Kernfusion in Deutschland: "Tokamak ASDEX Upgrade" in Garching bei München.
Kernfusion in Deutschland: "Tokamak ASDEX Upgrade" in Garching bei München. Bildrechte: IPP, Wolfgang Filser/Beate Kemnitz

Kernfusion Deutsche Forschung zeigt Weg zu kompakten Fusionskraftwerken

12. April 2023, 12:27 Uhr

Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis das erste Kernfusionskraftwerk tatsächlich Strom für die Energieversorgung liefern kann. Vermutlich. Dennoch versprechen sich Forschende viel von diesem Vorhaben, bei dem eine Hitze erzeugt wird, die heißer als die der Sonne ist. Deutschen Forschenden ist nun ein Erfolg gelungen, der zu kompakteren Fusionskraftwerken führen kann.

Die Kernfusion soll die Probleme unseres wachsenden Energiebedarfs lösen und dabei anders als bei der Kernspaltung – die Basis für die Atomkraftwerke ist – überwiegend sauber sein. Bis das erste Fusionskraftwerk tatsächlich in den Regelbetrieb gehen kann, werden vermutlich noch Jahrzehnte vergehen. 

Anders als bei der Kernspaltung ist die Fusion ein sehr kompliziertes Verfahren, das in experimentellen Fusionseinrichtungen seit Jahrzehnten erforscht wird. Beispielsweise in der deutschen Experimentieranlage Wendelstein 7-X in Greifswald oder dem internationalen Experimentalreaktor Iter (International Thermonuclear Experimental Reactor), der gerade in Südfrankreich gebaut wird. 

Atomenergie in Deutschland: Letzten AKWs kurz vor ihrer Abschaltung

In Deutschland sollen derzeit die letzten Atomkraftwerke vom Netz genommen werden. Ganz zum Missfallen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU). Kurz vor der finalen AKW-Abschaltung, die 15. April 2023 erfolgen soll, meldete sich der Ministerpräsident erneut kritisch zu Wort: "Die Energiepolitik der Bundesregierung ist kurzsichtig, die von der Ampel geplante Abschaltung der Atomkraftwerke grundverkehrt." Dies sagte er während einer Veranstaltung in Dresden am Dienstag, den 11. April 2023.

Doch seine Worte sind vergebens. Die letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland werden am Samstag vom Netz genommen. Eigentlich sollte dies schon Ende vergangenen Jahres passieren, wurde aber im letzten Jahr von der Bundesregierung verschoben. Der Grund war der russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise. Deswegen speisten die Kraftwerke über den Winter hinweg noch Energie ins Netz.

Die Kritik aus Sachsen ist für die Bundesregierung nichts Neues. Kretschmer argumentiert schon lange gegen den Ausstieg. Das dürfte an der Entscheidung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) und seinem Team nichts ändern. Bereits vor dem erneuten Angriff von Kretschmer sagte Habeck, dass die Energieversorgungssicherheit in Deutschland auch in diesem schwierigen Winter gewährleistet wurde: "Wir haben die Lage im Griff durch die hohen Füllstände in den Gasspeichern und die neuen Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten und nicht zuletzt durch mehr erneuerbare Energien."

So viel zur aktuellen politischen Lage in Deutschland, zurück zur Forschung.

Durch die ringförmigen Röhren eines Teilchenbeschleunigers wird heißes Fusionsplasma geschossen, welches mehr als 100 Millionen Grad Celsius heiß ist. Die Oberfläche der Sonne ist mit 5.500 Grad Celsius dagegen kalt. Ihre Korona, also ein Bereich der Sonnenatmosphäre, heizt sich jedoch auf bis zu fünf Millionen Grad auf – dennoch ist es in einem Fusionsreaktor heißer als auf der Sonne

Heißer als auf der Sonne: Fangen Fusionsreaktoren dabei nicht zu schmelzen an?

Und genau hier liegt das Problem. Zwar sind die Röhren mit Divertor-Prallplatten aus Wolfram ausgekleidet, doch selbst das chemische Element mit der höchsten bekannten Schmelztemperatur fängt ab einer Temperatur von 3.422 Grad Celsius an zu schmelzen. Deswegen wird das heiße Fusionsplasma dank Magnetismus in der Mitte der Röhre gehalten.

Bei den Divertoren handelt es sich um eine Vorrichtung, die das Fusionsplasma vom Fusionsprodukt Helium-4 und von Verunreinigungen befreit. Denn mit verunreinigtem Fusionsplasma kann die Fusion nicht kontinuierliche aufrecht gehalten werden.

Praktischerweise besteht das Plasma aus vollständig ionisierten Atomkernen – jedoch ohne ihre Elektronenhüllen. Die positiv elektrischen Elementarladungen des Kerns können dank des erzeugten Magnetfeldes im Teilchenbeschleuniger aus dem Plasma geführt werden. 

Diese werden schließlich auf die Prallplatten gelenkt. An den Divertorplatten entsteht dadurch Neutralgas – das ist der Anteil der nicht ionisierten Komponente in der Atmosphäre. Dieses wird durch Divertorpumpen aus der Reaktorkammer befördert und aus dem verunreinigten Fusionsplasma wird reines Fusionsplasma. Zumindest teilweise …  

Abführung der Wärme und eine Neuentdeckung

Je reiner das Plasma, desto heißer wird es. Damit die Divertorplatten nicht schmelzen, wird dem Plasma eine geringe Menge an Verunreinigungen zugesetzt – meistens Stickstoff, das den Großteil der Plasma-Wärmenergie in ultraviolettes Licht umwandelt. "Am Divertor führen wir Wärme aus dem Plasma. In späteren Kraftwerken soll dort auch das Fusionsprodukt Helium-4 ausgeleitet werden", erklärt Ulrich Stroth, Leiter des Bereichs Plasmarand und Wand am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP).

Der sogenannte X-Punkt-Strahler strahlt neben UV-Licht auch sichtbares blaues Licht in einem ringförmigen Bereich oberhalb des Divertors ab. Das linke Bild zeigt eine Kameraaufnahme (unten das normale rote Leuchten des kalten Plasmarands). Rechts ist eine numerische Simulation des X-Punkt-Strahlers zu sehen.
Der sogenannte X-Punkt-Strahler strahlt neben UV-Licht auch sichtbares blaues Licht in einem ringförmigen Bereich oberhalb des Divertors ab. Das linke Bild zeigt eine Kameraaufnahme (unten das normale rote Leuchten des kalten Plasmarands). Rechts ist eine numerische Simulation des X-Punkt-Strahlers zu sehen. Bildrechte: MPI für Plasmaphysik/E. Huett/O. Pan

Dennoch muss das Plasma in den Röhren auf Abstand von den Innenwänden gehalten werden. Dieser Abstand muss vom Plasmarand bis zu den äußeren Kanten des Divertors mindestens 25 Zentimeter betragen. Nun haben Forschende des IPPs ein Verfahren entwickelt, bei dem der Abstand zu den Gefäßwänden auf unter fünf Zentimeter verringert werden kann.

Aus den ersten Berechnungen schließen die Forschenden, dass sich bei optimaler Formung des Gefäßes fast eine Verdopplung des Plasmavolumens erreichen ließe – ohne die Maße der bisherigen Anlagen zu verändern. Außerdem können Divertoren dadurch kleiner und technologisch deutlich einfacher gebaut werden als bisher.

X-Punkt-Strahler: Bessere Wärmeableitung und Schutz der Reaktorwände

Doch wie ist den Forschenden dies gelungen? "Wir setzen dafür gezielt den sogenannten X-Punkt-Strahler ein – ein Phänomen, das wir vor etwa einem Jahrzehnt bei Experimenten entdeckt haben", erklärt Matthias Bernert, der ebenfalls am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik forscht. X-Punkt beschreibt die untere Plasmaspitze, von der bisher bis zur äußeren Kante des Divertors mindestens 25 Zentimeter eingeplant werden mussten. 

"Der X-Punkt-Strahler tritt in dafür speziell geformten Magnetfeldkäfigen auf, wenn die Menge der Stickstoff-Verunreinigung einen bestimmten Wert überschreitet. Die zugesetzte Verunreinigung bringt uns zwar etwas schlechtere Plasmaeigenschaften, aber wenn wir den X-Punkt-Strahler durch Variation des Stickstoffeintrags gezielt platzieren, können wir die Experimente bei höheren Leistungen betreiben, ohne die Anlage zu schädigen", erörtert Bernert. 

Durch diesen Einsatz bildet sich ein kleines, dichtes, besonders stark im UV-Bereich strahlendes Volumen, wodurch deutlich mehr Wärmeenergie in UV-Strahlung umgewandelt wird als bisher angenommen. Das Plasma strahlt dann bis zu 90 Prozent der Energie in alle Richtungen ab. 

Der Strahler selbst ist als leuchtender Punkt im Plasma zu erkennen, wie Kameraaufnahmen aus dem Vakuumgefäß zeigen. Zudem schützt der X-Punkt-Strahler auch die Wände der Reaktorröhren. Denn normalerweise kommt es am Plasmarand in regelmäßigen Zeitabständen zu wiederkehrenden und heftigen Energieeruptionen. Diese schleudern etwa ein Zehntel der Plasmaenergie gegen die Wände. Solche Ausbrüche werden Edge Localized Modes (ELMs) genannt und können mithilfe des X-Punkt-Strahlers unterbunden werden. 

"Der X-Punkt-Strahler eröffnet uns völlig neue Möglichkeiten bei der Entwicklung eines Kraftwerks", sagt Stroth. Die Versuchsanlage Asdex Upgrade (AxialSymmetrisches Divertor-EXperiment) in Garching bei München soll bis Sommer 2024 mit einem neuen Divertor umgerüstet werden. Durch seine speziellen Spulen soll das Magnetfeld nahe am Divertor beliebig verformt werden, damit die Bedingungen für den X-Punkt-Strahler optimiert werden können. In Deutschland könnte somit der Grundstein für kompaktere Fusionsreaktoren gelegt werden. 

Links/Studien

Die Studie "Compact Radiative Divertor Experiments at ASDEX Upgrade and Their Consequences for a Reactor" (engl. Kompakte Strahlungsdivertorexperimente bei ASDEX Upgrade und ihre Konsequenzen für einen Reaktor) wurde am 4. April 2023 im Journal Physical Review Letters veröffentlicht.

pk

Wissen

Stilisierter Rettungsring mit einem Nuklear-Symbol in der Mitte. Die Zahl Zehn als Wasserzeichen. 10 min
Kann Atomkraft die Welt retten? Bildrechte: MDR
10 min

Wir müssen weniger CO2 ausstoßen. Aber wir brauchen immer mehr Strom.
Wäre da nicht Kernenergie die perfekte Brückentechnologie?

Mi 12.04.2023 10:01Uhr 10:12 min

Audio herunterladen [MP3 | 9,3 MB | 128 kbit/s] Audio herunterladen [MP4 | 18,8 MB | AAC | 256 kbit/s] https://www.mdr.de/wissen/podcast/zehnminuten/kann-atomkraft-die-welt-retten-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Dieses Thema im Programm: 3sat | nano | 15. Dezember 2022 | 18:30 Uhr