Porträtfoto von Hubert Krech von der AGRA - der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse.
Hubert Krech spricht über das fehlende Mitspracherecht von Medienmachern bei der Reform und an welchen Punkten eine Zusammenarbeit von Sendeanstalten funktioniert. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Interview mit Hubert Krech "Etwas ohne die Macher zu beschließen, halten wir für aberwitzig."

02. Juni 2023, 17:48 Uhr

Im Interview mit MEDIEN360G spricht Hubert Krech von der AGRA, der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse aus Sicht der Medienschaffenden. Den Zukunftsrat, als Berater zur Reform der öffentliche-rechtlichen Medienhäuser, ohne Medienmacher und Zuschauer zu besetzen, sieht er als eine verpasste Chance.

MEDIEN360G: Wir sitzen zusammen für MEDIEN360G im Mitteldeutschen Rundfunk mit Hubert Krech von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse, AGRA. AGRA ist eine Interessenvertretung, die vor allem das im Blick hat, was die Menschen interessiert, die für Anstalten wie die ARD, das ZDF arbeiten, der Redakteursausschuss. Hubert Krech, wenn wir in diesen Zeiten über Reformen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprechen, dann sprechen wir vor allem über Politiker. Wir sprechen vor allem und oft eben auch über das Publikum. Aber wir sprechen ganz selten über die, die es auch betrifft, vielleicht vor allem betrifft, nämlich die Mitarbeitenden in diesen Redaktionen – über den Maschinenraum, wie es immer so schön heißt. Inwiefern sehen denn Mitarbeitende, Journalisten, Reporter, Berichterstatter in den Häusern eigentlich den Reformbedarf?

Hubert Krech: Das ist total unterschiedlich, kann man nicht pauschal bewerten. Die Arbeitsgemeinschaft der Redakteursausschüsse – wir tagen ja immer wieder und besprechen uns auch zu aktuellen Themen, auch auf allen digitalen Kanälen, die uns zur Verfügung stehen. Und man kann das nicht über einen Kamm scheren. Die Landesrundfunkanstalten der ARD sind so unterschiedlich konzipiert. Wir haben Mehr-Länder-Anstalten wie den NDR oder den SWR oder den BR, den Bayerischen Rundfunk, der eine Ein-Land-Anstalt ist. Allein da haben wir schon eine Unwucht im System, das ZDF als nationaler Sender, der ganz andere Aufgaben auch hat. Und es gibt bestimmt überall in bestimmten Ecken Sachen, die man besser machen kann. Aber wir sind auch dran. Also die Häuser, ich möchte da auch wirklich sagen, dass in vielen Bereichen die Anstalten schon sehr viel – man sagt so schön: ihre Hausaufgaben machen –, und da sind die Sender auch eigentlich ganz gut unterwegs.

MEDIEN360G: Der ARD-Chef Kai Gniffke ist ja relativ weit nach vorne gegangen schon und hat zumindest mal, ich sage mal, Reformideen skizziert. Er hat zumindest mal Themenfelder benannt, die er für relevant hält und wo er sich vorstellen kann, aktiv zu werden. Das ist auch eine Frage der Amtszeit: Wie lange ist er im Amt und kann eben auch Pläne durchsetzen, beziehungsweise auch ein Zeitraum überblicken, der dafür gebraucht wird. Ich will mal ganz kurz ein paar Sachen aufzählen: Er schlägt journalistische Kompetenzzentren vor, sagt also: Jeder muss nicht mehr alles machen. Also wir brauchen nicht fünf öffentlich-rechtliche Gesundheitsmagazine, da reicht eins. Wir suchen uns einen zentralen Ort aus, bilden dort zu einer Art große Gemeinschaftsredaktion, die dann für alle anderen mitproduziert und das dann auch ausgestrahlt wird. Die Plattform mit dem ZDF, eine Streaming-Plattform, ist auch sein erklärtes Ziel. Dafür sollen Gelder bereitgestellt werden. Es geht ihm darum, vor allem natürlich der ausländischen Konkurrenz da noch mehr Druck zu machen und selber das wichtigste Medium zu werden auf diesem Niveau, wie er uns das auch gesagt hat. Und perspektivisch sieht er auch ein gemeinsames Mantelprogramm für die Dritten, also ein Programm des tagsüber läuft und dann bis zu vier, fünf Stunden regional gesplittet wird. Welche Potenziale sehen Sie denn in solchen Plänen?

Porträtfoto des ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke 36 min
Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke spricht über die Aufgabe der Kompetenzzentren, ein zukünftiges Mantelprogramm und digitale Transformation. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Hubert Krech: Also auf den ersten Blick – wenn man sich die wirtschaftlich anguckt – könnte es attraktiv klingen, ja. Wenn man sich nur die Zahlen anguckt, denkt man sich: Wenn man das zusammenlegt, dann spart man Geld und man braucht auch nicht so viel. Es stimmt schon auch, wenn man drei Gesundheitsmagazine in der ARD oder sieben hat und die dann online nebeneinander stehen in der ARD-Mediathek, dann ist der User auch überfordert und weiß auch gar nicht warum. Aber wenn man sich das genauer anguckt, der Teufel steckt, wie immer im Detail. Die ARD hat ja eine große Verantwortung im Regionalen, und das ist auch ihre Stärke. Und es hat ja manchmal auch Bedeutung, warum man die Universität Tübingen, dass man von da Wissenschaftler nimmt oder von der Universität Hamburg, also das hat ja auch regionale Bezüge. Und man verliert, glaube ich, wenn man alles so aufbauen würde, verliert man in der Region Menschen. Auf der anderen Seite muss man es sich genau angucken: In manchem Bereich macht es vielleicht Sinn, wenn man auch die Mantel Programme – auch da muss man aber gucken. Manche Zeitungen haben es ja versucht: Die versuchen ja mit so Mantelredaktionen in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet, aus einem Guss zu arbeiten und dann noch kleine lokale Fenster. Und die verlieren oft Abonnenten. Und man muss es sich genau angucken. In manchem Bereich macht es vielleicht Sinn. Wenn Sie die Zusammenarbeit mit ZDF noch ansprechen: Die Mediatheken muss man sich auch genau angucken. Ich glaube nicht, das ist aber meine persönliche Meinung, dass das von Erfolg gekrönt wird: Eine Riesen-Mediathek mit tausenden von Beiträgen, die zu verschlagworten, dass das eine gemeinsame Plattform wird. Das sehe ich auch für den User nicht attraktiv. Ich glaube, der jetzige eingeschlagene Weg, dass man versucht, die Durchlässigkeit zu erhöhen zwischen den Plattformen, dass das der richtige ist, dass die Menschen sich noch identifizieren, vielleicht mit der ARD Mediathek oder mit der ZDF Mediathek, aber dann auch dort die Sachen des Konkurrenten oder Mitbewerbers finden. Und die Zusammenarbeit in anderen Bereichen, im Fernsehbereich – wenn man hier runterguckt, wir sind ja hier im ZDF-Hochhaus, hier vor der Tür war bei der Weltmeisterschaft in Qatar das National Broadcast Center. Das heißt, hier unten stand das Studio, bei dem an einem Tag die Sportschau und am anderen Tag das Sportstudio sich abgewechselt haben und aus Katar berichtet haben. Also es wird schon überall versucht, was zusammenzulegen, was sinnvoll ist. Und man spart auch nicht Unmengen ein, ist meine Meinung. Und auch wenn man sich genauer anguckt, ist es wahrscheinlich auch so, wenn man alles zusammenlegt, dann kommen andere Probleme. Ja, das sind ja auch komplexe Vorgänge, wo es einfach Spezialistentum gibt.

MEDIEN360G: Ist hochspannend, was Sie da sagen, weil natürlich genau das ja auch so ein Punkt ist: Wenn man sich in den Belegschaften mal umhört, dann wird ja oft befürchtet, dass so in, ich sage mal, vorauseilendem Gehorsam, zuerst der Rotstift angesetzt wird und gesagt wird, wir streichen da mal was weg und kürzen da mal was, um vielleicht auch politischen Vorhaben zu entsprechen, und erst danach wird über Inhalte diskutiert. Das ist ja das, was Sie auch gerade ganz gut illustriert haben, wenn es um die Magazine geht. Na klar, sind die erst mal oberthematisch gleich, aber in der Nuance, wenn es eben darum geht, Regionalität abzubilden – der Kernauftrag der regionalen Berichterstattung beziehungsweise der Landesrundfunkanstalten –, wird dem ja Rechnung getragen. Unter welchen Maßgaben dürfen, müssen oder sollten denn Reformen Ihrer Meinung nach, also auch aus Sicht der Redakteure und letzten Endes der Redaktion stattfinden?

Hubert Krech: Ich finde, man müsste die Redakteurinnen und Redakteure der Sender einfach bei dem Prozess beteiligen. Die kennen sich aus, die sitzen im Maschinenraum, die wissen, wo man Sachen verbessern kann, was auch gut läuft, was man vielleicht optimieren muss. Und man kann nicht pauschal sagen: Wir machen jetzt diese Magazine nur noch zentral und andere nicht. Ich glaube, das hängt vom Thema ab, und das hängt auch von der regionalen Beschaffenheit ab. Ich glaube nicht, dass – ich nehme jetzt wieder in den Bayerischen Rundfunk – ein Bayerischer Rundfunk dauerhaft Gesundheitsmagazin aus Hamburg zugeliefert haben möchte, also die Zuschauer. Also, ich glaube, dass die sich dann auch abwenden. Und umgekehrt: Ein Verbrauchermagazin, das vom MDR gesendet wird, hat vielleicht beim Saarländischen Rundfunk bei dem Publikum dort nicht die Akzeptanz. Ich glaube, man muss da genau aufpassen, dass man die Stärke, die die ARD ausmacht, und auch das ZDF, dass man die noch weiter stärkt und nicht schwächt. In bestimmten Bereichen, das hab ich vorhin schon gesagt, ist es bestimmt sinnvoll. Und ich glaube, auch der Herr Gniffke weiß auch, was er tut. Und ich glaube, dass er das auch im guten Glauben macht. Aber mein Appell wäre, dass man die Redakteurinnen und Redakteure mitnimmt.

MEDIEN360G: Da sprechen wir gleich noch ein bisschen detaillierter darüber. Ich würde gern noch mal einen Schritt zurückgehen und diese Pläne von Kai Gniffke nochmal insofern von Ihnen einschätzen lassen, weil natürlich immer, ich sage mal, hinter Plänen auch eine Motivation steckt: Warum macht man Dinge? Warum geht man Dinge an? Warum muss man sie vielleicht auch angehen? Und wenn man jetzt mal das nimmt, was er gesagt hat: Kompetenzzentren, also das Zusammenlegen von Redaktionen, die dann zentral arbeiten für mehrere Anstalten. Wenn man sagt: Okay, wir gucken uns mal die Wiederholungs-Quoten an – ich sag mal, deutlich mehr als die Hälfte in den Dritten TV-Programmen sind mittlerweile Wiederholungen. Also, das ist auch keine Zahl, die einem irgendwie zufliegt. Das sind Sachen, die man in den Geschäftsberichten gut nachlesen kann. Gemeinsames Mantelprogramm ist eben auch so ein Thema, was wahrscheinlich erst über die nächsten zehn, 15 Jahre, wenn überhaupt, eine Relevanz bekommen würde. Aber natürlich sind das ja alles Entscheidungen, die man auf irgendeiner Grundlage trifft. Die Frage, die ich mir jetzt stelle, ist: Ist das denn in irgendeiner Form eigentlich belegt, was das bringt? Oder andersrum ausgedrückt, bräuchte es solche Belege nicht auch, um eben den Belegschaften, also den Redaktionen, überhaupt richtig verklickern zu können, dass da überhaupt eine Notwendigkeit und ein Sinn besteht?

Hubert Krech: Es sind ja momentan Vorschläge, die, glaube ich, noch nicht durchdiskutiert sind und auch mit den Redakteurinnen und Redakteuren noch nicht zu Ende diskutiert sind. Das wäre eben mein Wunsch, und auch der Appell von den Redakteursausschüssen, die zusammenarbeiten. Beim Mantelprogramm, fällt mir auch das Radio ein. Es funktioniert ja nachts. Da gibt es diese Nord- und die Süd-Popwelle. Man hört dann im Hessischen Rundfunk den SWR-Moderator und nimmt das auch irgendwie hin. Aber wir haben da halt die Situation: Das ist keine richtige Berichterstattung. Ich glaube, wenn es um Berichterstattung geht, um die Kernkompetenz Journalismus, da ist eine Regionalität einfach das Pfund, mit dem man wuchern muss. Da ist die Kompetenz, die Leute kennen den oder den Professor, den oder den Handwerker, an dem man die Geschichten erzählen kann. Und ich glaube, dass die Bevölkerung auch eine Bindung hat, zu ihrer Heimat oder Herkunft: Wo sie gerade wohnt und sich auch identifiziert mit Sprache, mit dem kulturellen Leben, dass man das auch irgendwie abbilden muss. Ich habe aber auch die Vorschläge nicht so verstanden, dass alles unter eine Überschrift kommt, sondern schon, dass man genau guckt. Und ich finde, der Vorgang müsste zusammen mit den Leuten, die es betrifft, diskutiert werden. Dafür gibt es die Redakteursausschüsse in fast allen Häusern. Und dann kommt man auch bestimmt zu einem guten Ergebnis.

MEDIEN360G: Also, das deckt sich so ein bisschen mit dem, was uns Giovanni di Lorenzo gesagt hat, als Publizist. Jemand, der natürlich gehört wird in Deutschland. Er ist Chefredakteur der Zeit, also, er kennt auch die publizistische und die inhaltliche Seite. Ist da also wirklich jemand, der auch, ich sage, mal eine gute Perspektive darauf hat, arbeitet auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, 3nach9. Und der hat das ähnlich gesehen. Ich sage mal so, aus seiner Sicht wird der Schatz, der in den Redaktionen oder in den Häusern sitzt, bislang gar nicht gehoben. Das haben Sie ja auch gerade ganz … schon illustrierte, dass Sie auch der Auffassung sind, dass man also erst mal in den Anstalten auch gucken sollte, was ist da eigentlich an Vorschlägen vorhanden, die man ja vielleicht auch umsetzen könnte? Das klang mir bei Ihnen jetzt so ein bisschen auch stark, inhaltlich motiviert: Wenn es darum geht, finde ich Protagonisten, finde ich Inhalte. Die Frage, die ich mir stelle, ist, ob Sie es auch so einschätzen, dass die, sagen wir mal, dass die strukturelle Weitsicht in solchen Redaktionen da wäre, um eben genau solche Reformen anzuschieben und umzusetzen?

Porträtfoto von Giovanni di Lorenzo, Publizist, Chefredakteur der "Zeit" und Fernsehmoderator 33 min
Im Interview mit MEDIEN360G spricht Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur von "Die Zeit", über die Herausforderungen und Chancen durch die Reform der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Hubert Krech: Also, gute Vorschläge sind immer zu diskutieren und auch zu akzeptieren. Und manchmal ist es halt auch eine Entscheidung von Chefs, die man umzusetzen hat. Die Frage ist dann natürlich nach dem Sinn. Ich sehe halt in vielen Bereichen, wenn wir zusammensitzen, von der AGRA oder auch beim eigenen Anschauen: Es wird ja schon ganz viel gemacht in der Zusammenarbeit. Zulieferungen, auch zwischen ARD und ZDF: Ist ein Reporter nicht vor Ort, schickt die Reporterin vom anderen Sender die O-Töne. Manchmal denken die Zuschauer: Warum sind da jetzt plötzlich drei ZDF-Mikros auf einem Termin? Das ist manchmal sogar kostengünstiger, wenn man drei Leute hinschickt, weil die für drei unterschiedliche Sendungen und auch ein Regionalstudio arbeiten, als dass man das dann mehrfach hin und herschicken, neu verpacken muss und auch aus einer anderen Sichtweise – zum Beispiel ein politisches Magazin hat ja einen anderen Interview-Anspruch als eine Nachrichtensendung oder ein Verbrauchermagazin. Und trotzdem braucht man von einem Termin O-Töne und dann ist es manchmal einfacher, dass drei Leute hingehen, die genau ihre Sache abfragen und das dann umgesetzt wird, als dass ein Mensch für alle die Fragen stellt und dann ausbalanciert. Ich glaube, man muss es sich immer genau angucken. Manchmal macht es keinen Sinn, dass drei Leute hinfahren. Aber das ist eine Einzelfallentscheidung. Man muss sich das genau angucken. Da richtig strukturell was drüber zu ziehen und zu sagen: Das machen wir jetzt aus einem Guss. Das ist, glaube ich, schwierig. Ich glaube, da sind wir am Anfang von vielen Diskussionen. Und ich habe schon gesagt: Die Redakteurinnen und Redakteure müssen mitgenommen werden bei dem Prozess. Denn wir haben ja auch einen Auftrag. Also das Bundesverfassungsgericht hat ja den Redakteurinnen und Redakteurin eine besondere Aufgabe mitgegeben, nämlich die Programmvielfalt zu garantieren in den Häusern.

MEDIEN360G: Ist natürlich ein starkes Argument, dass Sie da entsprechend, also es wäre ja genau diese Verantwortung, die da ja letzten Endes mit ins Stammbuch geschrieben ist. Ich würde trotzdem noch mal nachfragen wollen: Dieses strukturelle Denken. Ich sage mal, wir reden natürlich nachher auch noch über die Politik und die Rundfunkkommission der Länder. Wir reden auch über das, was die Intendanten und Intendantinnen vorhaben. Und trotzdem nochmal von mir die Frage: Dieses strukturelle Denken – es ist natürlich leicht gesagt: Wir nehmen die Mitarbeiter oder die Belegschaften mit. Das versteht sich von selber, dass das so sein sollte, weil das ist ja auch eine Frage der Akzeptanz, letzten Endes. Aber die Frage, die ich mir stelle, ist tatsächlich: Wenn es jetzt darum geht Strukturen zu verändern, spielen ja auch eigene Interessen eine Rolle. Also, wer wird schon freiwillig das Abschaffen seiner eigenen Redaktion beschließen wollen? Deswegen noch einmal die Frage an Sie, ob es möglicherweise da einen gewissen Sprengstoff mit sich bringt, wenn man die Mitarbeiter dann auch daran beteiligt zu rationieren, wovon sie selber betroffen sind?

Hubert Krech: Ich kann da aus eigener Anschauung berichten. Ich arbeite in einem Bereich, wo ganz viel Transformation stattfindet, bei den digitalen Medien im ZDF. Und wir arbeiten jetzt schon seit einigen Jahren – werden Fernsehprogramme in Richtung Streaming umgearbeitet, umgebaut. Und natürlich gibt es erstmal Befürchtungen, höre ich auch aus der ARD: Oh, wir werden abgeschafft. Oh, wir werden ganz anders eingesetzt. Das kenne ich nicht. Das will ich nicht. Aber nach einem gewissen Prozess, wenn die Leute mitgenommen werden, habe ich sehr selten erlebt, dass es scheitert. Ganz im Gegenteil: Es bieten sich auch neue Chancen. Es sind ja ganz oft Redakteurinnen und Redakteure, die immer dasselbe machen und auch mal etwas Anderes erleben wollen. Und die haben dadurch ihre Chance, dass sie auch mal über den Tellerrand hinausgucken können. Und der Weg ist einfach Veränderungen. Ich glaube, Redakteurinnen und Redakteure, die sich überhaupt nicht mehr verändern – das ist auch von vorgestern. Ich glaube, inzwischen haben das auch wirklich alle begriffen und auch jeden Alters. Gerade die neuen Leute, die in die Häuser kommen, bringen auch einen Schwung mit, auch an Veränderung und Veränderungsbereitschaft. Ich glaube: Das ist nicht das Problem. Ich glaube wirklich, wenn etwas schiefgeht, dann hängt es daran, dass man nicht richtig beteiligt wird. Es gibt Einzelfälle, natürlich. Leute, die gerne immer alles abblocken. Aber ich glaube, die sind in der Minderheit und auch die können überzeugt werden.

MEDIEN360G: Spannend, weil das Argument haben wir auch von Kai Gniffke gehört, dem ARD-Vorsitzenden. Der hat zum Beispiel gesagt, dass allein Altersabgänge in großen Zahlen bevorstehen, dass das auch schon zur Umsetzung reichen wird, damit niemand wegen der ARD-Reform arbeitslos wird. Das heißt also das ist ein Argument, das Sie durchaus nachvollziehen können?

Hubert Krech: Ich kenne die Zahlen natürlich nicht, wie viele Leute in den einzelnen Anstalten in Ruhestand gehen. Aber die Veränderungsbereitschaft ist gefordert, und die ist auch da. Und es bieten sich einfach auch neue Berufsmöglichkeiten. Wenn man sich vorstellt, wie vor zehn oder 15 Jahren Radio gemacht wurde und heute gemacht wird oder Fernsehen, das ist ständig im Fluss. Der Journalismus ist ständig im Fluss, Social Media, das verändert sich ständig. Und wer da nicht dabei ist als Redakteur oder Redakteurin, hat sowieso den Anschluss dann verpasst. Und ich glaube, da kommt so viel Druck – aber man hat ihn auch selbst –, man will ja auch produzieren und sein Publikum finden. Und dann muss man auch die Seh- und Hörgewohnheiten der Zuschauerinnen und User einfach auch akzeptieren und sich dahin auch entwickeln. Und das ist schön zu hören, dass keiner seinen Job dann verliert. Das freut natürlich vor allen Dingen auch die Personalräte in den Häusern. Und ich glaube es auch, weil die Aufgaben sind ja groß.

MEDIEN360G: Also, um das vielleicht noch mal abzubilden: Hubert Krech von AGRA sagt: So eine Reform kann auch eine Chance sein, vielleicht sogar, ich sage mal, ein Zwang zum Glück. Also, so eine Veränderung noch einmal im Berufsleben, das kann ja manchmal gar nicht schaden. Wenn ich noch mal ganz kurz einen Schritt zurückgehen darf, Herr Krech, und zwar an die Stelle, wo wir im Prinzip darüber gesprochen haben, dass ja diese Schätze in den eigenen Häusern irgendwie nicht gehoben werden, was Giovanni di Lorenzo sagt, was Sie auch schon in Ansätzen illustriert haben. Mich würde mal interessieren, was sie für Rückmeldung kriegen. Denn Sie sind natürlich in der AGRA angebunden an die Leute, die in den Maschinenräumen die Arbeit machen, täglichen Journalismus betreiben. Wie werden denn die Journalisten – also die die Programmgestalter letzten Endes ja auch sind – bislang in der Ideenfindung, was die ARD-Reform angeht, mitgenommen? Was haben Sie da gehört? Was haben Sie da für Rückmeldungen?

Hubert Krech: Unterschiedlich. Also ARD und ZDF haben ja ganz unterschiedliche Statuten, wie mit Redakteurinnen und Redakteuren umgegangen wird. Wir haben sehr starke Redaktionsstatute beim NDR und beim WDR bis hin zum Bayerischen Rundfunk, wo es überhaupt gar keine Redakteurs-Beteiligung gibt, im Sinne von einem Redakteursausschuss. Natürlich werden auch Redakteurinnen und Redakteure gehört, aber nicht strukturell, und nicht aufgrund eines Gesetzes oder eines Statuts. Und dann ist natürlich auch die Rückmeldung schwierig. Ich höre schon auch von vorbildlicher Einbeziehung bei Reform-Vorhaben, wenn Sendungen umgearbeitet werden. Zum Beispiel müssen im ZDF bei jeder größeren Programmverschiebung die entsprechenden Fachbereiche und Fachredaktionen, aber auch Redakteurinnen und Redakteure gehört werden. Das passiert hin und wieder und das höre ich auch aus ARD-Anstalten – manchmal, weil es gemacht werden muss, aber manchmal, weil es gemacht werden will. Und ich höre auch aus der ARD-Steuerungsgruppe, die der Herr Gniffke eingesetzt hat – das soll ja ein Beratungsgremium sein für den gesamten ARD-Reformprozess –, dass es auch da Versuche gibt, die Redakteurinnen und Redakteure dann zu beteiligen und da nochmal von unten zu sammeln. Bei den einen Anstalten klappt es besser, bei den anderen schlechter. Aber es ist bleibt der Appell überall. Es funktioniert dort, wo geredet wird. Es funktioniert dort, wo beteiligt wird, wo man auch akzeptiert. Und man kann ja eine negative Entscheidung dann einfach auch mal hinnehmen. Wenn aber mal das Gefühl da ist: Man konnte seine Kritik auch mal anbringen. Ich meine, es gibt ja auch nicht ohne Grund eine Hierarchie, die werden eingesetzt, damit auch bestimmte Sachen funktionieren. Aber die Nichtbeteiligung, das macht, glaube ich, viel kaputt. Und die Themen sind ja sowieso auf dem Tisch – aber wenn die nicht moderiert werden, nicht ausdiskutiert werden, dann hinterlässt das eben auch Problemlagen, die man nicht bräuchte. Das ist auch unnötige Zeitverschwendung, wenn man es frühzeitig anfangen könnte.

MEDIEN360G: Ja, weil Sie das gerade auch noch mal so schön beschrieben haben, dass es ganz unterschiedliche Ausgangslagen gibt in den Häusern. Ich sage mal so, es gibt Beiräte von Intendanten oder Intendantinnen. Das sind oft Gremien, ich sag mal, die bei Programm-Konflikten in Anspruch genommen oder aktiv werden. Die dann eingreifen, wenn beispielsweise ein Berichterstatter, ein Redakteur, ein Journalist vielleicht ein Problem mit einer Führungskraft hat, wenn es da unterschiedliche Ansichten gibt zu Produkten, die erstellt worden sind. Also, ich sage mal, das sind ja sehr punktuelle Sachen, die sich ganz streng auf das aktuelle Geschäft beziehen. Glauben Sie denn, dass die Struktur in den Häusern, was solche Gremien angeht, in denen die Belegschaft mitsprechen kann, gegeben ist? Oder inwiefern sehen Sie da auch, in welcher Größenordnung Nachholbedarf?

Hubert Krech: Jede Landesrundfunkanstalt in der ARD – und auch das ZDF und Deutschlandradio haben da einen Nachholbedarf. Es gibt stärkere Statuten und stärkere Redakteursausschüsse, aber es gibt Anstalten, wo es gar nichts gibt oder etwas Schwaches, jetzt so von der Struktur her. Wir haben ein Muster-Statut erarbeitet, 2019 schon, wo all die Punkte beschrieben sind, alle Pflichten und alle Rechte der Redakteurinnen und Redakteure, die darin arbeiten, mit einem ganz klaren Prinzip bei Programm-Konflikten, aber auch der Beteiligung bei Umstrukturierungen. Nehmen wir ein Beispiel: Eine Sendung wird eingestellt. Dann hat das arbeitsrechtliche Punkte – zum Beispiel: Was ist mit dem Arbeitsvertrag? Muss der jetzt zum Beispiel von Magdeburg nach Erfurt umziehen, der Redakteur? Muss die Redakteurin von München nach Mainz zurück? Aber es hat noch den inhaltlichen Aspekt, wenn ein bestimmtes Thema wegfällt: Wo wird das sonst noch abgesendet? Angenommen, es würde im ZDF ein Verbrauchermagazin abgesetzt werden. Wo würden dann Verbraucherthemen stattfinden? Würden die dann im Morgenmagazin stattfinden? Würden die im heute-journal mit integriert? Das sind alles Diskussionen, die Programmfragen bedeuten. Und wir haben da als Vorbild – wir gucken da über den Tellerrand nach Österreich. Das ist für uns momentan das leuchtende Beispiel einer Redakteurs-Beteiligung. Dort können sogar, unter gewissen Voraussetzungen, Chefs von den Mitarbeitenden abgewählt werden. Aber natürlich nur unter gewissen Voraussetzungen – ein bestimmtes Fehlverhalten muss nachgewiesen sein. Hat natürlich eine Geschichte: Beim ORF haben wir eine viel größere Besetzung durch die Politik. Da werden Redaktionsleiter oder wurden Redaktionsleiter und Redaktionsleiterinnen von der Politik mehr oder weniger, an allen Gremien vorbei, auf Posten gesetzt. Und dem hat man ein Riegel vorgeschoben. Ganz starkes Redakteursstatut – dort hat der Redakteursrat ein wahnsinniges Standing. Die haben dort einen großen Rückhalt in der Belegschaft. Und das ist eigentlich nur zum Vorteil des Senders, weil im Grunde genommen geht es um die Glaubwürdigkeit eines Senders und die wird durch die innere Rundfunkfreiheit einfach garantiert.

Ich muss als Zuschauerinnen und Zuschauer, muss ich doch das Gefühl haben, wenn ich mir etwas angucke: Der hat redlich gearbeitet. Die Dame, die mir das gerade erzählt, hat es gut recherchiert und auch meine Meinung ist irgendwie berücksichtigt, nicht in jedem Bericht, aber im Großen und Ganzen muss ich mich irgendwo wiederfinden im ARD- und ZDF-Spektrum. Und das garantieren die Redakteurinnen und Redakteure – natürlich auch die Hierarchie, aber ein Kontrollgremium wie die Redakteursausschüsse, die müssen gestärkt werden, landauf, landab. Also wir sind da jederzeit bereit zu Gesprächen mit den Intendantinnen und Intendanten und auch der Medienpolitik.

MEDIEN360G: Jetzt haben Sie schon alle Player angesprochen, über die wir natürlich an der Stelle auch noch sprechen müssen. Es gibt, wenn man sich die Panels und die Veranstaltungen anschaut und anhört, auf denen über diese Reformpläne gesprochen wird, sehr diplomatische Formulierungen, wenn es darum geht, wer denn mit was nach vorne kommen soll. Aber so ein Bekenntnis: Also, wir sind jetzt dran, und wir machen mal. Das habe ich bislang vermisst. Also, Kai Gniffke ist natürlich vorangegangen. Er hat diese Steuerungsgruppe eingesetzt. Wir werden bestimmt auch noch über den Zukunftsrat sprechen, den die Politik wiederum eingesetzt hat. Herr Krech, die Frage an Sie: Ich habe das Gefühl, dass da gerade unglaublich viele Gremien, um nicht zu sagen, unglaublich viele Köche an diesem Reformbrei arbeiten und meine Angst ist natürlich damit verbunden, dass die den auch verderben. Ist das ein Eindruck, den nur ich habe oder geht es den Redakteurinnen und Redakteuren insgesamt so?

Hubert Krech: Es ist schon, wie Sie beschreiben, richtig, dass sehr viel parallel passiert, wo man auch leicht den Überblick verliert. Und dann sind natürlich – da muss man, glaube ich, genau hingucken – ganz unterschiedliche Player mit einer eigenen Agenda unterwegs. Da werden bestimmte politische Gruppierungen die ARD und das ZDF abschaffen wollen und alles torpedieren. Oder auch manchmal ins bürgerliche Lager hineindiskutiert wird: Beitragsstabilität über alles. Dann würgt man ja schon ein Teil der Diskussion ab. Man kann über ganz vieles sprechen. Auch wir Redakteurinnen und Redakteure, die in den Redakteursausschüssen organisiert sind, sehen ja viele Sachen kritisch. Es sind ja in unseren Ausschüssen zum Teil die kritischsten Menschen. Die lassen sich dann auch aufstellen und wählen und arbeiten dann auch in dem Gremium kritisch mit. Aber der Eindruck täuscht nicht, dass viele Sachen parallel stattfinden. Dass viele auch ein bisschen undurchsichtig: Was wollen die eigentlich? Will die Politik jetzt wirklich einen großen Wurf? Oder will man doch eher vielleicht kleinere Schritte haben? Weil ich glaube nicht, dass bestimmte Ministerpräsidenten auf ihren "eigenen", in Anführungszeichen, Sender verzichten wollen, der vor Ort arbeitet – aus guten Gründen. Und insofern: Viele Köche verderben den Brei. Aber gleichzeitig: Es kann auch ein gutes Gericht rauskommen, wenn viele Köche arbeiten. Die Frage ist nur immer: Wer hat dann auch wirklich die Power das umzusetzen? Und da ist natürlich der Zukunftsrat – der ja von der Medienpolitik, die ja laut Verfassung zuständig für die Medienpolitik in Deutschland ist – eigentlich schon momentan das ausschlaggebende Gremium, das berät.

MEDIEN360G: Da sagt Giovanni di Lorenzo: Das wäre das Papier eigentlich nicht wert, auf dem es geschrieben ist. Also das, was dann am Ende dabei rauskommt, wenn dieser Zukunftsrat keine Kompetenzen hat, wenn der nicht auch verpflichtend Sachen präsentieren, vorschlagen oder einbringen kann. Wie sehen Sie das?

Hubert Krech: Also wir sehen den Zukunftsrat kritisch. Wir finden gut, wenn Medienpolitik sich beraten lässt von Expertinnen und Experten. Es sitzen auch ganz viele Expertinnen und Experten drin, aber aus unserer Sicht zu viele Menschen, die nicht aus dem Maschinenraum kommen. Also es ist nicht eine Person in diesem Zukunftsrat benannt, die das Geschäft wirklich aus dem Inneren aktuell kennt. Es sind Juristinnen und Juristen drin, alles hoch angesehene Menschen, das möchte ich nicht in Abrede stellen. Das sind Experten ihres Gebietes. Aber wir fehlen. Es ist einfach so, dass die Leute, die die Ahnung haben, die genau wissen: was passiert, wie, wann, wo und warum, nicht gehört werden. Und wir hatten die Erwartung, dass wir in den Zukunftsrat kommen oder zumindest den Wunsch. Und jetzt haben wir die Erwartung, dass man uns wenigstens dort hört. Wenn man da keinen Sitz und Mitsprache hat, dann aber zumindest angehört wird. Denn ohne die Macher etwas zu beschließen, halten wir eigentlich für aberwitzig – und dann auch schwierig in der Umsetzung. Also ich glaube: Der Erfolg steht mit der Beteiligung der Belegschaft.

MEDIEN360G: Helfen Sie meiner Fantasie mal ein bisschen auf die Sprünge! In welchem Forum oder auf welcher Plattform das passieren könnte oder sollte? Hätten Sie sich gewünscht, dass beispielsweise die AGRA-Vertreter in die Steuerungsgruppe von Kai Gniffke schicken darf? Hätten Sie sich vielleicht so eine Art eigenen Rat vorgestellt oder vielleicht die AGRA als genuine Vereinigungen, die da per se am Tisch sitzt, sowohl auf der Seite der Anstalten als auch auf der Seite der Politik? Wie hätten Sie sich diese Mitarbeitereinbindung, Belegschaften mitnehmen und so weiter - wie hätten Sie sich das ganz praktisch gewünscht?

Hubert Krech: Also beim Zukunftsrat hätten wir uns tatsächlich gewünscht, mit am Tisch zu sitzen oder zumindest im erweiterten Kreis dabei zu sein, damit man einfach ungeschminkt in beide Richtungen kommunizieren kann. Bei der Steuerungsgruppe von Herrn Gniffke würde es ja ausreichen, wenn die einzelnen Landesrundfunkanstalten das mit ihren Redakteursausschüssen besprechen. Da muss ja nicht die AGRA als die Vereinigung aller Redakteursausschüsse mit dabeisitzen. Dafür gibt es ja in den Häusern – dort, wo es die gibt – die Redakteursausschüsse, die dort mit den Vertretern der Steuerungsgruppe diskutieren. Also, wir würden uns einfach auf jeder Ebene wünschen, dass es diesen Austausch gibt, in beide Richtungen – und zwar einen adäquaten, auch auf Augenhöhe, dass man die Leute einlädt, die Ahnung haben. Und nur dann halten wir auch den Erfolg für möglich.

MEDIEN360G: Lassen Sie mich noch mal ganz kurz auch ein bisschen auf die Bauchebene kommen, auf die atmosphärische Ebene, weil das natürlich eine Ebene ist, die das Publikum, ja nie mitbekommt – Sie sehr wohl, weil sie natürlich Feedbacks bekommen. Sie bekommen Rückmeldungen aus den Redaktionen, aus den Belegschaften. Was sind das denn für Gefühle, Gedanken oder vielleicht auch Ängste, die da gerade durchgemacht werden, wenn man als Programmgestalter – und damit meine ich wirklich von der Pike auf bis vielleicht zum Abteilungsleiter –, wenn man diese Reformdiskussion, die ja wirklich in jedwede mögliche Richtung gerade ausschlägt mitbekommt? Sind das Ängste? Sie haben ja auch illustriert, dass es durchaus auch Optimismus geben kann. Was sind da so die Gefühle, die da im Moment mitschwingen?

Hubert Krech: Manchmal Fassungslosigkeit und Unverständnis. Ängste, glaube ich eher weniger. Also bei mir gibt es schon eine Urangst, dass man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so klein macht, dass er eine immer kleiner werdende Rolle spielt und dass diese Klammer der Gesellschaft dadurch verlorengeht. Es ist ja immer die Rede davon, dass der Rundfunkbeitrag eine Demokratieabgabe ist. Das ist vielleicht überspitzt, aber ich halte das für absolut nachvollziehbar. Denn nur hier bekommt man unabhängigen Journalismus und zwar dauerhaft garantiert. Natürlich gibt es auch Zeitungen und Verlage, die das machen. Aber wir sehen ja bei den ganzen Geschichten, die momentan bei Verlagen passieren: Die einen Verlage verkaufen ihre Zeitungen, bei den anderen Verlagen schreiben Verleger den Redaktionen vor, in welche Richtung mal die Berichterstattung gehen soll. Und das gibt es, meines Wissens, derzeit in ARD und ZDF nicht. Die Zeiten, wo ein Politiker anruft beim "heute journal" oder bei den "Tagesthemen" und sagt, ich möchte den und den O-Ton haben, die sind lange, lange, lange vorbei, wenn es sie überhaupt gab. Und das ist schon eine Angst, dass durch das kleiner machen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine gewisse Demokratie-Struktur abgeschnitten wird. Manche möchten das, das muss man ganz klar benennen. Aber ich glaube, es ist zum Schaden der Bevölkerung. Und auf der anderen Seite sind Gefühle, die hochkommen, eher manchmal Unverständnis über was da gesprochen wird, weil es einfach oft auch an der Wahrheit vorbeigeht. Also, wenn man bestimmte Vorschläge liest – die verstoßen sogar gegen die Verfassung. Wenn man zum Beispiel sagt: Der Beitrag muss da und dort eingefroren werden. Ja, kann man diskutieren, aber das Bundesverfassungsgericht hat eigentlich ganz klargemacht, dass das alle Länder gleichzeitig, einstimmig beschließen müssen und dass die Entwicklungsgarantie vorhanden sein muss, auch auf technologischer Ebene, bei den Fernseh- und Rundfunkanstalten. Aber es geht auch bis ins Detail: Wenn immer wieder vorgeworfen wird, links-grün, rot-grün. Da, glaube ich, ist es dann auch oft Wut, weil man es nicht verstehen kann, woher das kommt. Man kann natürlich identifizieren, aus welchen Ecken das auch kommt. Ich kann wirklich nur sagen: In allen Bereichen, wenn wir diskutieren, werden in den Redaktionen immer Argumente gegeneinander abgewogen. Es wird nie vorgegeben, welche politische Richtung nach oben gezogen wird.

MEDIEN360G: Es ist auch eine Frage der Haltung und der Ausgewogenheit, über die Sie da gerade sprechen. Insofern muss man da wahrscheinlich auch immer tatsächlich das Gesamtprogramm oder das Gesamtangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betrachten, indem natürlich allein schon die Chance auf Ausgewogenheit viel größer ist, als beispielsweise in einem Tendenzbetrieb. Wenn man sich die privatwirtschaftlichen Sparten dieser Branche anschaut, bestehen ja ganz andere Möglichkeiten und auch weniger Pflichten – das gehört auch zur Wahrheit dazu. Ich würde Sie ganz gerne noch mal fragen wollen – zum Thema Politik, weil das natürlich ein spannendes Feld ist. Wir haben jetzt über die Programmmanager und über die Programmmacher gesprochen. Und gleichzeitig gibt es ja auch noch Entscheider. Rundfunk ist Ländersache, das wissen vielleicht viele Bürgerinnen und Bürger gar nicht. Aber letzten Endes sind es ja die Landtage, die den Weg und auch den Rundfunkbeitrag erheblich mitbestimmen, wenn nicht sogar erst einmal absegnen müssen. Sie haben über die Einstimmigkeit gesprochen. Mich würde mal interessieren, wie Sie die Rolle der Politik bislang bewerten. Wir haben natürlich auch mit Frau Raab gesprochen, sie koordiniert die Rundfunkkommission der Länder und sie hat sich vergleichsweise defensiv präsentiert. Sie hat gesagt, sie will keine Politik von oben. Sie möchte vor allem nicht, dass man das Gefühl hat, die Politik stülpt jetzt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk da möglicherweise etwas über und zerstört dabei Dinge, die eigentlich sehr gut sind. Das hört sich sehr defensiv und auch sehr abwartend an. Meine Frage an Sie, Herr Krech: Wie schätzen Sie das denn ein? Die Politik in ihrer Rolle als der Besteller des Rundfunks: Wird sie ihrer Rolle so gerecht, wie sie das müsste? Oder gibt es da auch noch Luft nach oben?

Porträtfoto von Heike Raab, Koordinatorin für Rundfunkpolitik der Länder und Medienstaatssekretärin in Rheinland-Pfalz 30 min
Im Interview mit MEDIEN360G spricht Heike Raab über die gezielte Zusammenarbeit der Sendeanstalten, die Überarbeitung der Staatsverträge und ihre Vision, ein Reformwerk auf den Weg zu bringen, in dem sich die Menschen wiederfinden. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Hubert Krech: Man kann da, glaube ich, keine ganz klare Antwort treffen. Ich glaube, dass da die Interessen innerhalb der Medienpolitiker auch schon ziemlich unterschiedlich sind, von Nord nach Süd, nach Ost, nach West. Jeder Medienpolitiker und jede Medienpolitikerin hat ein ureigenes Interesse für sein oder ihr Land. Manche haben vielleicht noch das große Bild vor Augen, manche wollen vielleicht eher im Kleinen Veränderungen. Ich glaube, dass das auch ein schwieriges Geschäft ist. Es ist ein sehr komplexes Gebilde. Und eine Reform an dieser Stelle hat dann Auswirkungen ganz anderer Art und an einer ganz anderen Stelle. Und es ist auch nicht zu beneiden, das Geschäft, das möchte ich schon mal sagen. Aber ich glaube schon, dass wenn man eine gewisse Grundeinigkeit hat, bei der Medienpolitik, dass guter Journalismus Geld und Personal kostet – das kostet einfach Geld –, und auch Menschen, dass gut berichtet wird. Tausende von Redakteurinnen und Redakteure aber natürlich auch die Cutter, auch Kameraleute, auch die Büroangestellten, der Bühnenbau, das gehört ja alles zum Programm. Man kann ja auch nicht sagen: Die Verwaltung ist aufgebläht. Das mag vielleicht früher mal gewesen sein, aber es kann ja auch nicht ein Redakteur oder eine Redaktion alles machen. Also seinen Zug buchen und die Reisekostenabrechnung und, und, und. Er kann auch nicht die Kamera reparieren, wenn die kaputt ist. Man braucht Fachleute, Spezialisten. Und die Sparanstrengungen sind in vielen Häusern ja auch schon am Laufen, also manches weiter vorne, manches weiter hinten. Und natürlich gibt es vielleicht noch an der einen oder anderen Ecke was zu drehen.

MEDIEN360G: Jetzt stelle ich mir vor, die ARD oder die Öffentlich-Rechtlichen in ihrer Gänze entscheiden: Wir brauchen beispielsweise eine Redaktion XY nicht mehr. Da gibt es zukünftig eine Gemeinschaftsredaktion und es betrifft einen Standort XY. Nachdem was Sie mir gerade beschrieben haben, kann es doch dann immer noch passieren, dass beim Standortinteresse der Politik, die Politik dann sagt: Also das ist nett, liebe ARD, dass ihr euch Gedanken gemacht habt, das ist auch cool, liebe Belegschaft, dass ihr da mitmachen wollt. Aber wir als Politik, wir sehen das nicht. Wir machen da nicht mit. Wir stimmen dem nicht zu. Wir geben euch dafür nicht den Auftrag. Kann das passieren?

Hubert Krech: Das ist, glaube ich, rein menschlich und in der Politik vielleicht noch mehr verbreitet. Man möchte ganz gerne das gespart wird aber woanders und nicht hier. Also streicht die Stellen – aber nicht hier. Baut Windkraftanlagen – aber bitte dort. Baut bitte Sendemasten für Handys, weil ich will unbedingt 5G in bester Empfangsqualität – aber nicht auf mein Dach, baut das da drüben. Und ich glaube: Das ist menschlich, das muss man auch verstehen. Und da wird es vielleicht noch auf die Spitze getrieben, weil es noch Allgemeininteressen betrifft. Worauf ich aber auch noch hinauswollte ist: Die Medienpolitik hat ja auch Schwierigkeiten gehabt, diesen Zukunftsrat zu bestücken. Da hat es ja auch wochenlang Differenzen gegeben – wer kommt da rein? Und ich glaube, da ist eine Chance verpasst worden, den einfach gleich mit Leuten zu bestücken, die über jeden Zweifel erhaben sind und das Beste wollen. Ich unterstelle den jetzigen Mitgliedern des Zukunftsrats überhaupt nicht, dass sie es nicht auch wollen. Aber es fehlen einfach gewisse Aspekte, die da mit reinkommen, um es zum Erfolg zu bringen. Und da gehört unter anderem der Zuschauer auch mit rein. Wo werden denn Zuschauerinteresse im Zukunftsrat besprochen? Wo ist da die Rückkoppelung? Vielleicht kommt das ja noch. Und wo sind die Macher? Also die Produzenten-Wirtschaft, wir machen ja nicht alles Programm selbst, es wird auch vieles in Auftrag produziert. Auch die haben ein Interesse gehört zu werden, denn wir haben auch Ideen. Wir haben auch Kritik, und wir haben auch Vorschläge. Und die müssen damit rein. Ansonsten ist es ein abgehobenes Gremium und die Politik: Ich glaube, irgendwas wird der Zukunftsrat präsentieren, was dann auch umgesetzt wird, ansonsten würden viele Leute ihr Gesicht verlieren. Man gründet kein Gremium, gibt ihm dann einen Auftrag und danach verschwindet es in der Tasche. Dafür ist dieser Zukunftsrat auch zu hoch gehandelt, in der Medienpolitik. Also der muss irgendwie auch Erfolge vorweisen. Und mein Wunsch und mein Rat – aber auch mein Angebot an den Zukunftsrat ist, dass wir jederzeit gesprächsbereit sind. Wir kommen wann immer sie wollen hin und sprechen über alles, was ansteht. Denn wir wollen auch einen guten und reformfähigen und einen zukunftsfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Denn das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, den zu garantieren. Und da arbeiten alle Redaktionen und Redakteure jeden Tag draußen mit, aber auch in den Ausschüssen.

MEDIEN360G: So ein schönes Schlusswort, dass ich jetzt einfach gar keine weitere Frage stellen möchte. Vielen Dank, Herr Krech.

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