Flughafen Leipzig/Halle Ausbau Flughafen: Reicht der Lärm-Schutz für die Anwohner?

18. September 2022, 05:00 Uhr

Am Flughafen Leipzig/Halle gibt es kein Nachtflugverbot für Fracht. Das hat entscheidend mit dafür gesorgt, dass immer mehr Flugzeuge dort starten und landen. Pro Nacht aktuell über 60 – und in Zukunft sollen es noch mehr werden. Für die Wirtschaft in Sachsen und Sachsen-Anhalt eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Doch was macht das mit den Menschen, die rund um den Flughafen leben. Wird für ihren Schutz gegen den zunehmenden Lärm genug getan?

Es ist dunkel und ruhig. Dann erscheinen ein paar Scheinwerfer am schwarzen Himmel. Sie werden größer, heller und ein Brausen erhebt sich. Dann saust ein gelb-rotes Flugzeug über die Dächer in Döllnitz im Süden von Halle/Saale hinweg – mit 68 Dezibel und einem lauten Pfeifen hinter. So hat es die Messung eines MDR-Reporters ergeben. Die Anwohner des Flughafens Halle/Leipzig haben mit ähnlichem Lärm jede Nacht zu kämpfen – 65 Mal. So häufig starten und landen die Flieger dort zwischen 22 und 6 Uhr. Und es sollen noch deutlich mehr werden, denn immer mehr Waren werden über das DHL-Drehkreuz und den Flughafen verschickt. 

DHL hatte 2008 sein Drehkreuz an den Flughafen Leipzig/Halle verlegt. Zu diesem Zeitpunkt war die Arbeitslosigkeit in der Region enorm – und so viele Arbeitskräfte vorhanden. Hinzu kam ein weiterer wichtiger Faktor: Die Erlaubnis nachts zu fliegen. Die ist für DHL und sie Expressfracht essentiell. Nur so können Waren an einem Tag bestellt und am nächsten geliefert werden.

DHL beschäftigt immer mehr Menschen am Drehkreuz

Inzwischen beschäftigt das DHL-Drehkreuz 6.000 Menschen. Dazu kommen rund 120 weitere Firmen, die direkt am Flughafen angesiedelt sind. Das dürfte in Zukunft noch mehr werden: Die Frachtbranche wächst seit Jahren – auch Corona hat dazu beigetragen. DHL braucht mehr Platz und will von 60 auf etwa 100 Stellplätze für Flugzeuge erweitern. Die Flughafengesellschaft Mitteldeutsche Flughafen AG will 500 Millionen Euro in den Ausbau des Drehkreuzes investieren und Sachsen und Sachsen-Anhalt wollen, dass sich dort noch mehr Firmen ansiedeln. Gemeinsam wollen sie die Airport Region in Central Germany ausrufen. 

Ein Flughafen, egal wie er genutzt wird, ist eine Belastung auch für Anwohnerinnen und Anwohner: Flug, Dreck, Lärm.

Martin Dulig Wirtschaftsminister

"Ich stehe für einen 24-7-Flughafen, weil er der Grund dafür ist, dass wir ihn so wirtschaftlich gut nutzen können", sagte der Wirtschaftsminister von Sachsen, Martin Dulig (SPD) im März dieses Jahres über den geplanten Ausbau. Das ist die eine Seite. Die andere: "Man muss ja nicht drum rumreden: Ein Flughafen, egal wie er genutzt wird, ist eine Belastung auch für Anwohnerinnen und Anwohner: Flug, Dreck, Lärm", so Dulig weiter. Deshalb müsse es auch eine Bestrebung sein, diese Belastungen zu reduzieren. "Das muss man nicht nur ernst nehmen, das muss Teil unserer Strategie sein."

17 Städte und Gemeinden vom Ausbau betroffen

Das wirtschaftliche Wachstum des Flughafens ist also wichtig für eine ganze Region und darüber hinaus. Gleichzeitig sind dabei zahlreiche Menschen in der Region vom Fluglärm betroffen: In Stadtteilen von Halle und Leipzig, in Delitzsch oder Eilenburg: Insgesamt sind es 17 Städte und Gemeinden.

Es sind Menschen wie Isabell und ihr Mann, die der Ausbau belastet. Sie wohnen bereits seit ihrer Kindheit in Schkeuditz – das ist der Vorort nördlich von Leipzig, in dem der Flughafen liegt. Im Jahr 2000 haben sie dort ein Haus gebaut. Da war der Flughafen noch ohne internationale Bedeutung und für sie auch kein Problem. Inzwischen ist der Airport Deutschlands zweitgrößter Frachtflughafen nach Frankfurt am Main und das viertgrößte Luftfracht-Drehkreuz Europas.

Dass das mal so wird, konnte laut Isabell auch niemand ahnen. Der aktuell geplante Ausbau macht ihr Angst: "Ich habe eher Sorge. Also unseren Kindern haben wir eigentlich gesagt: Ne, es hat keine Perspektive, hier zu bleiben." Doch für sie und ihren Mann sei das nicht so leicht – einfach gehen, nach einem Leben in diesem Ort und einem selbstgebauten Haus. Immerhin: In ihrem Haus sind auch Schallschutzfenster verbaut – auf Kosten des Flughafens.

Die sind aber nur in den Schlafzimmern verbaut "und diese Lüfter", sagt Isabell und zeigt auf einen kleinen weißen Kasten, der in die Außenwand eines Zimmers eingelassen ist. "Also das ist keine Klimaanlage, sondern nur eine Belüftung. Der zieht im besten Fall kerosinhaltige Luft an." Doch das nütze im Sommer wenig, wenn die Hitze im Haus stehe und zur Kühlung nur ein Fenster geöffnet werden kann. Dann ist wieder jedes startende und landende Flugzeug in voller Lautstärke zu hören. Hinzu kommt, dass der Lärm auch tagsüber in den anderen Räumen und im Garten zu hören ist – und auch die Schutzfenster nur einen Teil des Lärms dämmen können.

Experte: Luftfracht ist systemrelevant

"Der Lärm gemessen in Dauerschallpegel – in Durchschnittsbelastung – ist auch in den letzten Jahren, denke ich, eher gestiegen", sagt der Journalist und Luftverkehrsexperte Heinrich Großbongard. "Was weniger geworden ist, sind natürlich die Spitzenlärmereignisse, weil DHL und ihre Zuliefererairlines heftig in modernes Fluggerät investiert haben." Zudem sei die wirtschaftliche Bedeutung des Flughafens enorm. "Wir haben in der Pandemie gesehen: Luftfracht ist systemrelevant. Sprich: Für eine moderne Volkswirtschaft, wie wir sie in Deutschland haben, für ein Wohlstandsniveau, wie wir es haben, kommen wir ohne Luftfracht nicht aus."

Fakt ist aber auch: Laut Prognosen wird der Anteil schwerer, lauterer Flugzeuge bis 2032 durch den Ausbau um 19 Prozent steigen. Hinzu kommt, dass insgesamt mehr Flieger fliegen werden. "Wir als Flughafen arbeiten Zurzeit auch, unter anderem, an einer neuen Endgeldordnung, die auch lautere Flugzeuge teurer machen wird, lapidar gesprochen", sagt der Pressesprecher der Mitteldeutschen Flughafen AG, Uwe Schuhart. "Es gibt also emissionsabhängige Komponenten, es wird eine Nachtkomponente geben. Es geht um das Thema Gewicht der Flugzeuge, weil größer ist meistens auch lauter."

Diese Mehrkosten für laute Flieger hat es bisher in Leipzig nicht gegeben – an einigen anderen Flughäfen ist das Standard. Hinzu kommt, das Fliegen in Leipzig im Verhältnis bisher extrem billig war. Das soll sich ändern. Wie die neue Kostenstruktur konkret aussieht, ist nicht öffentlich. Auf Anfrage wird MDR exactly mitgeteilt, dass sie erst nach Prüfung veröffentlicht werden kann. Zur Info: Das Land Sachsen, dass die neue Kostenstruktur genehmigen muss, ist gleichzeitig Hauptanteilseigner der Mitteldeutschen Flughafen AG. Antragsteller und Prüfer sitzen also im selben Boot.

Für die Anwohner: Fracht auf das Notwendigste in der Nacht reduzieren?

Es ist einiges an Entlastungen angedacht: Doch reicht das für die Anwohner, um die immensen Folgen des Ausbaus zu kompensieren? "Menschen, die um einen solchen großen Flughafen leben, die haben leider Pech gehabt", sagt Luftverkehrsexperte Heinrich Großbongard. Doch so ergehe es auch Menschen, die neben einer wichtigen Bahnstrecke leben. Auch dieser Lärm könne nicht vollständig abgeschirmt werden. "Deshalb ist es letztendlich eine politische Entscheidung, eine politische Auseinandersetzung und keine, die man wirklich technisch, rational entscheiden kann."

Wenn die Anwohnerin Isabell in dieser Diskussion einen Wunsch frei hätte, würde sie sich wünschen, die "Fracht auf das Notwendigste in der Nacht zu reduzieren". Es solle darum gehen, zu definieren, was ist wirklich Expressgut. Aus ihrer Sicht müsse nicht jede Jeans via Amazon Prime über Nacht an die Tür des Kunden gelangen. "Dass man da Unterscheidungen trifft: Was ist essentiell." Sie denke dabei an Medikamente oder ähnliches. Alles andere könnte auch – so wie früher – mal zwei oder drei Tage unterwegs sein.

Quelle: MDR exactly/ mpö

Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR exactly | 12. September 2022 | 17:00 Uhr

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