Porträt von Dr. Corinna Perchtold-Stefan 16 min
Dr. Corinna Perchtold-Stefan führt aktuell eine Studie zum Thema True Crime an der Universität Graz durch. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Foto: Corinna Perchtold-Stefan
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Interview mit Dr. Corinna Perchtold-Stefan Die Faszination True Crime

Die Faszination True Crime

Formate über wahre Verbrechen sind beliebt. Im Interview spricht Dr. Corinna Perchtold-Stefan über die Faszination von True Crime und warum vor allem Frauen zum Stammpublikum gehören.

16:23 min

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Faszination True Crime Warum Frauen echte Verbrechen lieben

01. Dezember 2023, 00:00 Uhr

Mord und Totschlag sind in der Medienlandschaft fest verankert – von Fernsehserien bis zu Kriminalromanen. Doch in den letzten Jahren trat durch True Crime die Faszination für wahre Verbrechen in den Vordergrund. Während dieses Genre breite Zustimmung findet, gibt es eine auffallende Besonderheit: Frauen dominieren das Publikum. Warum ist das so?

True-Crime-Formate, also Bücher, Filme, Serien und vor allem Podcasts, in denen echte Verbrechen nacherzählt werden, sind wahrscheinlich so beliebt wie nie – auch im MDR. Der True-Crime-Podcast "Die Spur der Täter" ist einer der meistgehörten der über 30 MDR-Podcasts. Aber wieso wollen sich so viele Menschen in ihrer Freizeit mit echten, oft brutalen Verbrechen beschäftigen, die häufig auch das Leid von realen Menschen beinhalten?

Faszination True Crime

Eine Hälfte des Podcast-Moderatoren-Duos von "Die Spur der Täter" ist Mattis Kießig. Er glaubt, dass die Beliebtheit von True-Crime-Formaten mit einem gewissen Gruselfaktor zusammenhängt. Auch dass am Ende klar ist, wer der Täter ist, ist seiner Meinung nach ein Faktor für Fans des Genres:

"Man gruselt sich und am Ende hat man diese Erlösung. Man selbst ist nicht betroffen und kann gut in die Distanz gehen und mit einem positiven Gefühl aus einem dramatischen Thema rausgehen. Das macht diese Faszination aus."

Auf dem Bild ist ein gesprengter Geldautomat zu sehen, im Hintergrund ein Fluchtauto der Täter. 61 min
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Dr. Corinna Perchtold-Stefan vom Institut für Psychologie der Universität Graz führt aktuell eine großangelegte Studie zur Faszination von True-Crime-Inhalten durch. Sie glaubt, dass die Auseinandersetzung mit echten Verbrechen auch immer etwas mit unserer eigenen Sterblichkeit zu tun hat.

"Nichts ist für uns Menschen verstörender, unsicherer oder ungewisser als der eigene Tod. Und True Crime bietet da eine gute Gelegenheit, sich auf einer recht spielerischen, sicheren Ebene mit diesen doch recht erschreckenden Inhalten auseinanderzusetzen."

Echte Verbrechen begeistern vor allem Frauen

Herausstechend beim Publikum von True-Crime-Formaten: Frauen sind immer in der Überzahl. Bei der Zeitschrift "Stern Crime" sollen 81 Prozent der Abonnements von Frauen sein, eine Studie aus dem Jahr 2022 ergab unter True-Crime-Podcast-Hörerinnen und -Hörern sogar einen Frauenanteil von 93 Prozent. Auch bei "Die Spur der Täter" sind über Zweidrittel der Zuhörenden weiblich. Das wirft die Frage auf: Warum beschäftigen sich gerade Frauen mit echten Verbrechen?

Frauen können sich besser in die Emotionen anderer hineinversetzen

Weshalb Frauen vom Thema True Crime fasziniert sind, könnte damit zusammenhängen, dass Frauen allgemein empathischer sind als Männer, sagt Corinna Perchtold-Stefan. Frauen könnten sich besser in die Emotionen und Lebenswelt anderer hineinversetzen, deshalb würde es naheliegen, dass sie auch interessierter an deren Geschichten seien. "Das könnte allgemein erklären, warum True Crime auf Frauen etwas fesselnder und spannender wirkt, weil es eben persönlich relevanter ist", so die Psychologin.

Frauen wollen sich durch True Crime vorbereiten

Eine weitere Motivation könnte darin liegen, dass Frauen sich durch die Beschäftigung mit wahren Verbrechen auf eine Extremsituation in ihrem eigenen Leben vorbereiten wollen. Frauen würden sich weltweit mehr davor fürchten, Opfer eines Verbrechens zu werden, so Perchtold-Stefan. Das würde auch erklären, warum sich Frauen mehr als Männer mit dem Thema auseinandersetzen wollen: "Je mehr Informationen wir zu einem Thema haben, desto sicherer, selbstbewusster fühlen wir uns – zumindest auf einer rein subjektiven, persönlichen Ebene."

Die Theorie geht sogar noch ein Stück weiter. Demnach wollen Frauen durch die Beschäftigung mit True-Crime-Büchern, -Filmen und -Podcasts Sicherheitsstrategien für ihr eigenes Leben erlernen: Was kann mir im Alltag passieren? Wie kann ich mich vor Bedrohungen schützen? Welche Gefahrenquellen drohen in Beziehungen oder auch in Begegnungen mit fremden Personen? Wie kann ich mich verteidigen?

Perchtold-Stefan: "Das Motiv heißt in der Psychologie Defensive Vigilanz, also eine Art verteidigende Wachsamkeit, sprich, sich möglichst wachsam mit einem Thema auseinanderzusetzen, das einem Angst macht."

An der Universität Graz seien sie gerade dabei, diese Theorie zu bestätigen, so Perchtold-Stefan. In der aktuellen Studie hätten 70 Prozent der Befragten als Grund für ihr Interesse an True Crime angegeben, dass sie die Motive der Täter verstehen wollen. Darin sieht die Psychologin Anhaltspunkte sowohl für die Erklärung mit der stärkeren Empathie von Frauen, als auch für die der Defensiven Vigilanz.

Es braucht weitere Forschung

Von der Suche nach einem Gruselerlebnis über die Beschäftigung mit unserer eigenen Sterblichkeit bis hin zum Erlernen von Sicherheitsstrategien. Die Vielfalt an Motivationen, warum sich Menschen, und vor allem Frauen für True Crime interessieren, ist groß. Die Untersuchung der Uni Graz liefert erste Erkenntnisse, dennoch brauche es laut Perchtold-Stefan weitere Studien auf dem Gebiet.

Letztendlich gibt uns die Forschung der Uni Graz aber einen Einblick in unsere Gesellschaft und darin vorherrschende Ängste, die möglicherweise erst dazu führen, dass sich unter True-Crime-Fans so viele Frauen finden.

True Crime aus dem MDR

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Dr. Corinna Perchtold-Stefan führt aktuell eine Studie zum Thema True Crime an der Universität Graz durch. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Foto: Corinna Perchtold-Stefan
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