Fünf glückliche Kinder halten sich im Kreis an den Schultern fest.
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Hirnforschung Wie viele Freundschaften können wir pflegen?

08. Mai 2021, 15:00 Uhr

Ein jeder von uns kann zu etwa 150 Menschen stabile soziale Beziehungen pflegen, so die als "Dunbars Zahl" bekannte These des britischen Anthropologen Robin Dunbar. Wissenschaftler aus Schweden haben seine Annahme überprüft und kommen zu dem Schluss: es können zwei, aber auch 520 engere Kontakte sein, die wir langfristig aufrechterhalten. Doch wie war Dunbar überhaupt auf die Zahl 150 gekommen und wie berechnen die Forscher aus Stockholm unseren sozialen Horizont?

Um herauszufinden, wo die Obergrenze für unser Beziehungsgeflecht liegt, betrachtete Dunbar die sozialen Bande unserer nächsten Verwandten im Tierreich, der Primaten. Das Ergebnis: je größer das Gehirn der Art, desto größer die Gruppe, in der die einzelnen Tiere zusammenleben. Schimpansen finden sich demzufolge in größeren Gruppen zusammen als Lemuren. Speziell der Neokortex, der evolutionär größte Teil der Großhirnrinde, schien mit den Verbänden zu wachsen. Dunbars Vermutung: Mit Artgenossen zu interagieren, sich zu verbünden und sich an frühere Begegnungen zu erinnern, braucht Grips. Je mehr Neuronen in dieser Hirnregion arbeiten, desto stärker die Verarbeitungskapazität für soziale Informationen. Sind ihre Möglichkeiten dann erschöpft, ist damit das Limit unseres sozialen Lebens erreicht.

Dunbar ordnete uns Menschen in die Reihenfolge der Primatenhirne und damit in das Ranking der sozialen Kapazitäten ein: Wir haben im Vergleich zu unseren nahen Verwandten den größten Neokortex und damit auch die Möglichkeit, die meisten Beziehungen zu pflegen. Der Anthropologe bezifferte sie mit 150, die 1990 als "Dunbars Zahl" bekannt wurde, immer wieder gern zitiert und sogar in der Arbeitswelt berücksichtigt wurde. So organisierte die schwedische Steuerbehörde ihre Büros neu, um innerhalb dieser 150-Personen-Grenze zu bleiben.

Schwedische Studie: Kein Freunde-Limit für uns Menschen

Wissenschaftler der Universität Stockholm zweifelten vor allem eines an: Dunbars theoretische Grundlage den unmittelbaren Vergleich von Primaten und Menschen im Hinblick auf die Informationsverarbeitung im Gehirn und auf das Sozialverhalten. Das Zusammenleben von Primaten würde hauptsächlich durch weiter Faktoren erklärt, z. B. was sie essen und wer ihre Feinde sind, so Patrik Lindenfors, Professor für Zoologische Ökologie an der Universität Stockholm und am Institut für Zukunftsforschung.

Die sozialen Kontakte von Menschen unterscheiden sich extrem. Sie reichen von 2 bis 520 Kontakten.

Prof. Patrik Lindenfors

Zu diesem Ergebnis kamen Lindenfors und sein Team in ihrer Studie, indem sie Dunbars Analysen mit modernen statistischen Methoden wiederholten und die Daten von 1990 zum Gehirn verschiedener Primaten aktualisierten. Die daraus resultierende durchschnittliche maximale Gruppengröße für den Menschen lag häufig bei unter 150 Personen. Doch rein statistisch konnte sie auch zwischen 2 und 520 Personen liegen.

Mit den verfügbaren Methoden und Daten ist es nicht möglich, eine genaue Schätzung für das soziale Limit des Menschen vorzunehmen.

Andreas Wartel, Co-Autor der Studie

Wie vielen Menschen wir uns dauerhaft verbunden fühlen, wie viele Freundschaften wir pflegen, hänge auch von der Kultur ab, in der wir leben, so Johan Lind, stellvertretender Direktor des Zentrums für kulturelle Evolution der Universität Stockholm und Mitautor der Studie.

So wie jemand lernen kann, sich an eine enorme Anzahl von Dezimalstellen einer Zahl zu erinnern, können wir unser Gehirn auch darauf trainieren, mehr soziale Kontakte zu haben.

Johan Lind, Zentrum für kulturelle Evolution, Universität Stockholm

Sicher ist jedoch: Unsere Kapazität, Freundschaften zu pflegen, ist begrenzt, wenn auch bei einem jeden von uns unterschiedlich. Ab einem Bekanntenkreis von mehr als 1.500 Personen stößt allein unser Gedächtnis an seine Grenzen. Wir können die dazugehörigen Gesichter vielleicht noch wiedererkennen, ihnen aber kaum noch Namen zuordnen – geschweige denn uns merken, wie ihre Kinder heißen oder was sie am liebsten essen.

Vielfalt der Beziehungen fordert geistige Ressourcen

Um mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben, müssen verschiedene Hirnregionen zusammenarbeiten. Beteiligt sind unter anderem der dorsomediale Präfrontalkortex und die temporoparietale Übergangszone, die dafür sorgen, dass wir anderen eigene Gedanken, Gefühle und Absichten zuschreiben können. Diese Fähigkeit entwickelt sich bei Kindern um das vierte Lebensjahr und ist die Grundlage für unser Miteinander. Teile des Temporalkortex helfen uns außerdem, Körperhaltung und Blickrichtung des Gegenübers zu erfassen. Bei der Verarbeitung von Emotionen im Miteinander spielt die Amygdala, ein Teil des limbischen Systems, eine entscheidende Rolle. 2011 zeigten Forschende um Kevin Bickart von der Boston University School of Medicine, dass Menschen mit einem relativ großen Freundeskreis im Schnitt über ein größeres Amygdala-Volumen verfügen.

Freundschaften zu pflegen kostet Zeit

Nicht nur das Gehirn muss arbeiten, damit wir soziale Kontakte aufrecht erhalten können. Wir müssen auch Zeit investieren, um sie zu pflegen. Primaten verbringen deshalb viel Zeit mit der gegenseitigen Fellpflege. Würden wir das auf uns Menschen übertragen, kämen wir zu gar nichts mehr, würden wir eine dauerhafte Verbindung zu 150 Artgenossen halten. Dunbar glaubt deshalb, dass an einem Punkt der menschlichen Evolution die sozialen Gruppen derart anwuchsen, dass es nötig wurde, Sprache zu entwickeln. Verbale Streicheleinheiten ließen sich schließlich an mehrere Kumpane gleichzeitig verteilen und ermöglichten nebenbei noch andere Tätigkeiten.

Twitter und Co. als Beziehungs-Katalysatoren?

Illustration - Soziale Vernetzung
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Bruno Gonçalves von der Indiana Universität untersuchte am Beispiel von Twitter, wie groß die Beziehungsnetzwerke dort sind. Dazu analysierte er gemeinsam mit seinen Kollegen sechs Monate lang den Nachrichtenfluss des Kurznachrichtendienstes. Anhand von 380 Millionen einzelner Tweets von drei Millionen Nutzern schauten sie, wer mit wem in Kontakt stand, wer sich regelmäßig unterhielt und kommunizierte. Das Ergebnis der Studie (hier als pdf nachlesbar): Wer mit dem Twittern anfing, folgte zunächst immer mehr Personen. Doch irgendwann stagnierte diese Zahl, bis sie sich irgendwann einpendelte – bei 100 bis 200 Kontakten, ganz nahe an Dunbars Zahl.

Soziale Netzwerke erlauben uns, sämtlichen Bekanntschaften nachzugehen und mit ihnen zu interagieren. Dennoch können sie nicht verhindern, dass unsere biologischen und physischen Grenzen nur eine begrenzte Anzahl sozialer Beziehungen erlauben.

Bruno Gonçalves, Mathematiker

krm

1 Kommentar

nasowasaberauch am 10.05.2021

Echte Freundschaft oder oberfächliche Bekanntschaft. Da ist ein riesiger Unterschied, jedenfalls für mich und deshalb dezimiert es sich in Richtung zwei.

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