Feldlerche
Eine Feldlerche im Flug: Die Renaturierungsverordnung hätte den Schutz von Agrarland-Vogelarten verbessern sollen. Einige Passagen wurden aber gestrichen. Bildrechte: IMAGO/ingimage

EU-Parlament beschließt Kompromiss Renaturierungsverordnung: Biodiversitäts-Forschende erleichtert und enttäuscht

13. Juli 2023, 16:52 Uhr

Das EU-Parlament hat trotz heftigem Widerstand von Konservativen und Bauernvertretern für die Renaturierungsverordnung gestimmt – mit Kompromissen. Biodiversitätsforschende sind erleichtert und zugleich enttäuscht.

Autorenfoto von Clemens Haug
Bildrechte: Tobias Thiergen/MDR

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit dem Erhalt der Artenvielfalt beschäftigen, zeigen sich erleichtert darüber, dass das Europaparlament am Mittwoch das umstrittene EU-Nature-Restoration-Act Law beschlossen hat. Die Parlamentsfraktion der europäischen Volkspartei (EVP), der auch die CDU angehört, hatte die Initiative zusammen mit Vertretern großer Landwirtschaftsverbände wochenlang bekämpft.

Dass das Parlament nun trotzdem dafür stimmte, natürliche Ökosysteme besser zu schützen und teilweise wiederherzustellen, wertete der Ökologe Guy Pe'er vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig (iDiv) als historische Entscheidung. "Den politischen Entscheidungsträgern ist es gelungen, anzuerkennen, wie wichtig die Natur für unser Wohlergehen ist und wie dringend es ist, die Krise der biologischen Vielfalt anzugehen", sagte er auf Anfrage von MDR WISSEN.

Forschende kritisieren Streichung von Maßnahmen für Moore und Feldvögel

Das Gesetz sei international richtungsweisend und könne helfen, Investitionen in Nachhaltigkeit attraktiver zu machen, hofft Pe'er, der einen offenen Brief von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für die Verordnung initiiert hatte. Dieser Brief wurde schließlich von 6.000 Forschenden unterschrieben, unter anderem auch von Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock. "Europa verfügt als eine der reichsten Regionen der Welt über die notwendigen ökonomischen Ressourcen, um Naturschutz zu finanzieren und umzusetzen", sagte Lakner. "Es ist daher umso wichtiger, dass wir unserer Verantwortung zumindest grundsätzlich gerecht werden."

Beide Wissenschaftler kritisierten allerdings einige der Kompromisse, die das Parlament vor der Abstimmung gemacht hat. So wurde etwa der geplante Artikel 9 gestrichen, der unter anderem die Wiedervernässung von landwirtschaftlich genutzten Moorflächen vorsah. Auch Maßnahmen zum Schutz von Feldvögeln gehörten dazu. Deren Bestände gehen immer weiter zurück, auch, weil es auf großen Feldern kaum noch Hecken und damit Nistplätze gibt. Diese Streichung könne sich als große verpasste Chance erweisen, die Klima- und Biodiversitätsziele zu erreichen, sagte Pe'er.

Lakner bedauerte, dass die Maßnahmen in Artikel 4 auf die Wiederherstellung von Natura 2000 Gebieten beschränkt wurde. Natura 2000 ist ein eigener Schutzstatus, unter den etwa der Auewald in Leipzig fällt. Das sei "zwar zweifellos wichtig, aber andere Lebensräume fielen der Streichung zum Opfer", so der Agrarökonom.

Verbesserung der Naturschutzverordnung: Expertinnen und Experten hoffen auf Trilog

Allerdings ist die nun verabschiedete Fassung noch nicht endgültig. Im nun folgenden "Trilog" müssen das Parlament, die von Ursula von der Leyen geleitete europäische Kommission sowie der Rat der europäischen Regierungen die Verordnung final ausgestalten. Sowohl Lakner als auch Pe'er hoffen, dass dabei gestrichene Punkte wie die Moore wiederaufgenommen werden und dass es nicht zu einer weiteren Verwässerung des Naturschutzes kommt. Dafür sei wichtig, dass bindende Vorgaben bindend bleiben und Kriterien zur Bewertung des Erfolgs ökologischer Maßnahmen klar gehalten bleiben.

"Die Politik in den Mitgliedsstaaten muss jetzt Lösungen finden, mit denen zunächst der Zustand der Naturschutzgebiete über alle Lebensräume hinweg verbessert wird", sagte Sebastian Lakner. "Wenn wir als Gesellschaft Naturschutz wollen, ist es notwendig, Landnutzerinnen und Landnutzern bessere und unbürokratische Förderangebote anzubieten." Dafür kämen beispielsweise die Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik in Frage.

Kemfert: Man kann nicht weitermachen wie bisher

Auf die von den Landwirtschaftsverbänden geäußerte Kritik, das Vorhaben gefährde die Versorgung Europas mit Lebensmitteln, entgegnete die Ökonomin Claudia Kemfert im MDR Podcast Kemferts Klima-Update, dass sich die Ernährungssicherheit umgekehrt sogar verbessere. "Wir zerstören im Moment ja gerade nicht nur unsere Lebensgrundlage, sondern auch die Grundlage der Erträge für jeden Ackerbauern", so Kemfert. Zu glauben, man könne so weitermachen wie bisher, sei ein Trugschluss.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 12. Juli 2023 | 17:00 Uhr

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