Wahlkampf in den USA Nach dem Trump-Selenskyj-Telefonat: Die Ukraine in der Zwickmühle

23. September 2019, 15:00 Uhr

US-Präsident Trump soll vom ukrainischen Amtskollegen Selenskyj gefordert haben, belastendes Material gegen Ex-Vizepräsident Biden zu liefern. Kiew bestreitet das. Wird die Ukraine zum Zankapfel der US-Innenpolitik?

Ein Telefonat zwischen dem US-Präsidenten Donald Trump und seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj sorgt derzeit für Wirbel im amerikanischen Präsidentschafts-Wahlkampf. Am 25. Juli hatte Trump Selenskyj angerufen, um ihm zum Sieg seiner Partei "Diener des Volkes" bei der Parlamentswahl zu gratulieren. In diesem Gespräch soll Trump nach Angaben eines amerikanischen Whistleblowers von Selenskyj gefordert haben, belastendes Material gegen den Ex-Vizepräsidenten der USA, Joe Biden, zu liefern. Demokrat Biden wird als möglicher Herausforderer Trumps bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr gehandelt. Dabei soll es vor allem um die Geschäfte von Bidens Sohn Hunter gegangen sein, der im Vorstand der ukrainischen Gasholding Burisma saß. Die Hinweise des Whistleblowers haben für eine interne Untersuchung im Weißen Haus gesorgt. Die Demokraten werfen Trump Machtmissbrauch vor und fordern dessen Amtsenthebung.

Biden forderte Entlassung des ukrainischen Generalstaatsanwalts

Unter der Präsidentschaft von Barack Obama galt Biden als Hauptverantwortlicher für die Ukraine-Politik. Als 2016 der damalige ukrainische Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin entlassen wurde, ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft gegen die Gasholding Burisma, deren Eigentümer ein ehemaliger Minister aus der Regierung von Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch ist. In einem Interview von Anfang 2018 bezeichnete Joe Biden die Entlassung Schokins, der allerdings in der Ukraine ohnehin als umstritten galt, als seinen Verdienst. Biden zufolge sollte Kiew Schokin um jeden Preis feuern, sonst wären US-Kredite nicht ausbezahlt worden. "Ich habe gesagt, dass ich in sechs Stunden weg bin", erzählte Biden im Gespräch mit Voice of America. "Wenn der Generalstaatsanwalt bis dahin nicht entlassen wird, bekommt ihr das Geld nicht. Dann wurde dieser Hurensohn entlassen."

Zusammenarbeit mit den Demokraten

Für die Ukraine ist es nicht der erste Skandal in den letzten Jahren, der tief mit der US-amerikanischen Innenpolitik verbunden ist. Einem Bericht der amerikanischen Zeitung Politico zufolge habe die ukrainische Botschaft in Washington mit den Demokraten kooperiert, um belastende Informationen über Trumps Wahlkampfmanager Paul Manafort zu sammeln. Dass die Ukraine unter dem Ex-Präsidenten Petro Poroschenko bei der letzten US-Präsidentschaftswahl eher auf der Seite von Hillary Clinton stand, ist ebenso ein offenes Geheimnis.

Ukraine bestreitet Druckausübung durch Trump

Doch wie positioniert sich Kiew im aktuellen Skandal unter dem neuen Präsidenten Selenskyj, der sich am Mittwoch zum ersten Mal mit Trump am Rande der UN-Generalversammlung in New York treffen soll? "Ich weiß, worum es im Gespräch zwischen Selenskyj und Trump ging. Und ich denke, dass kein Druck ausgeübt wurde", sagt der ukrainische Außenminister Wadym Prystajko im Interview mit dem unabhängigen Internet-Sender Hromadske. "Es war ein langes und freundliches Gespräch, bei dem es um mehrere Themen ging. Außerdem hat ein Präsident das Recht darauf, vertraulich mit einem anderen Präsidenten zu sprechen." Allerdings bestätigte Trump zuletzt indirekt, dass er mit Selenskyj auch über Biden und Korruption gesprochen habe.

Kiew in der großen Zwickmühle

"Die Ukraine befindet sich in einer großen Zwickmühle", sagte Petro Oleschtschuk, Politologe an der Kiewer Schewtschenko-Universität, dem MDR. Dass Kiew sich derzeit eher zurückhält und versucht, sich weder mit den Republikanern noch mit den Demokraten in den USA zu zerstreiten, hält Oleschtschuk für richtig. "Augenblicklich ist es wahrscheinlicher, dass ein Demokrat die nächsten Wahlen gewinnt, aber Trump ist ja immer noch Präsident. Niemanden zu unterstützen, scheint daher die klügste Entscheidung zu sein. Klar ist aber, dass die ukrainische Karte im US-Wahlkampf noch öfter gespielt wird." Die Ukraine sollte auf weitere Überraschungen vorbereitet sein.

"Komplizierte außenpolitische Prüfung"

"Kiew absolviert gerade eine extrem komplizierte außenpolitische Prüfung", glaubt Iwan Jakowina, außenpolitischer Experte der ukrainischen Wochenzeitschrift NW. Es sei zwar richtig, Trump nicht zusätzlich zu belasten. Trotz des großen Drucks der beiden Parteien unterstütze die Ukraine aber weder die Demokraten noch die Republikaner. Das sei der einzig richtige Weg. "Bei allem Respekt, wir mischen uns in eure Angelegenheiten nicht ein, lassen das aber auch eurerseits nicht zu." Das, so Jakowina, sei die Nachricht, die Kiew vermitteln müsse. Bisher klappe das optimal.

Wie lange es der Ukraine allerdings gelingt, den Spagat zu halten, ist unklar. Auf jeden Fall wird das Treffen zwischen Trump und Selenskyj nun viel Aufmerksamkeit erregen. Dabei soll es nicht nur um den Fall Biden, sondern auch um den Donbass-Krieg gehen, bei dem es nach dem aktuellen Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und Russland inzwischen wieder Hoffnung auf einen stabileren Waffenstillstand gibt.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL TV | 29. August 2019 | 21:45 Uhr

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