Tabu Harninkontinenz Blasenschwäche bei Männern und Frauen: Hier finden Sie Hilfe

20. September 2023, 05:00 Uhr

Blasenschwäche wird überwiegend für ein Frauenproblem gehalten. Doch Inkontinenz betrifft weit mehr Männer, als man denkt. Aus Scham wird of geschwiegen oder versucht, das Problem zu ignorieren. Dabei gibt es hilfreiche Operationen und Hilfsmittel. Kondomurinale oder Penisklemmen etwa können Männern wieder zu mehr Lebensqualität verhelfen.

Operation an der Protasta als eine mögliche Ursache bei Männern

Im Gegensatz zur Frau, bei der Inkontinenz häufig durch eine Beckenbodenschwäche entsteht, tritt eine Blasenschwäche bei Männern am häufigsten nach operativen Eingriffen auf. "Der große Teil der Männer, die so eine Belastungsinkontinenz haben, bekommen diese durch eine radikale Entfernung der Prostata. Die Inkontinenzrate nach Prostataoperationen liegt bei zehn bis 15 Prozent", erläutert Privatdozent Dr. Martin Baunacke, Oberarzt an der Klinik für Urologie am Uniklinikum Dresden.

Bei Übergewicht ist das Risiko, inkontinent zu werden, höher. Auch eine Bestrahlung und ein höheres Lebensalter erhöhen das Risiko. Weitere Ursachen für eine Blasenschwäche sind operative Eingriffe über die Harnröhre oder Unfälle.  

Therapien vorhanden, aber aus Scham oft nicht genutzt

Das Thema Inkontinenz ist mit viel Scham behaftet. Da ist die Angst, dass die Umgebung etwas mitbekommt, dass andere "das Problem" riechen, wenn man nicht rechtzeitig eine Toilette findet. Viele Betroffene isolieren sich und gehen nicht mehr in die Öffentlichkeit. Häufig besprechen die Patienten das Problem nicht mal mit ihrem Arzt. Das Thema ist unangenehm. Nichts, worüber man gern spricht. Nicht "dicht" zu sein, macht befangen, verhindert soziale Kontakte und ein normales, aktives Leben.

"Es gibt sicher einen großen Teil von Patienten, die nicht adäquat therapiert werden", sagt Urologe Dr. Baunacke. "Wir haben einige Studien zu diesem Thema durchgeführt und da sieht man, dass etwa die Hälfte der Patienten, die eine Belastungsinkontinenz aufweisen und einen hohen Leidensdruck haben, nicht ordentlich behandelt sind. So dass man schon sagen kann, dass bei 50 Prozent der Patienten Versorgungsdefizite existieren, diese also von einer Behandlung profitieren würden."

Beckenbodentraining als erste Therapie auch bei Männern

Obwohl der Gang zum Arzt vielfach hinausgezögert wird – es lohnt sich! Denn für die unterschiedlichen Grade der Blasenschwäche gibt es zahlreiche Therapien. Der erste Schritt nach einer Prostataoperation ist für den Mann das Beckenbodentraining. "Man gibt dem Patienten ein Jahr Zeit dafür. Ein sehr großer Teil schafft es, durch Beckenbodentraining die Kontinenz wiederherzustellen", macht Dr. Martin Baunacke Mut – regelmäßiges Üben vorausgesetzt. Es bleiben etwa zehn bis 15 Prozent der Patienten, bei denen die Kontinenzprobleme dauerhaft bleiben. Für diese Fälle kommen in der Regel zwei verschiedene operative Verfahren in Frage.

Operation: künstlicher Schließmuskel oder Bändchen

Ist die Blasenschwäche nicht ganz so schwerwiegend, gibt es für Männer Bänder oder Bandsysteme, ähnlich wie bei der Frau. Das Band wird um die Harnröhre gelegt und unterstützt den Beckenboden nach einer Prostata-Operation. Bandsysteme können über ein verstellbares, implantiertes Kissen sogar von außen nachjustiert werden.

In schweren Fällen hilft ein künstlicher Schließmuskel. Das Implantat besteht aus drei Teilen: eine Manschette, die die Harnröhre wieder verschließen kann, ein Reservoir im Bauchraum und eine Pumpe im Hodensack. Dieses System wird komplett unter die Haut verlegt. Durch die dünne Hodensackhaut kann der Patient die Pumpe sehr leicht von außen bedienen. Mit einem Handgriff kann er die Manschette öffnen, so dass er auf der Toilette kontrolliert Wasser lassen kann.

Der operative Eingriff dauert rund eine Stunde. Allerdings muss man wissen, dass das System irgendwann verschleißt. "Im Schnitt halten die Systeme sechs bis acht Jahre. Aber es ist eben für diese sechs bis acht Jahre ein unglaublicher Gewinn an Lebensqualität", sagt Urologe Baunacke.

Hilfsmittel für Männer: Kondomurinale und Penisklemme

Nicht immer ist eine Operation möglich oder nötig. Für manche Patienten gibt es Hilfsmittel, auch abseits der bekannten Vorlagen oder Windelhosen. Kondomurinale beispielsweise werden wie ein Kondom über den Penis gezogen und festgeklebt. Über einen Katheter wird der Urin in einen Beutel geleitet, der am Ober- oder Unterschenkel befestigt wird.

"Für viele Patienten bedeutet dieses System einen ungeheuren Gewinn an Lebensqualität, da sie wieder in die Öffentlichkeit gehen können. Kondomurinale werden von den Krankenkassen bezahlt, viele wissen das nicht", so Dr. Baunacke. Ein weiteres Hilfsmittel ist eine Penisklemme. Sie drückt die Harnröhre zu. "Das ist allerdings nichts, was man den ganzen Tag trägt. Aber für kürzere Zeiten ist das durchaus ein Gewinn."

Häufige Formen von Inkontinenz in der Übersicht

– Belastungsinkontinenz

Bei der Belastungskontinenz hält die Blase vorwiegend bei Belastungen wie Husten, Niesen oder Lachen nicht dicht. Als Ursache kommen hauptsächlich Beckenbodenschwäche (Frauen) und Störungen des Blasenschließmuskels, zum Beispiel nach einer Prostata-OP (Männer), in Betracht. Diese Form der Inkontinenz ist sehr weit verbreitet. Mit Beckenbodentraining, Medikamenten und operativen Eingriffen kann geholfen werden.

– Dranginkontinenz

Bei der Dranginkontinenz verspürt man anfallartig einen Drang zum Wasserlassen. Fast im selben Moment geht der Urin ab, ohne dass er aufzuhalten wäre. Die Dranginkontinenz kann Folge von Entzündungen der unteren Harnwege, von gut- oder bösartigen Prostatavergrößerungen oder auch von neurologischen Erkrankungen sein. Eine reine Dranginkontinenz ist medikamentös behandelbar.

Mischinkontinenz Belastungs- und Dranginkontinenz können auch zusammen auftreten. Auch hier ist eine Untersuchung beim Urologen oder Gynäkologen wichtig, um die richtige Therapie zu finden.

– Überlaufinkontinenz

Bei der Überlaufkontinenz kommt es bei voller Blase zu einem unkontrollierbaren Überlaufen. Ursache können eine blockierte Harnröhre oder eine schwache Blasenmuskulatur sein. Auslöser dafür können ein Diabetes, Tumore oder Harnsteine sein. Männer sind davon häufiger betroffen als Frauen. Eine gutartige Prostata-Vergrößerung ist die häufigste Ursache der Überlaufinkontinenz.

Beckenbodentraining für den Mann

Auch Männer können ihren Beckenboden trainieren. Insbesondere nach Prostata-Operationen hilft es Inkontinenz zu beheben und Erektionsstörungen vorzubeugen. Die ersten Übungsversuche macht man am besten unter fachlicher Anleitung.

1. Übung zur Wahrnehmung

Am Anfang steht auch bei Männern die Frage: Wo befindet sich der Beckenboden eigentlich?

  • Um den Beckenboden zu lokalisieren, legt man(n) sich am besten auf den Rücken.
  • Gesäß- und Bauchmuskeln bleiben entspannt.
  • Versuchen Sie Hoden und After zusammenzuziehen, in sich "hinein zu saugen", so als ob man den Harn- oder Stuhldrang unterdrücken möchte.

2. Übung zum Training

Bei dieser Übung hilft der Gedanke, der Unterleib ist ein Hochhaus und der Beckenboden der Fahrstuhl.

  • Fahren Sie gedanklich in die erste Etage, indem Sie den Beckenboden für drei Sekunden anspannen, also Hoden und After zusammenziehen.
  • Ruhig weiteratmen dabei.
  • Dann erhöhen Sie die Anspannung für drei Sekunden, als ob Sie in die zweite Etage fahren wollen.
  • Anschließend lockerlassen und die Übung etwa zehn Mal wiederholen.

Studien haben gezeigt, dass regelmäßiges Beckenbodentraining auch beim Mann Inkontinenz verringert und die sexuelle Standfestigkeit verbessert.

Frau auf Männersymbol gegenüber einem Mann auf Frauensymbol 93 min
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Beckenbodentraining für die Frau

Gezieltes Training des Beckenbodens kann zu einer wesentlichen Besserung führen. Es ist sinnvoll, sich anfangs von einem Physiotherapeuten gezielt Übungen zeigen zu lassen.

1. Übung zur Wahrnehmung

Um den Beckenboden zu trainieren, muss man diese Muskeln erst einmal erspüren und lernen, sie willkürlich anzuspannen. Hilfreich dazu ist ein handelsübliches Kirschkernkissen, möglichst in quadratischer Form (15 cm x 15 cm).

  • Das Kissen wird so auf einen harten Stuhl gelegt, dass beim Draufsetzen eine Ecke nach vorn zum Schambein und die gegenüberliegende nach hinten Richtung Anus zeigt.
  • Jetzt mit dem Becken auf dem Kissen so lange hin und her rutschen, bis die vier knöchernen Enden des Beckens auf die Ecken des Kissens drücken.

2. Übung zum Training

Jetzt kann das Training beginnen.

  • Sie müssen die Muskeln des Beckenbodens so anspannen, als wollten Sie die Kirschkerne aus dem Kissen in der Mitte anhäufen.
  • Diese Übung so oft es geht am Tag immer wieder durchführen.
  • Wenn Sie so gelernt haben, wo Ihr Beckenboden sitzt und wie Sie ihn bewusst anspannen, kann man auch ohne Kissen trainieren: Beim Ausatmen gedanklich mit den Muskeln einen Kirschkern aufheben und beim Einatmen wieder fallen lassen.
  • Großer Vorteil: Man kann es in viele Alltagssituationen einbauen. Denn dieses Training ist für andere unsichtbar.

Haben Sie etwas Geduld. Erste Erfolge sind nach drei bis sechs Monaten zu erwarten.

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 21. September 2023 | 21:00 Uhr

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