eine Entscheidung der Hochschule, begründet durch zu geringe Bewerberzahlen, also durch zu geringes Interesse durch uns Bürger für diese doch sehr spezielle Musik.
3. Welche Parteien setzen sich denn für eine (finanzielle) Förderung von Musik, Kultur und Hochschulen ein? Die rechten Parteien und die FDP wollen doch eher einen strengen Sparkurs und Deutschland weiter kaputt sparen.