Psychische Widerstandsfähigkeit Resilienz – das Geheimnis einer starken Psyche

19. Dezember 2023, 18:10 Uhr

Wie heißt es so treffend? Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Trotzdem scheint es große Unterschiede darin zu geben, wie Menschen mit Problemen, mit Stress oder mit Schicksalsschlägen fertig werden. Wir haben mit Professor Katarina Stengler, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Helios Park-Klinikum Leipzig über Resilienz, also dem Geheimnis der psychischen Widerstandsfähigkeit gesprochen.

Was verstehen Sie persönlich unter Resilienz?

Professor Katarina Stengler: Resilienz bedeutet für mich, die Fähigkeit zu haben, auch unter deutlichem Stress, Anspannung, Belastungen die eigene psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten. Resilienz kann gestärkt und gefördert werden – durch jeden selbst und auch durch umgebende Bedingungen und unterstützende Faktoren. Wichtig ist, die Zusammenhänge zwischen eigener Belastungsfähigkeit, Grenzen und eben Bewältigungsmöglichkeiten zu erkennen und zu nutzen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen mangelnder Widerstandsfähigkeit und Depressionen?

Das ist eine schwierig gestellte Frage, weil "Widerstandsfähigkeit" eine so komplexe Angelegenheit ist und zudem Depression als zuweilen schwere psychische Erkrankung auch multifaktoriell bedingt ist. Man kann in keiner Weise die "Willensfähigkeit" im Sinne des "aktiv Widerstand leisten können" des Einzelnen als ausschlaggebendes Moment definieren. Ich würde diese Frage so nicht stellen – oder eben sehr komplex betrachten.

Rossnatur oder Mimose: Warum überstehen einige Menschen Schicksalsschläge oder auch nur die Widrigkeiten des Alltags besser als andere?

Belastbarkeit, Stresstoleranz, Resilienzfähigkeit sind von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich – erforderliche Bewältigungsstrategien hat jeder im Laufe seiner Biographie unterschiedlich entwickeln können. Zudem sind auch biologische Voraussetzungen und Anpassungsmöglichkeiten sehr verschieden; der Gesamtkontext muss zwingend in jede persönliche Situation einbezogen werden. Menschen reagieren auf persönliche Schicksalsschläge, aber auch auf globale Krisen, wie wir sie aktuell haben, sehr verschieden mit körperlichen und/oder psychischen Symptomen – das können Herzrasen, Magenbeschwerden, Blutdruckkrisen und eben auch psychische Auffälligkeiten bis hin zu relevanten Erkrankungen wie etwa depressive Episoden, Angsterkrankungen oder Abhängigkeitsstörungen sein.

 

Worauf sollten Eltern achten? Wie macht man Kinder widerstandsfähig?

Kinder sind im Regelfall robust ausgestattet und sehr widerstandsfähig. Sie gehen offen und mit dem natürlichen Willen und der natürlichen Ausstattung "die Welt zu bewältigen“ in die Welt. Manchmal ist die Frage eher: Wodurch stören wir Erwachsene diese Entwicklung? Zum Beispiel durch mangelnde Fürsorge und Empathie, durch psychische und/oder körperliche Gewalt an Kindern, die damit nicht nur ihre seelische und körperliche Unversehrtheit verlieren, sondern vor allem ihr Urvertrauen in das Gute und Unterstützende ihren Mitmenschen – oft den Familienangehörigen – gegenüber. Aber natürlich gibt es auch bei Kindern individuelle Unterschiede, und der Anspruch, individuell zu fördern, heißt eben auch, ganz individuell die Ausgangslagen aufzunehmen – so wie bei den Großen.

Resilienzförderung bei Kindern bedeutet einerseits vor allem Förderung und Vorhaltung von entsprechenden Schutzfaktoren, die frühzeitig helfen, dass Kinder eine belastungsarme Entwicklung nehmen können. Andererseits sollen Kinder – ebenfalls frühzeitig – in die Lage versetzt werden, aufkommende Krisen, Stress, Herausforderungen in Schule, Familie, Umwelt auch zu erkennen und damit umgehen zu lernen. Hierfür sind verlässliche Beziehungen besonders relevant. Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, Zuversicht an der Seite wichtiger Bezugspersonen (das meint vor allem die Eltern, aber nicht ausschließlich), machen Kinder stark und widerstandsfähig. Die Erfahrung, "ich bin gut und richtig, wie ich bin, und werde unterstützt, bei dem was ich brauche", ist eine sehr basale, wichtige Erfahrung für Kinder.

 

Kann man mangelnde Resilienz im Erwachsenenalter noch ausgleichen?

Man kann und muss immer in Entwicklung bleiben und seine persönlichen Ressourcen im Umgang mit Alltagsherausforderungen oder auch mit besonderen, vielleicht existentielleren Krisen analysieren und im besten Fall hilfreich anpassen. Viele bekannte und gut bewährte vor allem psychologische Strategien helfen. Man kann zum Beispiel Selbstmanagementstrategien inklusive Stress- und Zeitmanagement überprüfen und gegebenenfalls optimieren oder aber auch professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen.  

Unter welchen Umständen hilft Ihrer Meinung nach nur eine Therapie?

Da ist die Antwort ganz klar: Wenn eine Erkrankung im engeren Sinne vorliegt, ist Therapie indiziert. "Krankheit" im engeren Sinne liegt dann vor, wenn alle eigenen Hilfestrategien nicht (mehr) greifen, wenn die soziale Realität im Sinne von Job, Familie, Freundeskreis etc. nicht mehr zu bewältigen ist. Wenn das eigene Unterstützungssystem droht zusammenzubrechen – spätestens dann ist therapeutische Hilfe abzuwägen.

Welche kleinen Tricks kann man in den Alltag einbauen, um ein wenig widerstandsfähiger zu werden?

Balance halten: An- und Entspannung auch in stressfreien Zeiten, faktisch als Lebenseinstellung. Sich selbst kontinuierlich im Blick behalten: Was habe ich an diesem Tag/in dieser Woche zu "leisten"? Was fordert mich, und was fördert mich, was tut mir gut an diesem Tag/in dieser Woche, oder was muss ich noch "Gutes einplanen"? Also in Summe: Gelernte, etablierte und kontinuierlich praktizierte Selbstfürsorge ist ein wichtiger Faktor für unsere psychische (und körperliche) Gesundheit.

MDR (cbr) Erstmals veröffentlicht am 09.11.2023.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 09. November 2023 | 21:00 Uhr

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