Anatomische Sammlung Uni Jena: Schädel von 14 Menschen aus kolonialen Kontexten identifiziert
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06. Dezember 2023, 15:31 Uhr
In der Anatomischen Sammlung der Universität Jena sind Überreste von 14 Menschen aus ehemaligen deutschen Kolonien identifiziert worden. Ein Forschungsprojekt hat die Ergebnisse über Herkunft, Identitäten und Biografien vorgestellt. Ulrike Lötzsch von der Anatomischen Sammlung sagte MDR KULTUR, Namibia und Papua-Neuguinea hätten Interesse an einer Rückgabe. Die Universität Jena ist für eine Restitution der menschlichen Überreste bereit.
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- In der Anatomischen Sammlung Jena lagern Überreste von 1.500 Individuen.
- Bei einigen der Überreste handelt es sich um Opfer des Genozids an den Herero und Nama.
- Überreste aus kolonialen Kontexten werden aus ethischen Gründen nicht präsentiert.
Wenn es um Provenienzforschung gehe, dann sei "von den Anatomien tatsächlich noch nicht so viel bearbeitet, da machen wir auch ein bisschen Pionierarbeit in Deutschland", sagt Ulrike Lötzsch von der Anatomischen Sammlung der Universität Jena. Das komplette vergangene Jahr hat die Wissenschaftlerin in einem Forschungsprojekt menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten in der Jenaer Sammlung untersucht. 13 Schädel konnten Personen aus ehemaligen deutschen Kolonien konkret zugewiesen werden, ein weiterer Schädel wurde in diesem Jahr identifiziert.
Diese Forschung sei ein Anfang, so Lötzsch, denn insgesamt lagern in der verhältnismäßig kleinen Sammlung Überreste von 1.500 Individuen. Ein erster Überblick zeigt auch: An die Anatomische Sammlung in Jena gelangten mehr als 100 Menschen, die nicht aus Europa stammen und bei denen ein kolonialer Kontext naheliegt. Etwa vierzig konnten bereits grob zugeordnet werden.
Acht Menschen aus Papua-Neuguinea identifiziert
Es existieren also deutlich eutlich mehr Fälle, als in dem ersten Projekt bisher untersucht werden konnte. Doch es ist ein erster wichtiger Schritt. Nach einem Jahr Forschung sei man überzeugt, "dass acht menschliche Schädel, die übermodelliert waren, aus Papua-Neuguinea, also dem ehemaligen Deutsch-Neuguinea stammen", sagt Ulrike Lötzsch und führt aus, "Man kann das ziemlich genau eingrenzen auf die Mittlere Sepik-Region, also diese Flussregion." Die acht Schädel konnten vier Männern, zwei Frauen sowie zwei Kindern aus einer Zeit von vor dem Ersten Weltkrieg zugeordnet werden. In Papua-Neuguinea sei bereits ein Interesse an einer Restitution vorhanden.
Frauen und Männer wohl Opfer des Genozids an Herero und Nama
Bei den menschlichen Überresten aus Afrika konnten die drei Forschenden alle Individuen in die Region unterhalb der Sahara verorten. Vier davon stammen sehr sicher aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika und von den Herero. "Da wurden die zwei oberen Schneidezähne schräg abgefeilt und die unteren vier entfernt - und zwar zu Lebzeiten. Das kann man eben an den Schädeln dann auch noch sehen." Dabei handelt es sich um eine junge Frau und drei junge Männer. Sie starben wohl in ihren Mitt-Zwanzigern, die jüngste Person sei erst 16 gewesen. "Da haben wir schon Indizien dafür, dass es einen Zusammenhang gibt mit dem Völkermord von 1904 bis 1908."
Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im heutigen Namibia. Am 2. Oktober 1904 gab Lothar von Trotha, Gouverneur und Oberbefehlshaber, seinen "Vernichtungsbefehl". Bis 1908 töteten deutsche Truppen etwa 65.000 von 80.000 Herero und mindestens 10.000 von 20.000 Nama. Dieser Massenmord gilt als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts. 2021 erfolgte offiziell das Schuldgeständnis Deutschlands. Die Rückgabe der nun in Jena identifizierten Schädel gestaltet sich laut Ulrike Lötzsch jedoch als Herausforderung, da weder Herero noch Nama in der aktuellen Regierung Namibias vertreten seien.
Rückgabe wäre kein Verlust für Jena
Generell sei eine Restitution der menschlichen Überreste aus kolonialer Herkunft kein Verlust für die Anatomische Sammlung, betont Wissenschaftlerin. Man sei als Universitätssammlung mit Schädeln, die ethisch unbedenklich sind, gut ausgestattet. Diese stammen etwa von modernen Körperspenderinnen und Körperspendern, so Lötzsch. "Die historischen Überreste lagern zu einem Teil im Depot der Sammlung und es gilt sozusagen inoffizielle Übereinkunft – das ist tatsächlich der Standard – dass man Überreste aus kolonialen Kontexten auch gar nicht mehr in Forschung und Lehre verwendet, auch nicht präsentiert, einfach aus ethischen Gründen."
Sehr wahrscheinlich sei ein Großteil der Schädel damals als Schenkung in die anatomische Sammlung Jenas gelangt, sagt Lötzsch. Diese zu behalten, widerspreche nicht nur den eigenen ethischen Ansprüchen. Man müsse auch immer das koloniale Machtgefälle mitdenken: "Es hat niemand in Deutschland deutsche Wissenschaftler auf dem Friedhof ausgegraben und mitgenommen, aber andersherum ist das durchaus passiert."
2018 haben Bund und Länder beschlossen, menschliche Überreste prinzipiell auf Nachfrage immer zurückzugeben. In der Universität Jena ist man für eine Restitution an die Herkunftsgesellschaften bereit. Nun liegt es in der Hand der Politik.
Quelle: MDR KULTUR (Linda Schildbach), Universität Jena
redaktionelle Bearbeitung: jb
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 07. Dezember 2023 | 07:40 Uhr