Ein Demonstrant hält ein Pappschild „noAfD“ in die Höhe.
Am Wochenende sind erneut Proteste gegen Rechtsextemismus angekündigt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jan Woitas

Nach Enthüllung über die AfD Mitteldeutschland erwartet Protestwelle

19. Januar 2024, 18:43 Uhr

Nach Bekanntwerden eines Treffens von Rechtsextremen mit Politikern von AfD und CDU formiert sich breiter Widerstand. Auch in Mitteldeutschland wurden zahlreiche Demonstrationen angemeldet – unter anderem in Erfurt, Jena, Gera, Leipzig, Chemnitz, Dresden und Magdeburg.

Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus reißen nicht ab und gehen auch am Wochenende vielerorts weiter. In Thüringen wird es ab Freitag Demonstrationen in Jena, Erfurt (Sonnabend) und Gera (Sonntag) geben. Auch in Halle und Magdeburg sind Proteste für Sonnabend gemeldet. Für Sachsen sind am Sonntag unter anderem Demonstrationen in Chemnitz, Dresden, Leipzig, Görlitz, Meißen, Pirna, Radeberg und Torgau gemeldet. Zahlreiche Institutionen, Vereine oder Initiativen haben sich zu Protestbündnissen zusammengeschlossen – darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Gewerkschaft Verdi, die Grüne Jugend Chemnitz, Fridays for Future Dresden, Klare Kante Görlitz und viele andere.

Deutschlandweit mehr als 100 Demonstrationen

Bereits in der vergangenen Woche demonstrierten Zehntausende in vielen deutschen Städten, unter anderem auch in Leipzig. "Im Moment erleben wir eine Protestwelle, die sich eher noch aufbaut, als dass sie nach den großen Demonstrationen der letzten Tage abflaut", erklärt der Protestforscher Alexander Leistner von der Universität Leipzig. Deutschlandweit seien über 100 Demonstrationen geplant. Das entfalte eine spürbare Dynamik in viele Richtungen. Es entstünden anlassbezogene Demonstrationen und auch konkrete Gegenproteste gegen flüchtlingsfeindliche Demonstrationen oder Auftritte von AfD-Politiker Björn Höcke.

Anti-AfD-Demo Leipzig
In diesem Jahr wird in Thüringen und Sachsen gewählt: Tausende Menschen gingen bereits nach den Enthüllungen über die AfD auf die Straße. Bildrechte: SPM-Gruppe

"Für die einen sind die Demonstrationen wie ein Weckruf, um aus einer Art Schockstarre aufzuwachen. Für andere wirkt es wie ein Aufbruch, auf den man gewartet hat, weil viele schon lang Engagierte vielleicht auch ein Gefühl der Resignation hatten in den letzten Monaten", erklärt Leistner der Uni Leipzig.

Ein Mann schaut in die Kamera
"Demonstrationen wie ein Weckruf": Protestforscher Alexander Leistner von der Uni Leipzig glaubt, sieht eine neue Dynamik der Proteste, die breite Gesellschaft erfasst. Bildrechte: Universität Leipzig/Swen Reichhold

Teilnehmerzahlen übertreffen Erwartung

Nach Einschätzung des Experten könnte nach den Enthüllungen über das Geheimtreffen von Rechtsextremen in Potsdam etwas ins Rollen gekommen sein. In Leipzig waren am Montagabend zwischen 7.000 und 10.000 Menschen auf die Straße gegangen. In Köln etwa waren am Dienstagabend ursprünglich 1.000 Demonstranten angemeldet – es kamen trotz schneidender Kälte geschätzte 30.000. Einer von ihnen war Hans Weiching, ein Mann mit weißem Schnäuzer und Fellkappe. Ob er schon häufiger demonstriert habe, wurde er von einem Fernsehteam gefragt. "Nee, zum ersten Mal." Warum gerade jetzt? Antwort: "Ist doch klar. Wir sind hier in der Nazizeit angelandet."

Am Freitag musste dann in Hamburg eine Demo aus Sicherheitsgrünen abgebrochen werden, weil zu viele Menschen gekommen waren: Laut Veranstaltern beteiligten sich statt der 10.000 erwarteten, zwischen 80.000 und 100.000 Menschen an dem Protest. Zwischenfälle hatte es auf der Demo trotz der vielen Teilnehmer nicht gegeben.

Zahlreiche Teilnehmer leuchten mit den Taschenlampen ihrer Handys während einer Demonstration vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Viele tausend Menschen demonstrierten am Montagabend in Leipzig gegen die AfD. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jan Woitas

Udo Lindenberg und BAP-Sänger Wolfgang Niedecken rufen zur Teilnahme auf

Nicht nur Prominente wie Panikrocker Udo Lindenberg, BAP-Sänger Wolfgang Niedecken und Schauspieler Matthias Brandt rufen zur Teilnahme auf, auch viele Bundesliga-Clubs wollen Flagge zeigen. "Nie wieder ist jetzt! Kommt alle rum", schreibt der FSV Mainz 05. Es sei fünf vor zwölf, warnt Christian Streich, Trainer des FC Freiburg, und von seinem Leipziger Kollegen Marco Rose kommt die Mahnung: "Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass man gegen Dummheit und Rechtsextremismus in jeder Form aufsteht."

Udo Lindenberg steht vor einem Bild des Brandenburger Tores.
Udo Lindenberg ruft zur Teilnahme an den Protesten gegen die AfD auf. Auch viele Bundesliga-Clubs zeigen Flagge. Bildrechte: IMAGO / Bernd Elmenthaler

Breite Bündnisse in der Gesellschaft

Laut Protestforscher Leistner entstehen derzeit überall breite Bündnisse mit Akteuren aus vielen Ecken der Gesellschaft. In Thüringen etwa sei das das Bündnis "Weltoffenes Thüringen“ ein weitgefächerter Zusammenschluss von Unternehmen, Religionsgemeinschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Vereinen, Kultur- und Bildungseinrichtungen. "Mit Blick auf die politische Kultur ist die interessante Frage, ob dieser Aufbruchsimpuls auch in den kleinstädtisch-ländlichen Räumen Ostdeutschlands Wirkung entfaltet", sagt Leistner. "Denn über die Stärke der AfD wird nicht in Leipzig oder Köln entschieden, sondern dort." Dazu bräuchte es mittelfristig Initiativen und Bestärkung etwa durch Städtepartnerschaften oder Patenschaften zwischen Vereinen, Kirchgemeinden und Kultureinrichtungen aus Ost und West sowie aus Groß- und Kleinstädten.

Über die Stärke der AfD wird nicht in Leipzig oder Köln entschieden, sondern in den kleinstädtisch-ländlichen Räumen Ostdeutschlands.

Alexander Leistner Protestforscher Universität Leipzig

Verfassungsschutz: AfD in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt "gesichert rechtsextrem"

Verfassungsschützer stufen die AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt schon länger als "gesichert rechtsextrem" ein. "Ich denke, dass sich die Leute in den letzten Jahren fast daran gewöhnt hatten, dass die AfD Teil des politischen Spektrums geworden ist", sagt Katja Hoyer, Historikerin am King's College in London und Autorin des viel diskutierten Buches "Diesseits der Mauer - Eine neue Geschichte der DDR".

Historikerin Hoyer: Geheimtreffen hatte Schockwirkung

Der Umschwung sei durch die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremisten am 25. November, an dem AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen hatten, gekommen. "Wenn man jetzt eben die Details dieses Treffens nachliest, dann hat das eine Schockwirkung", sagte Hoyer. "Da denkt man unwillkürlich an den eigenen Freund, Kollegen, Nachbarn, der nach diesen Plänen auf irgendwelchen Deportationslisten landen würde."

Pläne über "Remigration" – auch von deutschen Staatsbürgern

Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte bei dem Treffen nach eigenen Angaben über "Remigration" gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang. Konkret soll die Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte nach Afrika besprochen worden sein. "Das setzt in der deutschen Seele Urängste frei", sagt Hoyer. "Das rüttelt auf. Und so erkläre ich mir den großen Zulauf zu den Demonstrationen."

Hoyer: Demokratische Parteien müssen Antworten liefern

Für Historikerin Hoyer bergen die Demonstrationen aber auch die Gefahr, dass sie die demokratischen Parteien in dem Glauben bestärken, keine inhaltlichen Antworten auf die AfD geben zu müssen. Nach dem Motto: "Das sind sowieso alles widerliche Leute - die sollte man einfach nicht wählen!" Sie findet es wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass der Aufschwung der AfD in den Umfragen ein relativ neues Phänomen ist. Dementsprechend könnten die Anhänger kaum alle demokratieunfähige Extremisten sein. "Auffällig ist doch, dass die Unterstützung für die AfD sogar in der Corona-Krise trotz aller Verwerfungen abgebröckelt ist und jetzt aber eben viele sagen: "Was da in der Mitte angeboten wird, funktioniert für mich nicht mehr."

MDR (tomi)/dpa/Uni Leipzig

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 21. Januar 2024 | 09:05 Uhr

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