Sommerinterview Der Polarisierende: Björn Höcke von der Thüringer AfD im Portrait

06. Juli 2023, 15:00 Uhr

Er spaltet die Wähler wie kein zweiter deutscher Politiker: Thüringens AfD-Chef Björn Höcke gilt seinen Fans fast schon als Heilsbringer und seinen Gegnern als Dämon. 2024 will er nach der Macht im Land greifen.

Die Thüringer AfD hat im April ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Fast von Beginn an steht Björn Höcke an ihrer Spitze. Für den gebürtigen Westfalen, der zuvor als Lehrer in Hessen gearbeitet hat und früher Mitglied der Jungen Union war, beginnt im Frühjahr 2013 der steile Aufstieg in der eigenen Partei.

Doch damit soll noch nicht Schluss sein. 2024 will Höcke, so sagt er es öffentlich, die Machtfrage stellen. Schon jetzt scheint klar: Aus dem zu erwartend guten Abschneiden der AfD bei der anstehenden Landtagswahl wird der 51-Jährige vermutlich einen Anspruch auf Regierungsbeteiligung ableiten. Wohl wissend, dass ihm dafür die Optionen fehlen.

Zuspruch und Zwischentöne

Es ist ein Samstag Anfang November. In Pfiffelbach im Kreis Weimarer Land hat sich die AfD-Basis versammelt, um den Landesvorstand neu zu wählen. Am Ende passiert das Erwartete: Die neue Parteispitze ist die alte. 204 Mitglieder stimmen ab und bestätigen die Landessprecher, was in der Alternative für Deutschland die Landesvorsitzenden sind, im Amt. Es gibt auch keine Gegenkandidaten oder Kampfabstimmung. Björn Höcke kommt am Ende auf stolze 89,7 Prozent der Delegierten-Stimmen.

Sein Co-Sprecher, Stefan Möller, schneidet noch besser ab. Möller kann fast 93 Prozent hinter sich vereinen und das, ohne nur ansatzweise so populär zu sein wie Höcke. Möller, der in Landtagsdebatte nicht selten wie der Souffleur des Fraktionschefs anmutet, spuckt die leiseren Töne, gilt aber als geschickter Strippenzieher im Hintergrund und Stratege. Der Erfurter steht loyal zu seinem prominenten Kollegen an der Parteispitze, weshalb ihn das Mehr an Zustimmung zwar innerlich sicher freut, er es aber zumindest öffentlich nicht auskostet.

Das Abstimmungsergebnis belegt jedenfalls, dass die AfD-Basis in hohem Maße geschlossen hinter beiden steht, hinter Möller und Höcke. Letzter wiederum nutzt den Tag im Weimarer Land noch, um seine weiterführenden Ambitionen deutlich zu machen. Er erklärt, er wolle die Partei als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl führen und, so Höcke wörtlich, dann "das Establishment jagen". Gauland lässt grüßen.

Monate im Hintergrund

Es ist einer der wenigen Momente in den vergangenen Monaten, in denen Höckes bekannt scharfe Rhetorik wahrnehmbar durchschlägt. Höcke-Auftritte außerhalb des Plenarsaals sind seltener geworden. Gibt es sie dann doch, zum Beispiel bei Demonstrationen, bedient sich der 51-Jährige zwar weiterhin der für ihn bekannt polarisierenden Wortwahl.

In Gera beispielsweise, im Rahmen einer Kundgebung mit fast 10.000 Teilnehmern, nennt er die Bundesregierung ein "Schreckenskabinett" und redet davon, die "Altparteien" hätten es auf die "Seelen unserer Kinder" abgesehen. Doch Schlagzeilen verursachende Ausfälle, wie als Höcke bei einer Rede in Dresden das Berliner Holocaust-Mahnmal ein "Denkmal der Schande" nannte, eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte oder im Landtag die Corona-Impfungen mit den Menschenversuchen der Nationalsozialisten im Dritten Reich verglich, blieben zuletzt aus.

Polarisieren: ja. Skandalisieren: nein. Beobachter sehen darin jedoch weniger eine Mäßigung des AfD-Frontmannes. Vor allem scheint es dem Extremisten in den vergangenen Jahren gelungen zu sein, die Grenze des Sagbaren zu verschieben. Was früher eine Schlagzeile wert war, ist mittlerweile akzeptabel geworden, kritisieren Politikwissenschaftler und Soziologen.

Ein zweifelhafter Verdienst, der jedoch nicht allein mit dem 51-Jährigen Ex-Lehrer nach Hause geht. Gleichwohl lässt Höcke weiterhin keine Zweifel an seinen Ansichten und Positionen aufkommen. Genau dazu hat er das Hantieren im Besteckkasten der Populisten-Rhetorik professionalisiert. Der Interpretationsspielraum im Gesagten: Er ist einkalkuliert. Genau wie die Gratwanderung zwischen Berufspolitiker und Verschwörungstheoretiker.

So erklärte Höcke Anfang Juni im Landtag, Deutschland sei "ein fremdbestimmtes Land", bezweifelte das Funktionieren der Demokratie und sprach von der Macht von "Dunkelmännern" im Staate. Narrative, die inzwischen nicht mehr nur ganz rechts verfangen, sondern auch in anderen Wählergruppen.

Defensiv aber effektiv

Fakt ist: Im Jahr 2023 ist Björn Höcke vorerst auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn angekommen. Der ehemalige Lehrer hat im eigenen Landesverband und der Bundespartei die Fronten zu seinen Gunsten geklärt. Er ist der heimliche Parteichef. Mit Jörg Meuthen hat der letzte, wahrnehmbare Widersacher das Handtuch geworfen und die AfD verlassen.

An der Spitze der Bundespartei stehen mit Tino Chrupalla und Alice Weidel zwar zwei bekannte Köpfe. Beide sind jedoch längst nicht so gut vernetzt wie Höcke. Der 51-Jährige weiß seine Flügelianer hinter sich, also die ehemaligen Mitglieder des zumindest offiziell aufgelösten "Flügel". Aus ihren Reihen rekrutiert sich mittlerweile fast der gesamte Bundesvorstand der Partei. Ein Akt, den Höcke auf dem Bundesparteitag in Riesa vorbereitet und erfolgreich vollendet hat.

Doch nicht nur diese Personalien zahlen auf das Konto des Thüringer Landeschefs ein. In Riesa wurde zudem ein Beschluss gefasst, der strategisch und perspektivisch den weiteren Aufstieg Höckes ebnen soll. Beschlossen wurde, auf Antrieb des Thüringers, dass die Bundes-AfD künftig auch von nur noch einem Vorsitzenden geführt werden kann. Die heutige Doppelspitze könnte damit bald ein Relikt sein. Es gilt als durchaus denkbar, dass Höcke bei nächster Gelegenheit nach dem alleinigen Bundesvorsitz greift.  

AfD im Dauer-Hoch

Vorerst konzentriert sich Björn Höcke auf Thüringen und die Landtagswahl. Bevor diese im Herbst 2024 stattfindet, werden die Landratswahlen im Frühjahr schon einen ersten Hinweis darauf geben, wie stabil die Zustimmungswerte zur AfD und den als extremistisch eingestuften Thüringer Landesverband wirklich sind.

Fest steht, dass die AfD unter Höcke die Linke als Protestpartei abgelöst hat. Seit einem Jahr haben die Rechten in jeder Umfrage besser angeschnitten als die Partei von Ministerpräsident Bodo Ramelow. Während sich die Linken intern zerlegen, gefühlt eine Krise die nächste jagt und die Bundesregierung mit grünen Gesetzesvorhaben die Stimmung im Land auf die Probe stellt, agieren Höcke und seine Partei wie ein Beobachter an der Seitenlinie. Zusehen und profitieren.

Oder um einen AfD-Mann zu zitieren, dessen Mikro auf einer Demonstration versehentlich nicht stumm geschaltet war: "Wenn's nicht dramatisch wird, braucht es die AfD nicht." Alarmismus als Geschäftsmodell der Rechten. Wenn es nach Björn Höcke geht, hat der Wahlkampf in Thüringen längst begonnen.  

MDR (dvs)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 09. August 2023 | 19:00 Uhr

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