Im Vordergrund sind weiße Wohnhäuser einer Stadt zu sehen, im Hintergrund nähert sich die Feuerwand näher kommender Waldbrände.
Bildrechte: Imago / MDR Wissen

MDR KLIMA-UPDATE | 3. März 2023 Klimarisiken an Knotenpunkten der Weltwirtschaft am größten

Ausgabe #77 vom Freitag, 3. Februar 2023

03. März 2023, 11:00 Uhr

Autorenfoto von Clemens Haug
Bildrechte: Tobias Thiergen/MDR

Guten Tag,

wenn Sie zu unseren schnellen Lesenden gehören, haben Sie jetzt noch die Gelegenheit, heute an einem Klimastreik teilzunehmen. In zahlreichen Städten Mitteldeutschlands gehen Menschen heute ab 14 oder 15 Uhr für eine bessere Klimapolitik auf die Straße. Wo das bei Ihnen geht, erfahren Sie bei Fridays For Future.

Vielleicht denken Sie aber auch, dass Streiken der Wirtschaft schadet. Und vielleicht vermuten Sie auch, dass nur eine starke Wirtschaft genügend Ressourcen hat, um in den Wandel zu einer klimaneutralen Ökonomie investieren zu können. So ähnlich habe ich bislang auch gedacht, bis ich kürzlich "Das Ende des Kapitalismus" von Ulrike Hermann gelesen habe. 

Die Autorin – die sich, anders als der Titel vermuten lässt, als große Anhängerin kapitalistischen Wirtschaftens versteht – hat mich zwar nicht in allen ihren Argumenten überzeugt, doch ein Punkt ist hängen geblieben: Viele Kapitalisten verstehen ihr eigenes System nicht und treffen daher oft Entscheidungen, die schlecht für die Wirtschaft sind. Lässt man unregulierte Märkte also machen, wie sie wollen, werden sie die Weltwirtschaft in kürzester Zeit in den Abgrund reißen. Und das trifft leider gerade auch auf die Herausforderungen des Klimawandels zu, wie ich im Thema der Woche noch erläutern werde.

Daneben geht es an verschiedenen Stellen dieses Newsletters um Wildtiere, unter anderem auch bei der:


Zahl der Woche:

22

… Millionen Tonnen, auf diese Summe beläuft sich die gesamte Biomasse wildlebender Landsäugetiere auf der Erde. Das schätzt ein Team von Forschenden um Ron Milo von der Abteilung für Pflanzen- und Umweltwissenschaften am Weizman Institute of Science in Israel. Menschen hingegen bringen insgesamt 390 Millionen Tonnen Biomasse auf die Waage, also mehr als das 17-fache. Nimmt man noch alle von Menschen gehaltenen Nutztiere und Mitbewohner wie Ratten in städtischen Kanalisationen mit hinzu, kommt die Menschheit sogar auf 630 Millionen Tonnen Biomasse. Die Zahlen zeigen die erdrückende Überwältigung der Welt durch die Menschheit. "Ich hoffe, das wird ein Weckruf für die Menschheit, dass wir wirklich alles tun, um wildlebende Tiere wirklich zu schützen", sagt Milo über den Zweck seiner Forschung.

Klimabedingte Katastrophen bedrohen Knotenpunkte der Weltwirtschaft

New York und Kalifornien sind nicht nur zwei sehr dicht besiedelte Regionen in den USA, die an Küsten liegen. Sie sind auch zwei zentrale Knotenpunkte der Weltwirtschaft. Das bedeutet, dass viele Produktionsketten mit ihnen in der ein oder anderen Art verbunden sind. Werden diese Orte durch Klimawandel bedingte Naturkatastrophen heimgesucht – etwa durch Hochwasser, Waldbrände oder extreme Orkanböen – dann hat das mitunter auch Folgen für die Fertigung in weit entfernten Gegenden, beispielsweise den Fahrzeugbau in Sachsen, die geplante Chipfertigung bei Magdeburg oder die hiesige Logistikbranche rund um den Flughafen Leipzig/Halle.

Anfang September 2020 wurde Los Angeles jeden Tag mit Rauch und Asche von nahe gelegenen Waldbränden bedeckt.
Anfang September 2020 wurde Los Angeles jeden Tag mit Rauch und Asche von nahe gelegenen Waldbränden bedeckt. Bildrechte: IMAGO / UIG

China und den USA haben zusammen 50 der 100 Regionen mit den größten Klimarisiken

Wie groß sind also die Klimarisiken für solche Schlüsselregionen der globalen Ökonomie? Diese Frage haben sich Forschende beim Thinktank XDI gestellt. Die Abkürzung steht für Cross-Dependency-Initiative, frei übersetzt also die Initiative zur Aufklärung von wechselseitigen Abhängigkeiten. Durch Modellrechnungen erstellten die Forschende eine Rangliste der am stärksten durch Klimarisiken bedrohten Punkte der Weltwirtschaft. Zum eigenen Erstaunen der Forschenden zeigte sich: Gerade die Knotenpunkte haben häufig die größten Klimarisiken.

Allein 50 der 100 am stärksten bedrohten Regionen der Welt gehören zu den beiden größten Ökonomien, den USA und China. China allein wiederum stellt 25 der 50 gefährdetsten Gebiete. Hier sind die südlichen und östlichen Küstenregionen am Pazifik zugleich am dichtesten besiedelt, am stärksten entwickelt, am meisten in globale Produktionsströme eingebunden und am häufigsten gefährdet durch Fluten, Dürren, Stürme und andere Extremereignisse, die durch jede weitere Erwärmung der Atmosphäre immer wahrscheinlicher werden.

Leider kann man oft den Eindruck gewinnen, dass große Wirtschaftsunternehmen diese Risiken einfach eingehen. Gehen die Wirtschaftslenker davon aus, dass sie im Fall schwerer Schäden von Versicherungen und zur Not auch durch staatliche Finanzspritzen gerettet werden?

So baut der deutsche Chemiekonzern BASF gerade für 10 Milliarden Euro eine neue Fabrik in der südchinesischen Provinz Guangdong auf. Es ist die größte Einzelinvestition eines deutschen Unternehmens in China aller Zeiten. Guangdong liegt auf Platz vier der Regionen mit den größten Klimarisiken. Gerade im Juni 2022 kam es dort zu einer schweren Flut, die zu geschätzten Verlusten in Höhe von 7,5 Milliarden Yuan (umgerechnet etwa eine Milliarde Euro) führte.

Überflutete Straßen in der Provinz Guangdong.
Hier ein Archivbild von 2018, als es dort schon einmal zu starken Überschwemmungen kam. Bildrechte: IMAGO / Xinhua

BASF: Wenn China scheitert, wäre sowieso alles anders

BASF wurde für diese Investition jüngst auch vor dem Hintergrund der Lehren aus dem Ukraine-Krieg kritisiert. Gute Wirtschaftsdeals mit autokratischen Staaten können sich in schwere Verluste verwandeln, wenn ein solches Land plötzlich in ein Nachbarland einmarschiert. China kündigt seine Absicht, Taiwan anzugreifen, praktisch regelmäßig an. Auf dieses Risiko einer zu großen Abhängigkeit von China angesprochen, sagt BASF-Chef Brudermüller zu Medienvertretern: "Ja, im schlimmsten Fall ist der Totalausfall auch in China denkbar, aber das würde bedeuten, dass das gesamte weltweite Wirtschaftssystem nicht mehr funktioniert, dann wäre plötzlich alles anders." Sprich: Wenn das Geschäft mit China untergeht, geht sowieso die Weltwirtschaft unter und dann ist auch alles andere egal.

Ich fürchte, wer so mit Risiken umgeht, verhält sich am Ende wie ein Lemming. So schafft sich die Wirtschaft ab, wenn man sie lässt.

In Deutschland sind vor allem die Küstenländer am stärksten gefährdet. Niedersachsen führt auf Platz 56 sogar die Rangliste in Europa an. Hier reagieren Behörden mit der Erhöhung von Deichen und neuen Bauweisen, die auch einer Überspülung standhalten.

Aber auch Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern tragen große Risiken. Hamburg steht wegen guter Vorkehrungen zwar nur auf Platz 287, könnte aber bei einer echten Katastrophe schwer getroffen werden. Unnötig zu erwähnen, dass die Hafenmetropole einer der deutschen Knotenpunkte der Weltökonomie ist.

Da nützt es dann leider auch wenig, dass Sachsen-Anhalt (Platz 473), Thüringen (Platz 653) und Sachsen (Platz 709) im Risikoranking auf den hinteren Plätzen liegen.


🗓 Klima-Termine

Sonntag, 5. März – Dresden

Andreas Levermann spricht ab 11 Uhr im Schauspielhaus zum Thema "Die Faltung der Welt: ein freiheitlicher Weg aus Klimakrise und Wachstumsdilemma". Levermanns These als Mathematiker: Nicht Verzicht und Rückbesinnung hilft weiter im Umgang mit der Begrenzung der Welt, sondern das mathematische Prinzip der Faltung: Nicht Wachstum ins Mehr, sondern Wachstum in die Diversität, muss die Devise lauten. Alle Infos hier.

Montag, 6. März – Wurzen

Buchautor Toralf Staud erklärt beim Verein Netzwerk für Demokratische Kultur, wie der Klimawandel bis 2050 das Leben in unserer Region verändern wird. Beginn ist um 18 Uhr, der Eintritt ist frei. Informationen hier.

Freitag, 17. März – Weimar

Harald Lesch und "Die vier Jahreszeiten" im Klimawandel: Acht klassische Musikerinnen des Merlin Ensembles Wien reisen musikalisch und wissenschaftlich zusammen mit dem Physiker Harald Lesch durch Zeit und Raum – beginnend mit der Entstehung der Erde und den Jahreszeiten und mit abschließenden Betrachtungen zum Zustand des Klimas in der Gegenwart. Tickets für die Veranstaltung im Deutschen Nationaltheater zwischen 21 und 46 Euro. Infos hier.


📰 Klimaforschung und Menschheit

Internationale Energieagentur: CO2 Emissionen 2022 weiter gestiegen

Die energiebedingten CO2-Emissionen sind im Jahr 2022 erneut um 0,9 Prozent auf ein neues Rekordniveau von 36,8 Milliarden Tonnen gestiegen. Wie die Internationale Energieagentur (IEA) am Donnerstag mitteilte, liegt der Wert unter den Erwartungen, da der Aufschwung grüner Energiequellen teilweise den höheren Verbrauch von Öl und Kohle ausglich. Die energiebedingten Emissionen seien damit jedoch auf einem "unhaltbaren Wachstumskurs" und trieben den Klimawandel weiter an, erklärte die IEA weiter. Als energiebedingte Emissionen gelten Treibhausgase, die durch die Umwandlung von Energieträgern wie beispielsweise Kohle, Erdöl oder Erdgas entstehen. Diese Emissionen machen mehr als drei Viertel des Treibhausgasausstoßes aus. Bereits 2021 waren durch die Erholung der Weltwirtschaft von den Folgen der Corona-Pandemie und eine verstärkte Verbrennung von Kohle die ausgestoßenen energiebedingten CO2-Emissionen auf einen Rekordwert gestiegen. Damals waren es weltweit 36,3 Milliarden Tonnen. (afp)            

Diese 84 Tier- und Pflanzenarten sind in der Wildnis ausgestorben

Eine aktuelle Bestandsaufnahme im Magazin Science listet 84 Tier- und Pflanzenarten, die in der freien Wildbahn ausgestorben sind und nur noch in Zoos, Aquarien, botanischen Gärten oder Saatgutbanken überlebt haben. Darunter ist etwa die Säbelantilope, die seit Anfang der 1990er-Jahre nicht mehr in freier Wildbahn gesichtet wurde, zugleich aber in Zoos die zweithäufigste Antilopenart ist. Häufig ist der Weg in die Gefangenschaft eine Einbahnstraße: Expertinnen und Experten zufolge ist die Auswilderung eine enorme Herausforderung. "Trotz heldenhafter Anstrengungen kommt Scheitern genauso häufig vor wie Erfolg", sagte Donal Smith vom Londoner Institute of Zoology (ZSL), Erstautor der Studie. 

Klimawandel wird Konflikte zwischen Tieren und Menschen verschärfen

Eine Überblicksarbeit über 49 Einzelstudien sieht eine deutliche Zunahme von Konflikten zwischen Wildtieren und Menschen. 80 Prozent der Studien kommen dabei zum Schluss, dass der Klimawandel und daraus resultierende Verknappung von Ressourcen die häufigste Ursache für die Auseinandersetzungen ist. Mit 69 Prozent folgte die Veränderung von Lebensräumen. Die Konflikte endeten in der Regel mit Verletzungen oder dem Tod von Lebewesen, in 45 Prozent der Studien betraf das die Tiere, in 43 Prozent die Menschen. In 45 Prozent der Fälle wurden Nahrungsmittel zerstört. Das trifft vor allem wirtschaftlich verwundbare menschliche Gemeinschaften.

Bund fördert Klimaprojekte in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen

Die Bundesregierung fördert Klimaprojekte in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit knapp 29 Millionen Euro. Bei der vom Bundestag getroffenen Endauswahl für das Programm "Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel" kamen elf Projekte aus den drei Ländern zum Zuge, teilte der Dresdner FDP-Politiker Torsten Herbst am Donnerstag mit. "Urbane Flächen sollen gerade angesichts längerer Hitzeperioden mehr Wasser speichern und über längere Zeiträume wieder abgeben können. Planen und Bauen im Zusammenhang mit Wasserkreisläufen wird in Zukunft für die Stadtentwicklung von großer Bedeutung sein." Die höchste Fördersumme ist mit knapp 6,4 Millionen Euro für den Ernst-Abbe-Platz in Jena vorgesehen, dessen Umgestaltung insgesamt auf 7,5 Millionen Euro veranschlagt wird. Auch der Wilhelmsplatz in Görlitz soll für den Klimawandel fit gemacht werden und bekommt dafür vom Bund rund 3,3 Millionen Euro. Weitere Vorhaben sind unter anderen das Gewässersystem im Schlosspark Lützschena (2,8 Millionen Euro Fördergeld), bei dem es um das historische Wassermanagement in der Leipziger Auenlandschaft geht, der Quartierspark in Hettstedt (2,55 Millionen Euro) und die historische Stadtmauerpromenade in Zerbst (etwa 1,8 Millionen Euro). (dpa)


📻 Klima in MDR und ARD

👋 Zum Schluss

Wenn wir gerade schon dabei waren, zu überlegen, wie man die Wirtschaft vor sich selbst retten kann – vielleicht denken wir dann gleich noch darüber nach, wie wir sie auch vor Politikern retten, die sich einfach nicht lösen wollen vom fossilen Zeitalter.

Bei den Kollegen vom Spiegel las ich diese treffende Zusammenfassung der Industriepolitik von vor zehn Jahren: Die große Koalition feierte sich dafür, die Subventionen für Erneuerbare drastisch gedrosselt zu haben. Die Folge: Das Solar Valley in Bitterfeld wurde Geschichte und 100.000 Arbeitsplätze gingen verloren, da China zur gleichen Zeit seine Solarindustrie massiv unterstützte. In Deutschland förderte man lieber Autobauer, Stichwort Abwackprämie.

Quintessenz: "China hat Zukunftstechnologie gefördert, Deutschland Vergangenheitstechnologie, so einfach ist das. Jetzt stehen wir dumm da", schreibt Kolumnist Christian Stöcker. Was manche Politiker als Vernunft bezeichnen, sei einfach ein Stück selbstmörderische Nostalgie. Dieser Schlussfolgerung kann ich mich nur anschließen: Wir müssen das fossile Zeitalter verabschieden. Jetzt.

In diesem Sinne,
Ihr Clemens Haug

Sie haben eine Frage oder Feedback?

Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.

Mehr Klima-Updates