Unstrut-Hainich-Kreis Digitalisierung in der Pflege: Riesentablet statt Roboter für Seniorenheim

26. Oktober 2022, 23:05 Uhr

In einem Pflegeheim in Diedorf arbeiteten bis vor kurzem 61 Mitarbeiter. Seit einigen Wochen sind es nur noch 60. Einer verlor seinen Job. Er heißt "Pepper" und ist ein Pflegeroboter. Der Kündigungsgrund: Ein riesiges Tablet macht seine Arbeit besser.

Der Pflegeroboter "Pepper" zog vor einem Jahr in Diedorf im Unstrut-Hainich-Kreis ein. Ein kindlicher Kopf, ein weißer Torso und zwei Arme. Das runde Gesicht hat zwei dunkle Glubschaugen, hinter denen sich Kameras verstecken. Der Mund lächelt zart. "Pepper" sollte eine Maschine sein, die menschlich wirkt. Sprache verstehen, Menschen erkennen und interagieren.

Mit Witzen sollte er die Senioren unterhalten oder auf Nachfragen zum Wetter reagieren. Ein Roboter, der Pflegekräfte unterstützt. Fast wie in einem Science-Fiction-Film. So die Theorie.

Sensibles Gerät scheiterte schnell

Die Praxis brachte Pepper schnell an seine Grenzen. Und das schon beim Auspacken. "Wir nahmen ihn aus dem Karton, schalteten ihn ein. Dann hat man ihn einmal falsch angefasst und plötzlich sackte der ganze Roboter in sich zusammen. Der Roboter ist sehr sensibel", sagt Silas Geisler, Physiotherapeut im Pflegeheim.

"Pepper" war mal eine ganz große Nummer. Kaum ein Medienartikel, der von Digitalisierung in der Pflege handelte, kam ohne ein Foto des lächelnden Pflegeroboters aus. Weltweit auf Technologie-Messen der vergangenen Jahre fuhr ein "Pepper" herum. Der Roboter war die personifizierte Pflege der Zukunft. Doch vor knapp einem Jahr "pausierte" das japanische Unternehmen plötzlich die Produktion, wie der britische Sender BBC meldete.

Die Auswirkungen spürte man auch im Unstrut-Hainich-Kreis. Plötzlich erhielt der Roboter keine Updates mehr. Software-Fehler wurden nicht mehr korrigiert, die Funktionen nicht erweitert. "Ohne die Updates wurde er zunehmend unbrauchbar", sagt Heimleiter Dieter John.

Senioren lehnten Roboter ab

Doch nicht nur die Updates fehlten. Die Mitarbeiter zeichnen das Bild eines Schaufensterprojekts. Spektakulär beim ersten Eindruck, in der Pflege unnütz. Schon die Spracherkennung war ein Problem. Die älteren Menschen verstanden "Pepper" nicht, "Pepper" verstand die Menschen nicht. Jedes Echo-Gerät mit "Alexa" sei dem Roboter haushoch überlegen.

Denn "Pepper" sieht nicht nur aus wie ein Roboter, er spricht auch so. "Wenn er etwas sagt oder vorliest, klingt das sehr eintönig und monoton. Das haben viele nicht verstanden", sagt Physiotherapeut Geisler. Plötzlich unterbricht der Roboter das Gespräch. Er hat Worte gehört, die er als Befehl verstand und sagt: "Ich versuche zu erkennen, wie alt du bist!"

Neben der humanoiden Form, sollte der Roboter auch ein mobiles Tablet sein. Ein kleiner Touchscreen ist auf der Brust montiert. Viel zu klein für ältere Menschen, sagen die Pfleger. Nach wenigen Wochen hätten die meisten Bewohner beim Thema Roboter abgewunken.

"Pflegetisch" ersetzt Roboter

An dieser Stelle hätte das Thema Digitalisierung in der Einrichtung in Diedorf enden können. Doch Leiter Dieter John entschied sich anders. Statt eines Roboters steht in Diedorf nun ein riesengroßes Tablet. Der "CareTable" einer ostdeutschen Firma. Das neue Gerät heißt nicht umsonst übersetzt "Pflegetisch". Das Riesentablet kann wie eine Tafel hochgefahren oder wie zu einer Tischplatte gesenkt werden.

In den "CareTable" hat das Pflegeheim etwa 8.000 Euro investiert. Roboter "Pepper" dagegen sei deutlich teurer gewesen, sagt Leiter John. In der Grundausstattung hatte er 30.000 Euro gekostet.

Das Tablet wirkt nicht so spektakulär wie ein Roboter. Hochgefahren sieht der "CareTable" aus wie ein dicker Flachbildfernseher. Doch das Gerät gilt schon nach wenigen Wochen Probe als erfolgreich. Ein Fan des Riesentablets heißt Luzia Herold. Sie ist 83 Jahre alt. "Am liebsten spielen wir Bingo!" sagt sie.

Herold geht mit ihrem Rollator ganz selbstverständlich an den "CareTable". Sie drückt auf eine App namens "Spiele" und dann auf "Bingo". Ein Spiel öffnet sich. Es wirkt wie ein Mobile Game auf einem Smartphone oder normalen Tablet. Nur um ein Vielfaches größer.

Die Größe macht's

In der Größe liegt das Erfolgsgeheimnis. Das App-Format ist leicht zu bedienen. Das Gerät bietet Spiele an, die die Senioren kennen. Für Bingo wird das Gerät per Fernbedienung heruntergefahren und automatisch umgeklappt. Nun ist es ein Touchscreen-Tisch. In jeder Ecke liegt einer der vier Bingo-Spielbereiche. Für Senioren mit Rollator oder Rollstuhl ist das Gerät genauso zugänglich, wie für Senioren ohne Gehilfen. Die Menschen sitzen zusammen wie bei einem normalen Bingo-Spiel.

Von YouTube bis zur MDR-App

Neben Spielen gibt es auch Nachrichten. Eine der vier großen Apps heißt "Medien". Drückt man darauf, erscheinen TLZ, MDR, ARD, ZDF und YouTube. Drückt man auf MDR, öffnet sich die Nachrichten-App wie auf dem Handy. Nur der Text lässt sich enorm vergrößern. "Das nutzen Bewohner, die auch gerne Zeitung gelesen haben, aber wegen der kleinen Schrift nicht mehr in der Lage dazu waren", sagt Steffen Dimt, aus dem Sozialbereich des Heims.

Der CareTable selbst steht auf Rollen. Damit kann das Gerät regelmäßig durch das Haus wandern. Einmal pro Woche bringen Mitarbeiter das Gerät in die Wohnbereiche. Die Pflegemitarbeiter trainieren so die Fitness der Bewohner, etwa mit geführten Yoga-Apps am Bildschirm.

"Der 'CareTable' ist eben ein großer Touchscreen mit Internetverbindung. Dadurch sind die Möglichkeiten extrem vielfältig", sagt Dimt. Der Roboter kann da nicht mithalten.

Dennoch hat "Pepper" nicht ganz ausgedient. Das Unternehmen Zipp, das das Pflegeheim in Diedorf betreibt, hat auch eine eigene Ausbildungsakademie. Der Roboter kommt nun dort im Unterricht zum Einsatz.

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Nachmittag | 29. Oktober 2022 | 16:38 Uhr

6 Kommentare

Peter Pan am 27.10.2022

Die Überschrift ist etwas irreführend, ich dachte da sofort an ein Tablet, auf dem man etwas drauf stellen kann und fragte mich, wer das dann trägt, eigentlich ist das ein interaktiver Bildschirm mit touchscreen.

schwester65 am 27.10.2022

Ganz tolle Aktion, Pflegeroboter statt Zuwendung und menschlicher Wärme.
Und während die Pflegekräfte weiterhin von Bewohner zu Bewohner hetzen, um die Körperpflege durchzuführen und Inkontinenzmaterial zu wechseln sowie schnell Mahlzeiten und Medikamente zu verabreichen, interagiert der Pflegeroboter mit den Bewohnern und erzählt Witze. Kann sich eigentlich jemand vorstellen, dass genau dieses "sich kümmern", Gespräche oder gemeinsames Spielen, der soziale Kontakt also, auch den Pflegekräften mehr Spaß machen würde, als das fliessbandmässige Abarbeiten der Grundkrankenpflege?

salzbrot am 27.10.2022

Wie schrecklich diese Tablets. Wären die Schwierigkeiten mit dem Roboter nicht aufgetreten, wäre er ganz sicher akzeptiert bei den alten Leutchen. Denn Sie wollen Ansprache von einem lebendigen Wesen oder einem, dass wenigstens so aussieht, wenn es durch Personalmangel schon kein Pfleger sein kann, dann von einem netten Roboter. Tablets sind da keine Alternative. Schrecklich diese Dinger zumindest als Pflegerersatz.

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