Menschen mit Toilettenpapier in der Hand berühren seine Pobacke
Frauen sind deutlich häufiger von Stuhlinkontinenz betroffen, das Verhältnis liegt etwa bei 5:1. Bildrechte: IMAGO/imagebroker

Diagnose und Training Stuhlinkontinenz: So stärken Sie Ihren Beckenboden

01. Juni 2022, 05:00 Uhr

Stuhlinkontinenz ist immer noch ein großes Tabuthema. Vier Millionen Betroffene gibt es in Deutschland: Sie können die Entleerung des Darms nicht mehr bewusst steuern. Viele sprechen nicht darüber. Doch es gibt Hilfe!

Mehr Frauen betroffen

Rund vier Millionen Menschen mit Stuhlinkontinenz gibt es laut der Deutschen Kontinenz Gesellschaft in Deutschland. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Frauen sind deutlich häufiger betroffen, das Verhältnis liegt etwa bei 5:1. Das hängt vor allem mit anatomischen Gründen und Geburten zusammen.

Zwar nimmt die Häufigkeit mit dem Alter zu, doch sei es ein Irrtum, dass das Problem nur Ältere betrifft: "Wir sehen auch junge Patienten mit Stuhlinkontinenz. Ursache sind dann beispielsweise angeborene Enddarmerkrankungen oder chronische Darmentzündungen", sagt Enddarmspezialist Dr. Bruder.

Scham und psychischer Druck

"Die Betroffenen haben Angst, dass sie es nicht merken, wann es passiert. Sie haben Angst, dass es riecht. Sie fragen sich ständig, wo ist hier die nächste Toilette? Da entsteht unheimlicher psychischer Druck", berichtet Dr. Hagen Bruder, Enddarmspezialist aus Dresden. Der Proktologe sieht an einem normalen Sprechstundentag rund 20 Betroffene mit Inkontinenzbeschwerden.

Es geht also bei weitem nicht um Einzelfälle. Doch die Hemmschwelle, einen Arzt aufzusuchen, ist riesig. "Die Betroffenen schämen sich. Sie trauen sich nicht darüber zu sprechen, weder mit der Familie noch mit dem Arzt", so die Erfahrung des Proktologen.

Ursachen können vielfältig sein

Unser Entleerungsvorgang ist ein unwahrscheinlich komplexer Vorgang. Daher gibt es auch zahlreiche Faktoren, die ihn stören können. "Das sind zum einen neurogene Ursachen, wo das Signal, dass man auf Toilette muss, nicht mehr ankommt“, erklärt Dr. Bruder. Das kann über neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Bandscheibenleiden, Multiple Sklerose oder Demenz ausgelöst werden.

Eine weitere häufige Ursache sind Traumata und Verletzungen, wie sie beispielsweise bei Frauen nach einer Geburt auftreten können. "Das Becken hat da eine unglaubliche Arbeit zu leisten, die Jahre später zu Problemen im Enddarmbereich führen kann", so Dr. Bruder. Eine Beckenbodenschwäche und Übergewicht seien ebenfalls eine häufige Ursache. Zudem kann eine Stuhlinkontinenz durch notwendige Eingriffe am Enddarm, wie die Entfernung von Tumoren oder Fisteln, entstehen. Ein riesiges Spektrum also, das jeweils sehr individuelle Therapien nach sich zieht.

Die Untersuchung beim Arzt

Leichte Formen der Stuhlinkontinenz lassen sich leichter behandeln. Daher ist ein frühzeitiger Gang zum Arzt sinnvoll. Der Hausarzt wird Betroffene mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst an den Proktologen überweisen. Nach einem gründlichen Anamnesegespräch folgt eine körperliche Untersuchung mit dem Finger, die nicht schmerzhaft sein sollte. "Dann folgt die Betrachtung des inneren Analkanals, zum Beispiel mit einem Proktoskop. Das ist ein kleines Rohr mit einer Lichtquelle dran. Damit kann man sich den Enddarmbereich und das hämorrhoidale Gefäßgeflecht anschauen. Wenn noch keine Darmspiegelung erfolgt ist, schließe ich eine Darmspiegelung an, um auszuschließen, dass ein Tumor oder eine entzündliche Erkrankung die Ursache sind", erklärt Dr. Bruder.

Je nach Einzelfall kann es auch eine Überweisung zum Gynäkologen, Urologen oder Radiologen geben. Bei letzterem wird beispielsweise eine sogenannte Defäkografie gemacht. Dabei werden nach einem Einlauf MRT-Bilder vom Entleerungsvorgang angefertigt.

Diese Therapien können helfen

1) Beckenbodengymnastik

So vielfältig wie die Ursachen, so unterschiedlich sind auch die Therapien. Zu den Basistherapien zählt die Beckenbodengymnastik. "Ich sage allen Patienten, die Beckenbodengymnastik müssen Sie von jetzt jeden Tag bis ans Ende ihres Lebens machen. Sie bekommen dafür ein Rezept für die Physiotherapie mit, aber ohne die Mitarbeit des Patienten geht es nicht", versucht Dr. Bruder Mut für mehr Eigeninitiative zu machen.

2) Training des Schließmuskels

Mitarbeit wird auch beim Biofeedback gebraucht. Dazu wird in den After eine Sonde eingeführt und die Betroffenen müssen bestimmte Übungen zum Training des Schließmuskels machen. Ein Signal zeigt an, wann ein bestimmter Kneifdruck erreicht ist. Das Training zeigt nach etwa einem halben Jahr gute Erfolge, allerdings nur, wenn man es auch macht.

3) Analtampons

Auch Analtampons, die vom Arzt verordnet werden, können mehr Lebensqualität bringen. "Sie halten mehrere Stunden dicht. Ich habe eine ganze Menge Patienten, die damit sehr gut zurechtkommen und damit zufrieden sind", so Dr. Bruder. Der Analtampon wird wie ein Zäpfchen eingeführt und funktioniert quasi wie ein Stöpsel. Theaterbesuche oder eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind so wieder möglich.

4) Operation

In einigen Fällen helfen operative Verfahren. Dazu zählen ein künstlicher Schließmuskel oder ein Nerven-Schrittmacher, das sogenannte SNS-Verfahren. Selbst ein künstlicher Darmausgang ist in manchen Fällen die bessere Alternative zu permanenter Stuhlinkontinenz. Solche Operationen sind jedoch immer Einzelfall-Entscheidungen und wollen sorgsam abgewogen werden.

Stadien der Stuhlinkontinenz Grad 1: unkontrollierter Abgang von Gasen, gelegentliches Stuhlschmieren

Grad 2: Unfähigkeit, flüssigen Stuhl zu halten

Grad 3: Unfähigkeit, festen Stuhl zu halten

"Nette Toiletten" per App finden

Über die Aktion "Nette Toilette" kann man öffentliche WC’s finden, die man kostenfrei nutzen darf. Händler und Gastronomen stellen diese zur Verfügung und erhalten dafür von der örtlichen Stadtverwaltung eine Aufwandsentschädigung. Aktuell sind in der App "Nette Toilette" rund 300 Städte in Deutschland aufgeführt, die das Konzept unterstützen.

Die "toilettenfreundlichste" Stadt ist demnach Stuttgart mit aktuell 54 öffentlichen Toiletten. In Mitteldeutschland beteiligen sich dagegen nur wenige Städte an dem Konzept. Für Magdeburg, Dresden oder Leipzig gibt es keine Einträge. Lediglich Chemnitz (21) und Erfurt (16) bieten diesen Service an.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 02. Juni 2022 | 21:00 Uhr

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