Bronzezeit-Tsunami Archäologie-Sensation am Mittelmeer: Nach 3.500 Jahren erste Opfer der Thera-Katastrophe geborgen
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04. Januar 2022, 17:38 Uhr
Vor 3.500 Jahren explodierte der Inselvulkan Thera und ließ das heutige Santorin zurück. Vier Tsunamis verwüsteten anschließend die Küsten des östlichen Mittelmeeres. In der Türkei wurden nun die ersten Opfer der Katastrophe geborgen: ein junger Mann und sein Hund.
Es war eine der größten Naturkatastrophen der Menschheitsgeschichte: Vor gut 3.500 Jahren brach rund 120 Kilometer nördlich von Kreta der Inselvulkan Thera aus. Große Mengen an Lava und Asche wurden herausgeschleudert und im östlichen Mittelmeerraum verteilt. Pyroklastische Ströme aus glutheißem Gas und Asche vernichteten auf Thera jedes Leben. Als Meerwasser durch aufbrechende Risse in den Vulkanschlot strömte, kam es zur Explosion. Die Caldera des Vulkans stürzte ein und riss die Insel auseinander. Lediglich das heutige Santorin blieb übrig.
Vier Tsunamis im östlichen Mittelmeer
Durch das Ereignis wurden vier gewaltige Tsunamis ausgelöst, die die umliegenden Küsten des östlichen Mittelmeeres mit voller Wucht trafen. Forscher schätzen, dass die Flutwellen an der Nordküste von Kreta mindestens neun Meter hoch waren.
Der Thera-Ausbruch könnte mitverantwortlich für den Niedergang der Minoer gewesen sein. Das Zentrum der ersten bronzezeitlichen Hochkultur Europas befand sich auf Kreta. Aber auch in Ägypten, Israel und in der heutigen Türkei finden sich vulkanische Ablagerungen und Zerstörungsspuren der Tsunamis. Die Zehn Biblischen Plagen aus dem 2. Buch Mose werden mit der sogenannten Minoischen Eruption in Verbindung gebracht. Das gleiche gilt für den vom altgriechischen Philosophen Platon beschriebenen Untergang des mythischen Inselstaates Atlantis.
Zwei- bis dreimal stärker als Krakatau-Explosion
Neueren Forschungen zufolge war der Thera-Ausbruch zwei bis dreimal stärker als jener des indonesischen Vulkans Krakatau, bei dem 1883 rund 36.000 Menschen getötet wurden. "Trotz des gewaltigen Ausmaßes des Ereignisses wurden nie Überreste von menschlichen Opfern gefunden, nicht einmal in der stark betroffenen Stätte Akrotiri", berichtet ein internationales Forscherteam um Prof. Dr. Vasif Sahoglu von der Universität Ankara. Einige Wissenschaftler vermuten, dass die Bewohner im direkten Umfeld des Vulkans komplett verbrannten, während die Menschen in entfernteren Regionen rechtzeitig fliehen konnten.
Ein Mann und ein Hund
Doch nun ist Sahoglu und seinem Team eine archäologische Sensation gelungen. Bei Ausgrabungen im westtürkischen Küstenort Cesme (früher deutsch: Tschesme) 227 Kilometer von Santorin entfernt fanden die Wissenschaftler erstmals Opfer der Thera-Katastrophe. Neben den Überresten einer durch einen Tsunami eingerissenen Festungsmauer bargen sie die Gebeine eines jungen Mannes. Anhand von Radiokarbondatierungen konnten die Archäologen nachweisen, dass es sich bei ihm um ein direktes Opfer der "Minoischen Eruption" handelte. Unweit des Mannes fanden die Forscher die Überreste eines Hundes, der offenbar beim Einsturz eines Türrahmens verschüttet worden war.
Die Tsunamiablagerungen in Cesme-Baglararasi enthalten die ersten Opfer (Mensch und Hund), die jemals im Zusammenhang mit der Eruption und ihren unmittelbaren Folgen identifiziert wurden.
Mindestens vier Tsunamis nacheinander
Die Ausgrabungen von Sahoglu und Kollegen legen nahe, dass der bronzezeitliche Ort an der heutigen Ausgrabungsstätte von Cesme-Baglararasi vor gut 3.500 Jahren von mindestens vier aufeinanderfolgenden Tsunamis getroffen wurde. Durch die Flutwellen wurden Wände und Mauern umgeworfen. Anders als bei Erdbeben sind die Trümmer nicht in alle Richtungen verteilt, sondern folgen dem Weg des Wassers.
Laut der archäologischen Rekonstruktion trafen die beiden ersten starken Tsunami-Flutwellen den Ort innerhalb weniger Stunden. Nach einem dritten, schwächeren Tsunami kehrte für mehrere Tage oder Wochen Ruhe ein, in denen sich Vulkanasche auf den Trümmern ablagerte. In dieser Zeit müssen die Überlebenden versucht haben, Verschüttete und Habseligkeiten zu bergen, was durch Grabungsgruben belegt ist. Den nun entdeckten Cesme-Mann und seinen Hund fanden die bronzezeitlichen "Bergungsteams" jedoch nicht. Schließlich traf eine vierte, wuchtigere Tsunamiwelle den Ort. Eine weitere dicke Geröllschicht verschüttete das Gebiet, verfüllte die Gruben und ließ die Opfer für 3.500 Jahre unter der Erdoberfläche verschwinden.
Ort verschwindet ein Jahrhundert von der Bildfläche
Der einst blühende bronzezeitliche Küstenort verschwand für mindestens ein Jahrhundert von der Bildfläche. Ein Schicksal von vielen in der damaligen Mittelmeerregion. "Doch Cesme-Baglararasi war damals nur eines der vielen Siedlungsgebiete entlang der Mittelmeerküsten, die von der Eruption und den damit verbundenen Erdbeben, Tsunamis, Bränden und Aschenfällen betroffen waren", beschreiben Sahoglu und Kollegen die damalige Katastrophe.
Ihre Studie ist in der Wissenschaftlichen Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America", kurz PNAS, erschienen.
(dn)