Wissenschafts-Finanzierung Forschung und Geld: Wie frei ist die Wissenschaft?

05. Mai 2021, 14:19 Uhr

Universitäres Lehren und Lernen ist per Grundgesetz in Deutschland frei. Wer finanziert die oft in die Millionen Euro gehenden jahrelangen Forschungen? Welchen Einfluss nehmen Geldgeber auf die Forscherinnen und Forscher? Wie werden die Ergebnisse der Gesellschaft, die mit zu den Geldgebern gehört, präsentiert, so dass ein gemeinschaftlicher Fortschritt möglich ist?

Wissenschaftler in einem Labor 5 min
Bildrechte: MDR Wissen

Ein Jahr lang driftete das Forschungsschiff "Polarstern" eingefroren in eine Eisscholle durchs Nordpolarmeer. "Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate" – kurz MOSAIC – hieß die Forschungsexpedition, an der etwa 600 Personen aus zwanzig Nationen teilnahmen. Ziel dieser größten Arktis-Expedition aller Zeiten war es, den Einfluss der Arktis auf das weltweite Klimageschehen besser zu verstehen. Mit 156 Kilometern Distanz kam die "Polarstern" dem Nordpol dabei in einem arktischen Winter so nahe wie nie ein Schiff zuvor. Kosten: 200.000 Euro und zwar pro Tag. Der Atmosphärenphysiker Markus Rex vom Alfred-Wegner-Institut, AWI, in Bremerhaven, hat das komplexe Projekt geleitet.

Markus Rex
Markus Rex Bildrechte: Alfred-Wegener-Institut

Das kann man nicht als ein typisches Forschungsprojekt sehen. Auch deswegen, weil es sehr viele verschiedene Geldgeber finanziert haben. Wir hatten ein Gesamtbudget von über 140 Millionen Euro. Gut die Hälfte davon kam aus Deutschland, die andere Hälfte von etwa 20 internationalen Partnernationen.

Sicherlich war das MOSAIC-Projekt einzigartig in der deutschen Forschungslandschaft. Doch wie ist es aktuell generell um die deutsche Forschung bestellt, ist die universitäre Forschungslandschaft frei? Für Christoph Markschies, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, ist das klar zu beantworten, jedenfalls, wenn man dabei die Freiheit der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit meint:

Dann muss man konstatieren, dass wir noch nie so frei im Wissenschaftsbetrieb waren, wie wir es heute sind.

Christoph Markschies

Dem stimmt auch Professor Markus Rex zu. Insbesondere an den Universitäten könne jeder sein Forschungsfeld frei auswählen. An den Forschungszentren wie dem Alfred-Wegner-Institut habe man einen Forschungsplan, auf den sich innerhalb der Wissenschaft verständigt werde. Der sei strategisch angelegt und reiche über Jahre in die Zukunft.

Wie unabhängig ist die Wissenschaft?

Die Forschungsfreiheit ist ein hohes, im Grundgesetz verankertes Gut. Das war nicht immer so, erinnert Christoph Markschies rückblickend.

Mann mit brille
Christoph Markschies Bildrechte: imago/Sven Simon

Das ist im Kaiserreich nicht der Fall gewesen, das ist im Nationalsozialismus nicht der Fall gewesen, und auch nicht in der DDR, obwohl man diese Systeme kaum vergleichen kann.

Christoph Marschkies

Aber er räumt auch ein: "Natürlich gilt für alle Freiheit, dass sie Bindungen hat, und manche Bindungen eines deutschen Universitätslehrers, einer deutschen Universitätslehrerin, sind größer geworden. Das betrifft aber nicht die grundsätzliche Wissenschaftsfreiheit."  

Welche Rolle die Geldquelle in der Forschung?

Forschung kostet Geld. Manchmal, siehe MOSAIC-Expedition, viel Geld. Wer aber stellt dieses Geld zur Verfügung? Ist die Forschung dann immer noch frei zu tun, was sie will? Expeditionsleiter Markus Rex sagt: "Natürlich ist die Freiheit der Forschung immer auch ein wenig dadurch eingeschränkt, dass man in der Regel mehr als ein Stück Bleistift und ein Blatt Papier braucht, um effizient und an der Kante der Wissenschaft arbeiten zu können. Dazu braucht man Ressourcen." Zum Beispiel über Drittmittelanträge.

Und hier werden die Gelder schon von den Geldgebern in bestimmte Bereiche kanalisiert, die dort bei den verschiedensten Geldgebern, die es in Deutschland gibt, für jeweils wichtig gehalten werden.

Markus Rex

Blick auf Scholle mit Riss und Forschungsschiff 'Polarstern'
Expedition MOSAIC auf dem Forschungsschiff "Polarstern". Gesamtkosten 140 Millionen Euro. Bildrechte: AWI/Manuel Ernst

Christoph Markschies sagt bezogen auf die Geisteswissenschaften: "Wenn man fragt, wie leicht sich heute Projekte finanzieren lassen, und ob auf diese Weise Unfreiheit ins System kommt, wenn man ein wirklich herausragendes Forschungsprojekt in Deutschland hat. Es ist leicht dieses zu finanzieren, in dem Sinne, dass man immer eine Stiftung, eine Fördereinrichtung findet, die das finanziert. Es gibt keine Zensur, keine Ablehnung."

Geldquelle kann richtungsweisend sein

Der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, BMBF, betrug vergangenes Jahr 18,3 Milliarden Euro. Eine gewaltige Summe, die alle Steuerzahler aufgebracht haben. Dazu kamen noch Drittmittel von in- und ausländischen Geldgebern, die per Drittmittelanträgen den Forscherinnen und Forschern zu Gute kamen. Auch wenn die BMBF-Summe groß erscheint, für die Abertausenden Forschungsvorhaben reichte dieses Geld nicht aus. Die Lücke schlossen die verschiedensten Geldgeber. Könnte das eine Art Einfallstor für Einflussnahme auf die Forschungen sein? Tatsächlich, sagt Markus Rex, gibt es solche Tendenzen.

Es ist ganz langfristig eine Tendenz wahrzunehmen, dass die über Projekte finanzierte Forschung zu Lasten der freien, auf Grundfinanzierung beruhenden Forschung in Deutschland zugenommen hat. Das muss man ganz klar konstatieren.

Markus Rex

Und er setzt nach: Dieser Prozess habe Jahrzehnte angedauert. Positiv ausdrückt sei das eine stärkere Kanalisierung dessen, wohin die Forschung geht, weil die Geldgeber bestimmten, in welchen Bereichen Projekte ausgeschrieben werden. Aber er setzt auch nach: "Es ist natürlich eine Einschränkung der völligen Freiheit der Forschung."

Wie Wissenschaft kommuniziert wird

Natürlich möchten auch die Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes wissen, was die Forscher mit ihrem Geld machen. Gerade jetzt, meint Professor Markschies, gibt es in diesem Sektor einen spannenden Aufbruch. Seiner Meinung nach stecken wir was die Vermittlung von Wissenschaft an die Gesellschaft angeht in einem spannenden Aufbruch. Er verweist auf die FactoryWisskomm, eine Ideenwerkstatt des Bundesforschungsministeriums, an der viele Wissenschaftsorganisationen und einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Kommunikatorinnen und Kommunikatoren zusammenarbeiten. "Heute wird sehr viel stärker gemeinsam das entwickelt, was kommuniziert werden kann, und auch Kommunikation gemeinsam durchgeführt." Er verweist auf ein aktuelles Beispiel:

Es ist manchmal schwierig Ergebnisse an alle zu vermitteln, zum Beispiel über die Sinnhaftigkeit des Impfens, aber das ist zu allen Zeiten so gewesen.

Christoph Markschies

Wie wichtig freie Forschung ist, und die Kommunikation der Studienergebnisse, sieht man wohl auch an der MOSAIC-Expedition in die Arktis. Die dort gewonnenen Daten und Fakten haben wohl auch dazu beigetragen, dass sich die großen Staaten auf weitreichende Klimaschutzmaßnahmen verständigten.

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