Ein kleines Mädchen spielt alleine mit ihrer Puppe im Innenhof eines Plattenbaus
Kinderarmut verursacht langfristig hohe Kosten für den Staat. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance / dpa

Studie Kinderarmut kostet Staat und Gesellschaft langfristig viel Geld

18. August 2023, 19:11 Uhr

Kinder, die in Armut leben, kosten den Staat langfristig viel Geld – das hat eine Studie zur Kinderarmut ergeben. Das Risiko dieser Kinder, später gesundheitliche Probleme zu bekommen oder arbeitsunfähig zu werden ist demnach deutlich höher. Die Diakonie fordert deshalb, nicht an der Kindergrundsicherung zu sparen. Familienministerin Lisa Paus verhandelt dazu seit Monaten mit Finanzminister Christian Lindner.

Kinder, die von Armut betroffen sind, haben einer Studie zufolge ein höheres Risiko, gesundheitliche Probleme zu bekommen und arbeitsunfähig zu werden als Kinder aus ökonomisch starken Familien. Zu diesem Ergebnis kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Diakonie.

Allein die direkten und indirekten Kosten im Zusammenhang mit Adipositas, also krankhafter Fettleibigkeit, deren Risiko mit Kinderarmut steige, hätten 2016 bei jährlich mehr als 60 Milliarden Euro gelegen. Damit sorge Kinderarmut langfristig für höhere öffentliche Ausgaben für Gesundheitsversorgung sowie höhere Auszahlungen in den Sozialversicherungssystemen.

Diakonie: Kinderarmut langfristiger Kostenfaktor

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagte am Freitag bei der Präsentation der Studie, in der Diskussion über die Kindergrundsicherung dürften nicht nur die kurzfristigen Sparzwänge im Bundeshaushalt eine Rolle spielen. "Wir müssen auch über die mittel- und langfristigen Belastungen für Staat und Steuerzahler sprechen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn wir nicht frühzeitig in alle Kinder investieren".

Denn gesunde und gut ausgebildete Kinder hätten deutlich bessere Chancen, sich ein selbstständiges Leben mit höheren Einkommen und einer geringen Abhängigkeit von staatlichen Hilfen aufzubauen.

Debatte um Kindergrundsicherung

Den Angaben zufolge werden die Kosten der verfestigten Kinderarmut in Deutschland auf jährlich 110 bis 120 Milliarden Euro geschätzt. Das wäre das Zehnfache der von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) anfangs verlangten Summe für die Kindergrundsicherung von zwölf Milliarden Euro jährlich.

Zwischendurch hat Paus ihre Forderung auf einen Betrag von bis zu sieben Milliarden Euro reduziert. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Ausgaben bei zwei Milliarden Euro deckeln. Paus und Lindner verhandeln seit Monaten über einen Kompromiss.

Wie die Studie ergab, ist der Anteil armutsgefährdeter Kinder zwischen 2010 und 2021 von rund 18 auf knapp 21 Prozent gestiegen. Im Bevölkerungsdurchschnitt lag die Armutsquote bei etwas mehr als 16 Prozent. Rund zwei Millionen Kinder bundesweit beziehen aktuell Bürgergeld.

Gesetzesvorschlag von Paus bald in Abstimmung

Mittlerweile hat die Bundesfamilienministerin einen Gesetzentwurf für die Kindergrundsicherung fertiggestellt und geht von einem baldigen Kabinettsbeschluss aus. Sie sei "optimistisch, dass wir den Gesetzentwurf auch bald im Kabinett beschließen können, sobald wir die sachpolitische Debatte gemeinsam vorantreiben." Das sagte Paus am Freitag in Berlin. Der Entwurf werde demnächst in die Ressortabstimmung gehen.

Der Entwurf enthalte mehrere Besprechungsvarianten, sagte Paus. Zu den unterschiedlichen Varianten für die Kosten der Kindergrundsicherung wollte sich die Grünen-Politikerin am Freitag noch nicht äußern.

Das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) hat unterdessen den Ampel-Streit um die Finanzierung der Kindergrundsicherung scharf kritisiert. DIW-Präsident Marcel Fratzscher sagte MDR AKTUELL, die Bundesregierung müsse sich fragen, ob sie die richtigen Prioritäten setze.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 6 min
Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Fratzscher nannte es unsinnig und schädlich, geplante Entlastungen für Unternehmen und die Kindergrundsicherung gegeneinander auszuspielen. Fratzscher erklärte, es würde 20 bis 24 Milliarden Euro kosten, Kinderarmut in Deutschland zu eliminieren. Aber auch fünf Milliarden wären ein großer Schritt. Damit könne man eine halbe Million Kinder im Jahr aus der Armut ziehen.

dpa/epd (akq)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 18. August 2023 | 11:00 Uhr

88 Kommentare

THOMAS H vor 38 Wochen

Und in diesen Rahmenbedingungen, @astrodon, ist eben auch die Unterstützung der Menschen enthalten, die trotz Investierung von Zeit, Kraft und Nerven in die Arbeit, es nicht schaffen, für die eigene Zukunft (z. B. Rente), geschweige denn für die Zukunft der Kinder zu sorgen, sondern mit der staatlichen Unterstützung gerade so um die monatlichen Runden kommen.

Und das kann jeden treffen, auch wenn Sie, mit "... es geht, wenn man will.", der Meinung sind, daß das nicht passiert.

M. M. n. gehören auch Sie zu der Gruppe:

Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

astrodon vor 38 Wochen

@knarf: Ich habe leider keine Ahnung, wie man 2 Jahre arbeislos sein kann ... allerdings habe ich in unterschiedlichen Branchen bei diversen AG gearbeitet, teilweise Zeitarbeit, teilweise für einen unterirdischen Lohn ( lange vor dem heutigen Mindestlohn). Und die Anzahl derer, die so schwer erkranken, dass sie keiner Tätigkeit nachgehen können, ist sehr überschaubar. Ach ja, und natürlich habe ich schon lange eine BU-Versicherung :-)

astrodon vor 38 Wochen

@knarf: Nein, ich sehe aber wer in meinem Umfeld Flaschen sammelt - und das sind keine Rentner oder Obdachlose. Ich behaupte mitnichten, dass es keine Rentner gäbe, die auf diesen Zusatzverdienst angewiesen wären. Ich weiß aber, das es sich (für andere) zu einem einträglichen Geschäft entwickelt hat.

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