Abgeordnete stehen vor der „Nein“ Tür bei einem Hammelsprung zum Heranzitieren von Minister Habeck in der letzten Sitzung vor der Sommerpause im Bundestag.
Vor der Sommerpause kam es im Bundestag nochmal zum Hammelsprung. Streitpunkt war, ob Energieminister Habeck erscheinen müsste. Bildrechte: dpa/ARD-Hauptstadtstudio/Reiner Freese

Kommentar Wie die AfD vom Ampelstreit profitiert ohne einen Finger krumm zu machen

09. Juli 2023, 05:00 Uhr

Das umstrittene Heizungsgesetz der Ampel-Koalition sorgt auch in der letzten Parlamentswoche noch für Aufregung. Erst entscheidet das Bundesverfassungsgericht, dass nicht vorschnell abgestimmt werden darf. Dann wird dennoch weiter trefflich darüber gestritten. Regierungsparteien und Opposition nehmen sich an dieser Stelle nichts. Der Dauerstreit verwirrt Wählerinnen und Wähler und sorgt für ein Umfragehoch der AfD – die nichts dafür tun muss.

Am Ende wird es nochmal laut. Zwischenrufe, Pöbeleien, die Bundestagspräsidentin verteilt sogar ein Ordnungsgeld, in diesem Fall an einen Abgeordneten der SPD. Der Grund: mal wieder Streit über das umstrittene Heizungsgesetz von Robert Habeck. Die Union hatte eine Debatte über die verschobene Abstimmung eingefordert. Der Minister möge erscheinen. Es kommt sogar zum Hammelsprung. Der endet mit einer Niederlage. Der Minister muss nicht anwesend sein. Beides wirkt unschön in einer ohnehin hitzigen Auseinandersetzung.

AfD gewinnt an Zustimmung und muss dafür nichts tun

Und so klingt der Streit um das Heizgesetz aus, wie er angefangen hat – mit viel Tam-Tam. Was leidet, ist das Verständnis bei den Bürgerinnen und Bürgern. Verständnis im wahrsten Sinne des Wortes, denn viele Menschen verstehen nicht mehr, worum es im Detail geht. Im ARD-Deutschlandtrend geben 45 Prozent der Deutschen an, dass ihnen dieses Gesetz zu weit geht. 77 Prozent der Befragten beunruhigen diese unruhigen Zeiten. Krieg und Krise, hohe Energiepreise, dazu die Inflation, das belastet viele Wählerinnen und Wähler. Und dabei fühlen sie sich von den handelnden politischen Akteuren und der Regierung nicht mehr mitgenommen.

Die Folgen dürften niemanden überraschen. Vom Streit in Berlin, von der schwachen Performance der Ampel, profitieren auch die politischen Ränder. In diesem Fall, einmal mehr die AfD. Tun muss sie dafür im Moment nichts. Der Umfragebalken wächst stetig. Seit dem Antritt der Ampelkoalition im Herbst 2021 hat die AfD ihre Ergebnisse von Sonntagsfrage zu Sonntagsfrage inzwischen verdoppelt, von einst 10 Prozent auf nunmehr 20 Prozent. Zwei Prozentpunkte vor der Kanzlerpartei SPD. Einzig die Union liegt noch vor der AfD mit 28 Prozent, kann aber auch nicht wirklich davoneilen.

Heizungsgesetz: Handwerkliche Fehler und zu viel Streit

Spätestens jetzt sollten die Parteien der demokratischen Mitte aufhorchen. Wir reden hier nicht mehr über ein ostdeutsches Phänomen. Die Rechtspopulisten gewinnen in Gesamtdeutschland an Zuspruch. Dabei müssen sie einfach nur den Frust einsammeln, den die Ampel liegen lässt. Im Streit um das Heizungsgesetz haben sich alle Beteiligten nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Handwerkliche Fehler auf der einen Seite, späte Nachbesserungen auf der anderen. Dazu viel öffentliche Streitereien. Oder wie es die Bundestagspräsidentin formulierte: "die Nerven liegen scheinbar blank, kurz vor der Sommerpause."

Ampel muss Ohr an die Basis legen

Dabei könnte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes am Mittwochabend hilfreich sein, Denkanstöße geben. Mehr Raum und Zeit für die politische Debatte, für sachliche Auseinandersetzungen. Das erfordert die Bereitschaft, den Menschen zu erklären, was beschlossen wurde. Es heißt aber auch, zu verstehen, wann man den Bürgerinnen und Bürgern etwas zumuten kann und wann man sie überfordert. Zu Hause, im Wahlkreis entscheidet sich, was beim Wähler ankommt und was nicht.

Das Ohr an die eigene Basis legen. Dafür bietet sich die parlamentarische Sommerpause gerade zu an. Die Bundestagsabgeordneten, vor allem der Ampel-Parteien, sollten sie in diesem Jahr besonders gut nutzen, um zu verstehen, was die Menschen vor Ort wirklich bewegt. Das allerdings sollten sich alle Parteien der demokratischen Mitte in das Sommer-Hausaufgabenheft schreiben. Die Arbeit in den Kommunen, im Wahlkreis scheint wichtiger denn je, wenn man das politische Feld nicht jenen überlassen will, die immer noch lauter rufen können als andere, die auf jede Forderung immer noch eins oben draufsetzen können, weil sie es nicht in der Regierungsarbeit unter Beweis stellen müssen.

Schwierige Mehrheitsverhältnisse in der politischen Mitte drohen

Die Parteien der demokratischen Mitte, die in Regierungsverantwortung sind, müssen sich auch deshalb den eigenen Bürgern wieder mehr zuwenden, ihnen zuhören, sie verstehen. Wie umgehen mit der Energiekrise, wie umgehen mit der hohen Inflation, wie die Wirtschaft wieder in Schwung bringen nach der Pandemie? Das sind die Sorgen der Menschen. Gerade vor den im nächsten Jahr anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland, wo zum Teil schwierige Mehrheitsverhältnisse in der politischen Mitte drohen, braucht es deshalb Politiker, die nicht nur Antworten versprechen, sondern auch kluge Antworten auf diese Fragen haben. Ohne Streit und viel Tam-Tam.

MDR AKTUELL

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 07. Juli 2023 | 19:30 Uhr

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