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Neue Studie sieht Demokratie durch zunehmenden Hass im Internet bedroht. Bildrechte: IMAGO/Westend61

Frauenhass, Rassismus, Queerfeindlichkeit Hass im Netz bedroht Demokratie in Deutschland

16. März 2024, 07:16 Uhr

Hass im Netz kann den demokratischen Diskurs bedrohen, schreiben die Macherinnen und Macher der Studie "Lauter Hass – leiser Rückzug". Mit Beleidigungen oder Nacktbildern werden besonders Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und queere Menschen angegriffen.

Nastassja von der Weiden
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Wer in sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram, X oder Tiktok in die Kommentarspalten klickt, selbst kommentiert oder Privatnachrichten von Fremden liest, kennt das Phänomen: Hass im Netz. Beleidigungen, Drohungen, Nacktbilder – die Formen sind vielfältig.

Die Studienmacherinnen und -macher von "Lauter Hass – leiser Rückzug" schreiben, dass 15 Prozent der von ihnen Befragten bereits selbst von Hass im Netz betroffen waren. Fast jede zweite Person wurde schon einmal online beleidigt, einem Viertel der Befragten wurde körperliche Gewalt angedroht. Der erlebte Hass beziehe sich dabei am häufigsten auf politische Ansichten, das Aussehen oder die körperliche und psychische Gesundheit. Befragt wurden 3.000 Internetnutzer ab 16 Jahren.

Was als Hass im Netz wahrgenommen wird, ist der Studie zufolge von der politischen Einstellung abhängig: Wer sich politisch (eher) links einordne, nehme Hass im Netz häufiger wahr als Personen, die eine andere politische Einstellung angeben.

Hass gegen Frauen, Geflüchtete und Politiker

Abwertende und entwürdigende Online-Kommentare oder Handlungen können zwar alle Menschen betreffen, die auf Portalen oder Foren aktiv sind, aber sie betreffen nicht alle Menschen gleich. Neben Politikerinnen, Politikern, Aktivistinnen und Aktivisten richte sich der Hass besonders gegen diskriminierte Gruppen, gaben die Befragten an.

In ihrer Wahrnehmung seien Geflüchtete (58 Prozent), Menschen mit Migrationshintergrund (52 Prozent), muslimische Menschen (45 Prozent), nicht-weiße Menschen (36 Prozent), Frauen (35 Prozent), jüdische Menschen (31 Prozent) oder Sinti und Roma (25 Prozent) häufig Ziel aggressiver oder abwertender Aussagen.

44 Prozent der Befragten gaben an, Hass gegen queere Menschen (lesbische, schwule, bisexuelle, trans oder inter Personen) wahrzunehmen. Diese Zahlen zeigten die öffentlich wahrgenommene Betroffenheit, meist in aktuellen Diskussionen, erklären die Studienmacher. Die tatsächliche Betroffenheit könne hieraus nicht abgelesen werden, denn Hass finde auch im privaten Teil sozialer Medien statt.

Fast jede zweite junge Frau hat schon ungefragt ein Nacktfoto erhalten und jede fünfte wurde sexuell im Internet belästigt.

Studie "Lauter Hass – leiser Rückzug"

Vor allem in Privatnachrichten ausgeführte Belästigung von Frauen, ebenfalls eine Form von Hass im Netz, fällt hierunter: Fast jede zweite Frau hat laut der Studie schon ungefragt ein Nacktfoto erhalten und jede fünfte wurde sexuell im Internet belästigt.

Demokratischer Diskurs bedroht

Das Phänomen von Mobbing und Hass im Internet gibt es seit etlichen Jahren. Aber die Auswüchse nehmen nach Aussage der Studienmacher immer mehr zu, auch in der Wahrnehmung der Internetnutzer. Vor allem während der Corona-Pandemie konnte demnach eine neue Dimension von mitunter orchestrierten Hasswellen im Internet beobachtet werden.

Und genau jener Hass, das Einkesseln und Beleidigen von Personen, führe dazu, dass sich bedrohte Nutzerinnen und Nutzer nicht mehr in Diskussionen einbrächten. Oft verließen sie die Plattformen: 24 Prozent aller Befragten gaben an, ihr Profil im Zusammenhang mit Hass im Netz nicht mehr benutzt, deaktiviert oder gar gelöscht zu haben. Unter den von Hass im Netz Betroffenen sind es mit 46 Prozent fast doppelt so viele.

Hass im Netz führt zum Rückzug aus demokratischen Diskursen.

Studie "Lauter Hass – leiser Rückzug"

Die Forscherinnen und Forscher schreiben, werde hier berücksichtigt, dass Erfahrungen von Hass im Netz nicht alle gleich treffe, sondern vor allem Frauen sowie diskriminierte und marginalisierte Gruppen, werde deutlich, dass gerade die Stimmen verstummten, die vielfältige Perspektiven in unseren demokratischen Diskurs brächten.

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass alle Internetnutzer, also auch diejenigen, die nicht direkt betroffen sind, sich vor allem darum sorgen, dass durch Hass im Netz auch Gewalt im Alltag zunimmt. Drei von vier Befragten stimmten hier zu. Der Mord an Walter Lübcke oder die antisemitischen und rassistischen Mordanschläge von Halle und Hanau sind Beispiele dafür.

Verantwortung der Plattformen

Eine Frage beim Umgang mit Hass und Hetze im Netz lautet: Was kann man dagegen tun? Welche Möglichkeiten, außer dem eigenen Rückzug, gibt es für die User? Und wie groß ist die Aussicht auf Erfolg? Auf den Plattformen selbst gibt es Maßnahmen, die ergriffen werden können.

Das Melden von Profilen und Seiten, die Hass verbreiten, wird von gut der Hälfte der Befragten (die schon von Hass im Netz betroffen waren) zum Beispiel bei Facebook, Instagram und TikTok als einfach empfunden und genutzt. Außerhalb der Plattformen, zum Beispiel bei der Polizei, würden aber nach ihrer Empfindung kaum Maßnahmen ergriffen.

Am häufigsten reagierten die Internetnutzer mit Blockieren oder Stummschalten derjenigen, die Hass verbreiteten (46 Prozent). Unter denjenigen, die selbst schon von Hass im Netz betroffen waren, sind es sogar 82 Prozent. Etwa jeder Dritte liest nur noch die Inhalte der Beiträge, aber keine Kommentare mehr auf den Plattformen.

Löschen als legitimes Mittel

Grundsätzlich sind die Befragten der Ansicht, dass Hass im Netz gelöscht werden soll, wenn dieser gegen Gesetze verstößt. 90 Prozent stimmen dieser Aussage zu – über alle politischen Lager hinweg.

Aber: Die Aussage "Durch manche Hassbotschaften wird endlich mal gesagt, was gesagt werden muss" wird unter allen Befragten mit deutlicher Mehrheit (71 bis 88 Prozent) abgelehnt, lediglich Befragte mit Wahlabsicht AfD stimmten hier mit 47 Prozent dieser Aussage zu.

Forderungen an Politik und Justiz

Plattformbetreiber sollen nach Ansicht der Studienbeteiligten konkret zur Übernahme der Verantwortung, was auf den Plattformen geschieht, verpflichtet werden. Und Polizei und Justiz sollten nicht nur für Hass im Netz und die Auswirkungen sensibilisiert werden, sondern auch für die konsequente Durchsetzung bereits bestehender Gesetze sorgen.

Denn Betroffene von Hass im Netz brauchten Unterstützung. Zum Beispiel in Form von Zugang zu juristischer Beratung und die Möglichkeit, ohne großes finanzielles Risiko gegen die Täter zu klagen.

Die Verbreitung von Hass und das Verdrängen von vielfältigen, progressiven Stimmen sei im Hinblick auf die anstehenden Wahlkämpfe in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Jahr 2024 gefährlich, mahnen die Autoren.


Lauter Hass – leiser Rückzug Die repräsentative Studie "Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht." ist die in Deutschland seit 2019 umfangreichste Untersuchung zu Wahrnehmung, Betroffenheit und Folgen von Hass im Netz. Befragt wurden mehr als 3.000 Internetnutzerinnen und -nutzer ab 16 Jahren.

Die Studie wurde von Das NETTZ, der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK), HateAid und den Neuen deutschen Medienmacher*innen im Rahmen des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz durchgeführt.

Porträt von Maik Fielitz 27 min
Maik Fielitz von der Bundesarbeitsgemeinschaft "Gegen Hass im Netz" spricht im Interview über die politische Bedeutung von Memes. Bildrechte: DAS NETTZ | Jörg Farys

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 13. Februar 2024 | 10:30 Uhr

121 Kommentare

astrodon vor 10 Wochen

@Chris: Zumindest war Ihr ursprünglicher Text nicht konform mit der Nettiquette, die in diesem Forum nunmal Grundlage der Diskussion ist. Im Kontext des Themas ist es nicht abwegig, bei einem nich veröffentlichten Beitrag auf diese Vermutung zu kommen.

astrodon vor 10 Wochen

@Beobachter: Ich fürchte, @DanielSBK ist da nicht so kritisch.
Er wählt halt die Partei, von der er sich erhofft, sie könne "seine persönlichen Interessen am ehesten vertreten." Konjunktiv halt.
Imperativ eher nicht.

astrodon vor 10 Wochen

@Brigitte: Au contraire, mon cher! Sie haben eben nicht Recht, denn diese Bevölkerungsgruppe war und ist nicht von Hetze betroffen - und schon gar nicht von Hass.
Zu behaupten, deren Verhalten sei wissenschaftlich unbelegt und hochgradig unsolidarisch bis hin zur Antisozialität ist weder das eine noch das andere. Allerdings macht sich eine Opferrolle immer gut.

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