Wahre Kriminalfälle Nächste Haltestelle: Mord-Tatort

11. Dezember 2022, 20:27 Uhr

Ob Roman, Film oder Podcast - Kriminalfälle faszinieren die Menschen. In Gera gibt es jetzt ein ganz besonderes Krimi-Format: eine Straßenbahn-Tour mit einem ehemaligen Kriminalkommisar zu Tatorten echter Mordfälle.

Erst ein leckeres Frühstück in einem Café und gleich danach gibt es schwere Kost: Bei der Krimi-Straßenbahn-Tour durch Gera geht es um Bluttaten und die Erkundung ihrer Tatorte. Was dort zur Sprache kommt, das sind keine Schriftsteller-Phantasien, sondern die echten Ermittlungen eines ehemaligen Kriminalisten. In dieser Art dürfte das deutschlandweit einmalig sein.

Ehemaliger Mord-Ermittler packt aus

Hans Thiers war von 1980 bis 1990, der Chef einer MUK, einer Morduntersuchungskommission, und er war erfolgreich: 98 Prozent der Fälle konnte seine MUK aufklären. Doch die restlichen zwei Prozent beschäftigen Hans Thiers bis heute. Bei seinen Krimi-Touren durch Gera spricht er es offen aus: Es ärgert ihn, wenn es einmal nicht gelang, einen Täter zu finden oder zu überführen. Bei der Tour mit der Straßenbahn erzählt Thiers von einem Fall von 1983: "Leider ist die Vermisstensache Michaela Wagner bis heute offen." Das kleine Mädchen war mit einem Unbekannten mitgegangen. Eine Spielkameradin hatte den Mann gut beschrieben. Der mutmaßliche Täter wurde nach einem Tötungsverbrechen gefasst - aber äußerte sich nie zum Fall der Michaela Wagner. Bis heute ist das Kind nicht gefunden worden.

Entlang der Gleise: 18 Tatorte

Vorn in der historischen Straßenbahn mit der Nummer 16 lässt Klaus Doller die Glocke erklingen. Der Mann ist wie Hans Thiers längst im Ruhestand. Aber für Gästetouren steigt Doller gern ins "Cockpit" der alten Straßenbahnen. In der Nummer 16 finden jeweils 30 Gäste Platz. Klaus Doller fand die Idee naheliegend, mit einer Tram aus DDR-Zeiten zu den Schauplätzen von DDR-Kriminalfällen zu fahren. Rechts und links der Gleise ereigneten sich immer wieder schreckliche Dinge. An 18 Tatorten geht die Fahrt vorbei. Doch dass die Touren auf so großes Interesse stießen, überraschte Klaus Doller dann doch. Auch Kriminalist Thiers musste sich erst daran gewöhnen, dass er plötzlich Monat für Monat Termine für Gespräche, Lesungen und Führungen einplanen muss.

Der Reiz des Gruseligen

Begonnen hatte das 2014, als Thiers sein erstes Buch über Mordfälle im ehemaligen Bezirk Gera vorstellte. Zum Beispiel in Brendels Buchhandlung, wo Krimis seit jeher gut gehen. Buchhändlerin Daniela Züge hat trotzdem bei den Krimi-Kunden einen Trend entdeckt: "Früher sollte oft regelrecht das Blut aus den Büchern tropfen. Heute ist das anders." Zum Reiz des Gruseligen ist etwas hinzugekommen: Das Interesse für das Umfeld von Opfern und Tätern sei jetzt größer, sagt die Buchhändlerin.

Wohl deshalb gelingt es dem früheren MUK-Chef Thiers immer wieder, Neugier für die alten Fälle zu wecken. Er schildert nicht nur blutige Fakten und akribische kriminalistische Detailarbeit. Er ordnet ein, erklärt wie es Tätern und Opfern in ihrem Alltag erging, was sie zu welchen Handlungen ermunterte. Ein Beispiel ist der Fall, den Thiers am Anfang jeder Krimi-Straßenbahn-Tour erzählt, wenn sich die Gäste zum Frühstück im Café Zierde getroffen haben.

Gewissermaßen vor der Tür, am Ufer der Weißen Elster in Gera-Zwötzen, war 1968 eine Leiche gefunden worden. Es war ein Gleisbauer, der von einem Kollegen nach einem gemeinsamen Besäufnis erschlagen worden war. Nur etwas flussaufwärts in Wünschendorf, in einer Arbeiterunterkunft, war es am Abend vor Weihnachten zu dieser Tat gekommen. Diesen Fall hat der Kriminalist umfangreich dokumentiert: mit Tatortskizzen, mit Befragungsprotokollen, Fotografien der Tat-Rekonstruktion.

Hans Thiers erinnert sich: "Wir hatten im Bezirk Gera zwischen 1973 und 1990 etwa vier bis acht Tötungsverbrechen im Jahr". Für jeden einzelnen Fall galt dann "das alte kriminalistische Prinzip: Jede Spur am Tatort muss gesichert werden, jeder Stein muss umgedreht werden, jede Zigarettenkippe muss mitgenommen werden, jeder Reifenabdruck muss gesichert werden."

Lust auf Krimis ungebrochen

Bei den Krimi-Straßenbahn-Touren liefert Thiers belegbare Fakten: Ermittlungsergebnisse, archivierte Bilder, Zeichnungen, Berichte. Inzwischen hat er daraus auch vier Bücher gemacht und bei rund 500 Veranstaltungen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt über seine Fälle berichtet. Über 20.000 Besucher wollten das bisher erleben.

Nach den Lesungen kamen in Gera dann 2019 auch kriminalistisch-kulturelle Stadtgänge dazu, mit dem Gästeführer und ehemaligen MDR-Reporter Ulrich Braumann. Beide vermitteln bei den Führungen, wie dicht Kulturorte und Tatorte beieinander sein können. In diesem Jahr ist nun noch die Krimi-Tour mit Klaus Doller und der historischen Straßenbahn dazu gekommen. Für diesen aufschlussreichen Nervenkitzel gibt es schon jetzt Gästeanmeldungen bis weit ins nächste Jahr hinein.

MDR (ask)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 11. Dezember 2022 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

pepe79 am 11.12.2022

Ja, damals war nicht alles besser. Aber auch nicht alles schlecht, 98% Aufklärungsrate ist excellent. Laut aktuellen Statistiken liegt sie in ganz Deutschland derzeit bei etwa 94%, was auch nicht schlecht ist.

Pattel am 11.12.2022

Es ist erschreckend wieviel Tötungsverbrechen in der DDR in einem Bezirk waren .Diese genannte Zahl hochgerechnet auf die 14 Bezirke kommt ein stattliche Summe raus pro Jahr.
Das durfte nicht sein im Sozialismus also totgeschwiegen.

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