DAS MDR KLIMA-UPDATE | Freitag, 7. Januar 2022 Es stromt so grün: Atomkraft und die Kraft guter Vorsätze

03. Dezember 2021, 11:00 Uhr

2021 war zu warm. Glauben Sie nicht? Ist aber so. – Atomkraft ist grün. Glauben Sie nicht? Ist aber so, findet jetzt die EU-Komission. – Gute Vorsätze sind out. Glauben Sie nicht? Gut so, denn wenn, dann richtig!

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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Kernkraftwerk im französischen Cruas: Zwei Kühltürme mit Illustration von spielendem Kind, davor ein Windrad und Baum.
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Liebe Abonnentinnen und Abonnenten,

ich vermute jetzt mal dreist, dass die wenigsten von Ihnen mit guten Vorsätzen ins Jahr gestartet sind. Ich ja auch nicht. *hüstelchen* Aber vielleicht haben Sie sich ja wirklich den einen oder anderen Sinneswandel vorgenommen. Etwa weniger Fleisch zu essen, oder nur noch gutes Fleisch, auch wegen des Klimas (wie das die Mitteldeutschen so sehen, lesen Sie unten). Ich habe da nen fiesen Tipp: Kaufen Sie sich einmalig hochwertiges Fleisch, schneiden Sie Bio- und Tierwohllabel aus der Verpackung und kleben Sie es anschließend immer wieder neu auf billige Discountware. Denn gut ist das, was Mensch für gut erklärt. 💪

Diesen Ansatz scheint zumindest die Europäische Union zu verfolgen. Atomenergie, so will es die EU-Kommission, wird … grüne Energie. Ach was. Gibt's den Unkenrufen zum Trotz – in Österreich droht die Klimaschutzministerin mit einer Klage, die europäischen Grünen haben eine ähnliche Idee – vielleicht doch eine plausible Grundlage, warum Kernenergie einen grünen Verpackungsaufkleber braucht? Wir haben die Lage weiter unten zusammengefasst

Aber schauen wir erstmal auf das, was dem Klima hierarchischerweise stets untergeordnet ist: Das Wetter. Das hat uns 2021 auch hierzulande die Auswirkungen des Klimawandels per Holzhammermethode aufgetischt. Nur von der aus mitteleuropäischer Perspektive eher "angenehmen Seite" des Klimawandels war nicht so viel zu spüren wie in den Vorjahren. Und tatsächlich – die Jahresdurchschnittstemperatur spricht da eine eindeutige Sprache:

Diagramm zeigt Durchschnitttemperaturen der vergangenen Jahre. 2018 bis 2020 immer über 10 Grad, 2021 mit 9,1 Grad etwa ein Grad über vieljährigem Mittel
Bildrechte: MDR, ARD-Aktuell/tagesschau

Der Deutsche Wetterdienst sieht das im Übrigen so: 2021 war als elftes Jahr in Folge zu warm (ein Grad über dem vieljährigen Mittel zwischen 1964 und 1990) sowie ziemlich sonnig (mehr als hundert Sonnenstunden über dem Durchschnitt). Nur der Niederschlag lag ein bisschen über dem, was "normal" ist. Für eine Regeneration der Wälder reicht das freilich nicht. Wärmste Stadt 2021 war Köln: 11,4 Grad im Durchschnitt. Das ist der langjährige Wert im annähernd subtropischen Mailand.

Nun gut. Vielleicht helfen ja elektrische Flugzeuge, die Klimalage wieder etwas gerade zu rücken?


Eher keine Vorsätze – aber wenn, dann gesund und nachhaltig

Ich hab's ja gesagt. Die Mehrheit der Mitteldeutschen hält nicht sonderlich viel von guten Neujahrsvorsätzen. (Okay, die müssen ja auch nicht zwangsläufig mit dem Jahreswechsel Einzug in den Lifestyle finden, auch der 16. März – es ist ein Mittwoch – könnte der Beginn eines besseren Lebens sein.) Diejenigen, die es tun, haben sich aber einiges vorgenommen. Das ergab eine Umfrage unseres Meinungsbarometers MDRfragt. Das Schöne: Der von den meisten anvisierte Lebenswandel ist wunderbar mit Klima- und Umweltschutz in Einklang zu bringen:

  • 🥗🏃 71 Prozent wollen gesünder leben
  • 🌱 34 Prozent wollen nachhaltiger leben
  • 🛍📺 11 bzw. 9 Prozent wollen an ihrem Konsum- und Medienkonsumverhalten schrauben

90 Prozent derjenigen, die sich ein nachhaltigeres Leben auf die 2022er Agenda schreiben, sehen Handlungsbedarf bei ihrer Ernährung: Dazu zählt für viele, weniger Lebensmittel zu verschwenden und hochwertiger, saisonal und regional einzukaufen.

Alle Ergebnisse haben wir hier für Sie hier notiert:

In diesem Sinne: Ich drücke alle mir zur Verfügung stehenden Daumen.


Jetzt zu dem, was seit dem Jahreswechsel die klimapolitischen Schlagzeilen dominiert …

☢️ Atomkraft: Grün, danke?

Worum es geht:

  • Die EU-Kommission will Atomkraft und Energie aus fossilem Gas als grün einstufen.
  • Grün heißt in diesem Fall: nachhaltig. So eine Einstufung wird auch als Taxonomie bezeichnet.
  • Das Ganze geschieht im Kampf gegen den Klimawandel und zum Erreichen der Klimaziele. Die Einstufung soll Investitionen in diese Technologien unterstützen.

Warum das wichtig ist:

  • Dass Kohleenergie nicht und Windenergie auf jeden Fall grün ist, darin sind sich alle einig. Bei Erdgas nicht – zumindest als Brückentechnologie. Und bei Atomenergie erst recht nicht.
  • Diese unterschiedlichen Ansichten zeigen sich in der Energiepolitik innerhalb der Europäischen Union: Estland, Frankreich, Großbritannien – es gibt einige Kandidaten, die auf Kernenergie setzen und gerade (mehr oder weniger erfolgreich) neue Kraftwerke bauen. Deutschland plant, bis zum kommenden Jahreswechsel die letzten drei Atommeiler abzuschalten. Auch aus Sachsen-Anhalts Politik kommt Kritik am Vorstoß der EU-Kommission.

Was bleibt:

  • Grün auf den Ausstoß von Treibhausgasen pro Kilowattstunde zu reduzieren, wäre nur die halbe Wahrheit in Sachen Nachhaltigkeit. Hinzu kommen Reaktorsicherheit, finanzieller Aufwand pro Kilowattstunde und das Problem der Endlagerung radioaktiver Abfälle.
  • Der Bau einer neuen Generation von Reaktoren in Europa läuft schleppend, ist unverhältnismäßig teuer und eine Aufgabe für Jahrzehnte – im Kampf gegen den Klimawandel zu langsam.


📰 Was sonst noch so los war

  • 🇫🇷📜 Dreißig Obst- und Gemüsesorten dürfen nicht mehr in Plastik verpackt werden, Autowerbung gibt's künftig nur noch mit Warnhinweis ("Ziehen Sie Fußweg und Fahrrad in Betracht", "Denken Sie über Fahrgemeinschaften nach") und über die CO2-Emissionen von digitalen Diensten müssen Provider künftig aufklären: In Frankreich ist zum Jahreswechsel ein neues Klimagesetz in Kraft getreten. Ach ja, auch Ronald McDonald muss umdenken: Plastikspielzeug in Schnellrestaurants zwischen Ärmelkanal und Côte d'Azur ist jetzt ebenfalls tabu.
  • 🛒💶 Die Debatte um den Preis für Lebensmittel ist in Deutschland in vollem Gange. Greenpeace schlägt vor, auf Grund hoher Umwelt- und Klimaschäden, die Mehrwertsteuer für Fleisch- und Milchprodukte auf den regulären Satz von 19 Prozent anzuheben. Im Gegensatz könnte die Steuer für Obst und Gemüse weiter abgesenkt oder ganz gestrichen werden. "Das billige Fleisch kommt uns teuer zu stehen", so kommentiert der Deutschlandfunk zum Thema.
  • 🏭💰 12,5 Milliarden Euro – so viel hat Deutschland vergangenes Jahr durch Emissionshandel und CO2-Preise eingenommen. Das Geld fließt z.B. in eine Senkung des Strompreises und in Klimaschutzmaßnahmen im In- und Ausland.


Zum Schluss

Auch auf den Verdacht hin, Ihnen damit auf den Wecker zu gehen (wobei, diesen Newsletter haben Sie immer freiwillig abonniert): Es ist Veganuary. Sollten Sie also – dem Klima und der Gesundheit wegen – den ersten Monat des Jahres nutzen, der tierfreien Ernährung zu frönen, kommen Sie bitte nicht auf die Idee, Ihr Genussdefizit mit übermäßig viel Kaffee und Alkohol auszugleichen. ☕️🍻 Das ist nämlich auch klimaschädlich, wie die Kolleg*innen von SRF Wissen zusammengefasst haben. Spoiler: Nehmen Sie Wein aus dem Karton. 🤫 (Sollten Sie dem Schweizerdeutsch nicht mächtig sein, vergessen Sie nicht, die Untertitel zu aktivieren.)

Uns bleibt also nichts erspart. Aber der Erde halt auch nicht. Machen wir das Beste aus dem neuen Jahr.

Alles Gute dafür!

Herzlich
Florian Zinner

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11 Kommentare

part am 09.01.2022

Externalisierung von Umweltverschmutzung lautete schon immer das Motto der westlichen Wirtschafts- und Wertegemeinschaft. Egal ob Bau von E- Autos oder neue Reaktoren, derentwegen dann Farbenrevolutionen in anderen Ländern stattfinden, die über ausreichend Uran oder Lithium verfügen. Jedes Produkt hat einen ökologischen und politischen Fingerabdruck, den zu ermitteln ist oft gar angedacht, mit Beweihräucherung und Verschleierung lassen sich oft zusätzliche Ziele verfolgen. Wirklich grün gibt und gab es noch nie, denn es fallen immer Abfallstoffe an aus einer Umwandlung von Ausgangsstoffen, für die auch immer der Energieerhaltungssatz gilt.

nasowasaberauch am 09.01.2022

Kaum geschrieben, schon wieder überholt. Die Angst vor der Greenflation macht die Runde. Rohstoffverfügbarkeit und Verteuerung kann die ganze Klimaschutzpolitik kippen, weil sie am Ende für Verbraucher unbezahlbar ist. Grün muss man sich leisten können und auch wollen, bekommt so wieder neue Bedeutung. Wenn von dem 50 % erzeugten grünen Strom im Saldo durch Importstrom 20% übrig bleiben, dann heißt die Aufgabe diese 30% nutzbar machen und nicht planlos mit immer neuen Windrädern unseren Nachbarn billigen Strom zu liefern, um dann deren (Atom)Strom bei Nacht und Windstille teuer zu importieren. Wer in der Wirtschaft so arbeitet hat eine Firma die glänzt, aber pleite ist.

Nordlicht aus der Altmark am 08.01.2022

??? Ich bin "Beute-Ossi" und lebe gern in Sachsen-Anhalt. Ich kann hier im Osten keine Mangelwirtschaft, wie zu DDR-Zeiten, finden. Meine Weihnachtsgeschenke habe ich übrigens in Zeitungspapier eingepackt und meine Familie war nicht abgeneigt. Und was spricht gegen Einkaufsnetz, Fahrrad und nur halbvolle Regale? Wir müssen weg von der "Wegwerfgesellschaft". Und was die DDR-Verhältnisse mit Braunkohleöfen, Trabbiabgasen und Chemie-Dreckschleudern angeht, die habe ich hier auch nirgends gefunden. Und dieser Kommentar zeigt auch, dass ich keine Angst vor der Stasi zu haben brauche.