Shaman (Yaroslav Dronov)
Mit der Karriere des russischen Sängers Shaman geht es steil bergauf, seit er den Krieg gegen die Ukraine unterstützt. Bildrechte: IMAGO / SNA

Russland Warum russische Künstler Staatspropaganda machen

11. Oktober 2023, 09:33 Uhr

Wer in Russland mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht einverstanden ist, lebt gefährlich. Künstler und alle anderen, die ihren Unmut laut äußern, riskieren, dass sie dafür mit Strafen belegt werden, ihre Jobs verlieren oder ins Ausland gehen müssen. Gleichzeitig gibt es auch begeisterte Unterstützer der russischen Invasion im Nachbarland. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe.

Daria Boll-Palievskaya
Daria Boll-Palievskaya Bildrechte: Mischa Blank

An der Fassade eines der renommiertesten Theater in Moskau prangt ein riesiges "Z", das sich über drei Stockwerke erstreckt. Die Idee, dieses propagandistische Symbol für die "militärische Sonderoperationen" in der Ukraine dort zu platzieren, stammt von Wladimir Maschkow, dem Theaterintendanten persönlich. Der ist in Russland ein Star und hat auch in US-Blockbustern wie "Mission Impossible" mitgespielt. Überdies gilt Maschkow als langjähriger Unterstützer Wladimir Putins.

Nur 50 Minuten U-Bahn-Fahrt von Maschkows Theater entfernt sitzen die Regisseurin Schenja Berkowitsch und die Dramatikerin Swetlana Petrijtschuk in Untersuchungshaft. Sie werden wegen "Verherrlichung des Terrorismus" in ihrem Stück "Finist, heller Falke" angeklagt. Das Drama erzählt die Geschichte von russischen Frauen, die nach Syrien reisen, um Islamisten zu heiraten. Noch im April 2022 erhielt die Produktion den bedeutendsten Theaterpreis Russlands, die "Goldene Maske". Zwei Monate nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine lief die Repressionsmaschinerie des Kremls noch nicht auf vollen Touren. Zwar nicht inhaftiert, aber entlassen wurde der Theaterschauspieler Dmitrij Nasarow, weil er öffentlich seine Ablehnung des Krieges gegen die Ukraine zum Ausdruck gebracht hatte. Im Gegensatz dazu erklärte der Schauspieler Konstantin Lawronenko, er sei stolz auf das "Z" an der Fassade seines Theaters.

Die Heimat ist nicht der Hintern des Präsidenten, den man küssen muss.

Juri Schewtschuk | Russischer Rockmusiker

Ähnliche Spaltungen erlebt das Musikgeschäft. So traten einige russische Rock-Legenden jüngst bei einer staatlich organisierten Kundgebung auf dem Roten Platz auf, die sich "Ein Land, eine Familie, ein Russland" nannte und dem Jahrestag der Annexion von vier ukrainischen Regionen durch Russland gewidmet war.

Yuri Shevchuk
Wer sich wie Sänger Juri Schewtschuk gegen den Krieg in der Ukraine positioniert, wird in Russland mit Strafen belegt. (Archivbild) Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Dagegen werden Konzerte anderer Musiker abgesagt. Die schon zu Sowjetzeiten bekannte Band DDT beispielsweise verschiebt ihre Konzerte "aus Gründen, die unabhängig von der Band und den Organisatoren sind", heißt es auf der Internetseite von DDT. Der Frontmann der Band und "Dinosaurier" des russischen Rock, Juri Schewtschuk, hatte vor einer Weile bei einem Konzert gesagt: "Die Heimat ist nicht der Hintern des Präsidenten, den man küssen muss", woraufhin er zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

Propaganda fordert Positionierung von Künstlern

1932 schrieb Maxim Gorki, zu der Zeit ein glühender Anhänger des Stalinismus, den Artikel "Mit wem seid ihr, Meister der Kultur?". Im russischen Diskurs wird dieser Satz verwendet, wenn es darum geht, eine moralische Position zu definieren. Gorki kritisierte damals russische Intellektuelle, die mit den Praktiken der Sowjetmacht nicht einverstanden waren und prophezeite, sie würden "in der Emigration verrotten" und als Verräter in Erinnerung bleiben.

Neunzig Jahre später fordert die russische Propaganda lautstark, Kulturschaffende sollten Stellung beziehen. Diejenigen, die den Krieg nicht unterstützen, werden öffentlich als "ausländische Agenten" gebrandmarkt und als Verräter diffamiert. Sie verlieren ihre Jobs, ihre Namen werden auf Theater- und Filmplakaten geschwärzt. Die russischen sozialen Netzwerke sind überdies voll von Listen vermeintlicher Feinde Russlands mit Titeln wie: "Künstler-Verräter Russlands: die vollständige Liste", "Schwarze Liste der Stars" oder "Eine schändliche Liste von Vaterlandsverrätern".

Mittlerweile haben Hunderte von Schauspielern, Komikern, Theater- und Filmregisseuren, Musikern und Schriftstellern Russland verlassen. Dieser bemerkenswerte Exodus der intellektuellen Elite wird zweifellos von der russischen Pop-Ikone Alla Pugatschowa (74) angeführt, mit deren Musik ganze Generationen aufgewachsen sind. Kurz nach Beginn des Krieges verließ Pugatschowa zusammen mit ihrem Ehemann, dem Komiker Maxim Galkin, Russland und wurde sofort einer Lawine von Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt. Erst als Galkin zum "ausländischen Agenten" erklärt wurde, wandte sich "die Primadonna" auf Instagram an ihre ehemaligen Kollegen und Fans: "Oh mein Gott, welch ein Segen, von den Menschen gehasst zu werden, die ich nie ausstehen konnte. Sie waren Knechte und wurden zu Sklaven."

Warum sich Künstler auf die Seite des Kremls stellen

Doch auch unter den sogenannten Turbo- oder Z-Patrioten finden sich zahlreiche Künstler. Einer von ihnen ist der neue Shootingstar des russischen Showgeschäfts Shaman. Eine gewisse Bekanntheit erlangte der Sänger bereits, als er vor Jahren den zweiten Platz in der russischen Version der Casting-Show "The Voice" belegte. Doch der eigentliche Durchbruch gelang ihm 2022 mit den Songs "Lasst uns aufstehen" und "Ich bin Russe", die vom glühenden Patriotismus des 31-Jährigen nur so strotzen: "Ich bin Russe, ich gehe bis zum Ende ... ich bin Russe, trotze der ganzen Welt" – Kompositionen mit solchen Texten erreichen auf Youtube zig Millionen Aufrufe. In seinem Musikvideo "Wir" sieht man Shaman in einer schwarzen Lederjacke, Stiefeln und einer Armbinde in den russischen Nationalfarben über den Roten Platz laufen – ein Outfit, das viele Beobachter an eine SS-Uniform erinnert.

Und so verfassen auch Dichter "patriotische Gedichte", Musiker und Stand-up-Komiker treten in Kriegsgebieten auf. Ihre Beweggründe sind vielfältig und reichen vom Glauben an ihre Überzeugungen, über finanzielle Anreize bis hin zu Furcht. Einige nutzen die Gelegenheit und füllen Lücken, die Künstler hinterlassen, die das Land verlassen mussten. Die Anthropologin Alexandra Archipowa ist der Ansicht, dass es keine einheitliche Erklärung für ihr Handeln gibt. Eines ist jedoch unbestreitbar: Der Kreml will Prominente für seine Agenda einspannen und dazu bewegen, ihre Unterstützung für den Krieg zu demonstrieren, um den Eindruck einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung zu erwecken. Menschen, die gegen den Krieg sind, sind im öffentlichen Raum überall von Zeichen der Loyalität mit dem Regime umgeben, so Achipowa. Dadurch fühlten sie sich isoliert, da sie vermuteten, dass die Mehrheit den Krieg unterstütze. Und genau das sei das Hauptziel der Propaganda, betont die Anthropologin.

Patriotismus-Unterricht an Schulen in Russland 4 min
Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Klar ist auch, dass jetzt die Zeit für all jene gekommen ist, deren Ruhm bereits in der Vergangenheit liegt oder die im Schatten anderer Berühmtheiten standen. Für sie hält der Staat großzügig die Geldbörse offen. Die Gruppe "Ljube" beispielsweise war in den späten 1990er Jahren populär und wird oft als Putins Lieblingsband bezeichnet. Russische Exilmedien haben aus öffentlich zugänglichen Daten errechnet, dass "Ljube" nach dem 24. Februar 2022 mit staatlichen Aufträgen etwa 58 Millionen Rubel (umgerechnet ca. 550.000 Euro) verdient habe, also 30 Prozent mehr als in den Jahren davor.

Russische Künstler als aktive Kriegspropagandisten

Die russische Staatspropaganda setzt alles daran, mehr Platz für Künstler zu schaffen, die den Krieg unterstützen. Auf Initiative eines der führenden Kriegspropagandisten, des Schriftstellers Sachar Prilepin, wurde in der Staatsduma im letzten Sommer eine "Gruppe zur Untersuchung antirussischer Aktionen" ins Leben gerufen, die mittlerweile Listen mit 142 "Agenten ausländischer Einflussnahme und deren Komplizen" vorgelegt hat. Ein Mitglied der Gruppe, der Schauspieler Dmitrij Pewtsow, erklärte, dass alles, was auf den Leinwänden, Bühnen und in den Ausstellungen präsentiert wird, unter staatlicher Kontrolle stehen sollte: "Wer unseren Staat von innen heraus zerstört, muss wie eine Wanze zerquetscht werden."

Wer unseren Staat von innen heraus zerstört, muss wie eine Wanze zerquetscht werden.

Dmitrij Pewtsow | Russischer Schauspieler

Interessanterweise befanden sich auch Jury-Mitglieder des angesehenen Literaturpreises "Big Book" auf dieser Liste, ein Preis, um den sich auch Autor Prilepin seit acht Jahren bemüht, der ihm aber nie zugesprochen wurde. Selbst die ansonsten regimekonforme Zeitung "MK" hat die Frage gestellt, ob es da nicht einen Zusammenhang gibt.

Wladimir Maschkow
Theatermann Wladimir Maschkow steht voll und ganz hinter Putins Kriegspolitik. Das demonstriert er unter anderem auf Propagandaveranstaltungen wie am 29. September auf dem Roten Platz in Moskau. Bildrechte: IMAGO / SNA

Theaterintendant Maschkow jedenfalls scheint aufrichtig an seine Mission zu glauben. Er bat seine Tochter, die in den Vereinigten Staaten lebt, nach Russland zurückzukehren. Sie solle sich für ihren "Verrat" entschuldigen und dem russischen Volk im Kampf gegen die ukrainischen "Nazis" beistehen. Allerdings ist die Schauspielerin Maria Maschkowa dem Ruf ihres Vaters nicht gefolgt und hat stattdessen öffentlich den Krieg verurteilt. Diese Familiengeschichte zeigt deutlich, dass russische Kulturschaffende heute vor einer schweren Entscheidung stehen, von der nicht nur ihre Karrieren, sondern auch ihre moralische Integrität abhängen. Maxim Gorkis Frage bleibt also relevant. Und die Antwort, die sie darauf geben, wird nicht nur ihr eigenes Schicksal prägen, sondern auch das Schicksal Russlands.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 09. September 2023 | 07:18 Uhr

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