Region Schmalkalden "Wie nehme ich meine Belegschaft mit?": Projekt für besseres interkulturelles Miteinander
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07. Juli 2023, 20:34 Uhr
An der Hochschule in Schmalkalden studieren 2.500 junge Menschen - die Hälfte kommt aus dem Ausland. Von den internationalen Studierenden bleiben nach ihrem Abschluss nur wenige in der Region. Ein neues Projekt soll das ändern.
Marco Antonio Castañeda Davila kommt gebürtig aus Mexiko-City. Vor 15 Jahren Jahren ist der heute 39-Jährige für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften nach Schmalkalden gekommen - und bis heute geblieben. Geplant war das nicht: "Es hat sich einfach so gefügt", erzählt er.
Nach dem Studium wollte er nicht direkt zurück nach Mexiko, sondern noch Arbeitserfahrungen in Deutschland sammeln. Nach zahlreichen Bewerbungen kam die erste Zusage ausgerechnet aus Schmalkalden. Heute hat Marco Antonio ein Haus im benachbarten Floh-Seligenthal und arbeitet für einen Werkzeughersteller. In seiner Freizeit engagiert er sich im Fußballverein in Floh-Seligenthal. Der 39-Jährige trainiert unter anderem die Jugendmannschaft.
Ehemals internationaler Student, heute in der Region zuhause
Und es war auch der Fußball, der Marco Antonios Beziehung zu seiner neuen Heimat von Beginn an geprägt hat. Bei seiner Ankunft in Schmalkalden im Jahr 2006 fand in Deutschland gerade die Fußball-Weltmeisterschaft statt. Der Fußball-verrückte Marco Antonio erlebte maximale Fußball-Begeisterung, die ihm das bis dahin fremde Land sofort nah brachte. Noch heute lassen ihn die Erinnerungen an diese Zeit strahlen.
Fuß zu fassen am Arbeitsmarkt fiel ihm nicht schwer. Er habe sich schnell wohlgefühlt, schlechte Erfahrungen habe er keine gemacht, berichtet er. Für ihn war die Sprache der Schlüssel. Aber auch der gebürtige Mexikaner findet, die Beziehung zwischen den internationalen Studierenden der Hochschule und der Stadtgesellschaft könnte besser sein.
Von internationalen Studierenden bleiben nur wenige
Marco Antonios Geschichte ist bisher eher die Ausnahme. An der Hochschule in Schmalkalden ist der Anteil ausländischer Studierender außergewöhnlich hoch. Von den rund 2.500 eingeschriebenen Studierenden, kommen gut 1.000 aus dem Ausland.
Das hat damit zu tun, dass die Hochschule mehrere englischsprachige Studiengänge anbietet. Zum Beispiel einen Bachelor und Master in dem Fach "International Business and Economics". Wie viele internationale Absolventen genau nach ihrem Anschluss in der Region bleiben, könne die Hochschule nicht sagen. Die Erfahrung zeige aber, dass ein ganz großer Teil die Region wieder verlasse, so Hochschulpräsident Gundolf Baier.
Hilfe bei der Vermittlung nötig
Das ist bedauerlich für regionale Unternehmen, von denen viele dringend Fachkräfte suchen. Und die Krux ist: Auch viele internationale Studierende hätten grundsätzlich Interesse in der Region zu bleiben, berichtet die Hochschule. Sichtbar geworden sei das zuletzt auf der diesjährigen Karrieremesse.
Nicht nur habe sich eine Rekordzahl an Unternehmen angemeldet, auch außergewöhnlich viele internationale Studierende hätten sich über Jobangebote informiert. Und auch der neu eingerichtete "International Career Service", der zu Berufseinstiegschancen berät, bestätigt: Die internationalen Studierenden haben Interesse an der heimischen Unternehmenslandschaft. Trotzdem finden die Akteure offenbar bisher nicht richtig zusammen.
Unsicherheiten ausräumen, Vorurteile abbauen
Das Team des Projekts "Wort" (Akronym für Weltoffene Region Thüringen), das durch den Freistaat Thüringen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds Plus gefördert wird, möchte helfen, zu vermitteln. Ziel sei es, die Region dabei zu unterstützen, sich kulturell mehr zu öffnen und Unternehmen während dieses Prozesses zu beraten.
"Es gibt viele Unsicherheiten", sagt Projektmitarbeiterin Mathilde Berhault. Aber auch Vorurteile, die mehr Internationalität in der regionalen Wirtschaft hemmten. Kulturelle Öffnung beschreibt laut dem Projekt-Team einen Prozess, der Offenheit gegenüber kultureller Vielfalt fördert und deren Vorteile aufzeigt. Ihn anzustoßen soll dabei helfen, dass sich ausländische Mitarbeiter anerkannt und wohl fühlen. Das ist laut Mathilde Berhault wichtig, um diese Menschen langfristig in der Region zu halten.
Wir nehmen auch die negativen, mulmigen Gefühle ernst. Wir wollen alle Beteiligten mitnehmen und einen Austausch auf Augenhöhe führen.
Auch Zweifel und Skepsis sollen Raum bekommen
Im ersten Schritt führt das Projekt-Team mit den Betrieben Gespräche, um die individuelle Situation zu erfassen. Welche konkreten Probleme oder Unsicherheiten bestehen? Im zweiten Schritt werden passgenaue Workshops entwickelt. Diese beschäftigten sich je nach Bedarf mit Fragen wie, "Wie leite ich ein interkulturelles Team?" oder "Wie gehe ich als Chef oder Chefin mit Mitarbeitern um, die internationalen Kollegen gegenüber skeptisch eingestellt sind?".
Ziel der Workshops sei es auch, Vorurteile abzubauen. Wichtig sei ihnen dabei, so Projektmitarbeiterin Florence Schmalz, dass Zweifel und Skepsis nicht einfach weggewischt werden: "Wir nehmen auch die negativen, mulmigen Gefühle ernst. Wir wollen alle Beteiligten mitnehmen und einen Austausch auf Augenhöhe führen".
Mut zu Mehrsprachigkeit fördern
In ersten Gesprächen sei sichtbar geworden, dass teilweise auch Missverständnisse das Problem sind. Mathilde Berhault gibt ein Beispiel: "Es kann zum Beispiel sein, dass jemand hervorragend qualifiziert ist, das aber auf Deutsch noch nicht gut rüberbringen kann." Bei Betrieben entstehe dann der Eindruck, der Bewerber erfülle die fachlichen Voraussetzungen nicht, obwohl nur die sprachlichen Fähigkeiten noch verbessert werden müssen.
"Wir wollen grundsätzlich auch ermutigen, Mehrsprachigkeit zuzulassen, sie als Chance und nicht als Bedrohung zu sehen", so Mathilde Berhault. Auch gebe es Betriebe, denen gar nicht bewusst ist, dass sie schon kulturelle Vielfalt leben. Nicht jedem Menschen sieht man seinen Migrationshintergrund an.
Wir wollen grundsätzlich auch ermutigen, Mehrsprachigkeit zuzulassen, sie als Chance und nicht als Bedrohung zu sehen.
Interkulturelles Café geplant
Der Fokus des Projekts soll nicht nur auf der kulturellen Öffnung des Arbeitsmarkts liegen. Neben den kostenlosen Beratungen und Workshops für Unternehmen Einwohner in den Prozess eingebunden werden. Dazu eröffnet im Herbst ein interkulturelles Café in der Innenstadt.
Dort sollen zum Beispiel Lesungen oder offene Kochabende stattfinden: "Wir sind für alle Ideen offen", sagt Mathilde Berhault. Das Projekt "Wort" ist auf insgesamt drei Jahre angelegt. Schmalkalden ist Modellregion. Später sollen anderen Regionen in Thüringen folgen.
MDR (dvs)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 08. Juli 2023 | 06:00 Uhr
martin am 09.07.2023
@altmeister: Ihre "Ursachentheorie" steht m.M.n. im Widerspruch zum Interesse der ausländischen Studierenden bei den Jobmessen. Ich persönlich halte es für deutlich wahrscheinlicher, dass die potenziellen Schwierigkeiten eher im Bereich der Zusamenarbeit mit den Betrieben liegen.
Kleingartenzwerg am 08.07.2023
Ines, was Sie schreiben ist ziemlich einseitig. Warum glauben Sie bleiben die in Thüringen geborenen jungen Menschen nach Ausbildung und Studium nicht hier? Aus dem gleichen Grund warum so wenige ausländische Absolventen bleiben, schlechtere Verdienstmöglichkeiten, geringe Entwicklungsmöglichkeiten, ödes Umfeld. Man kann sich natürlich auch einreden oder einreden lassen es liegt an der hohen Umfragewerten der AFD, der Fermdenfeindlichkeit, der rassistischen Einstellung oder mangelnd Demokratieverständnis in Thüringen.
Altmeister 50 am 08.07.2023
@ Ines
Dann schauen sie sich mal o.g. Pressemitteilung an, aus welchen Ländern die Zuwanderung kommt. Dann sollt klar sein, dass wir in D vorwiegend als Einwanderungsland in die Sozialsysteme attraktiv sind aber nicht für gutes Geld bei guter Arbeit. Ihre Argumentation mit niedrigen Mieten in ländlichen Räumen ist putzig. Außer in Einzelfällen wird sich niemand nach Schmalkalden sehnen und in den Zentren gut bezahlter Jobs, wie Jena, Erfurt haben sie Miethöhen, die an Industriezentren in Westdeutschland heranreichen. Der persönliche Umgang mit Ausländern ist eine Marginalie, weil gefragte Fachkräfte es sich aussuchen können, in welchem Land sie arbeiten wollen und da bieten wir, jenseits des Umganges mit ihnen, keine wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen.