Das Cover des Buches"Möbel aus der Zukunft" mit zwei Känguruh-Stühlen in orange und grün. 4 min
Autor und Historiker Sascha Lange hat über die Ost-West-Geschichte der Kunststoff-Möbel geschrieben. Bildrechte: Links Verlag

Neues Sachbuch Wie Plastik in den Siebzigern das Möbeldesign in Ost und West revolutionierte

16. März 2024, 04:00 Uhr

Möbel aus Kunststoff wie das Garten-Ei oder der Känguruh-Stuhl waren mit ihrem außergewöhnlichen Design der Renner in den 70ern. Autor Sascha Lange aus Leipzig hat den Kunststoff-Ikonen sein neues Buch "Möbel aus der Zukunft" gewidmet. Und erzählt damit ein bislang weitgehend unerzähltes Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte.

Bunt, aus Plastik und vor allem futuristisch – so lässt sich das Möbeldesign aus den 60er- und 70er-Jahren umschreiben. Ob Beistelltische, Stühle oder Sessel, viele der damals entstandenen Möbelstücke passten optisch eher auf das Raumschiff Enterprise als in ein heimeliges Wohnzimmer. Diesen Möbeln aus dem sogenannten Space Age – dem Weltraumzeitalter – hat der Leipziger Autor Sascha Lange sein neues Buch "Möbel aus der Zukunft" gewidmet. Darin nimmt der promovierte Historiker, der sich bisher hauptsächlich mit Jugendkulturen, DDR-Geschichte und der britischen Band Depeche Mode befasste, die Leserinnen und Leser mit auf eine Zeitreise zurück in die Zukunft.

Polyurethan – das Material der Siebziger

Im Mittelpunkt steht ein ganz besonderer Kunststoff, der damals im Westen wie im Osten für Interesse sorgte. Denn was all diesen Möbeln zugrunde liege, ist ihr Material: der Kunststoff Polyurethan, wie Lange erzählt: "Möbel aus Polyurethan haben eine Besonderheit. Das ist sozusagen ein Hartschaum, der in Form gepresst wird. Dadurch entstehen diese teilweise sehr exotischen Formen. Und dann muss er aber noch lackiert werden. Das heißt, dass es noch eine zusätzliche Farbschicht gibt und deswegen diese Möbel dickwandiger sind." Dennoch seien sie sehr leicht und durch einen guten Lack auch über Jahrzehnte geradezu unverwüstlich.

Panton-Chair
Der Panton-Chair von Verner Panton war das erste Möbelstück aus Polyurethan. Bildrechte: IMAGO / Arcaid Images

Neue Designs durch neue Möglichkeiten

Die neuen Möglichkeiten weckten die Experimentierfreudigkeit vieler Designer. Wie auch beim dänischen Designer Verner Panton, dessen Panton-Chair im Jahr 1968 das erste Möbelstück aus Polyurethan auf dem Markt war. Der markant geschwungene Stuhl verkörperte Pop-Art und Space Age. Es dauerte nicht lange, bis das New Yorker Museum of Modern Art ihn als "eines der Musterbeispiele modernen Designs" ausstellte.

Durch diese außergewöhnliche, organische, fließende Form sei der Stuhl damals sofort in aller Munde gewesen und habe viel Aufmerksamkeit erregt, sagt Lange. "Es gab auch eine große Pressekampagne dazu. Und deswegen gab es dann auch immer mehr Hersteller, die sich Ende der 60er-Jahre mit Polyurethan-Möbeln beschäftigten." Den eigentlichen Durchbruch aber habe eine kleine Firma aus der Nähe von Stuttgart bei Rudersberg geschafft: die Firma Horn, die eine ganze Möbel-Kollektion auf den Markt brachte. Mit der sogenannten Horn-Kollektion hat Lange zufolge vieles seinen Anfang genommen, was Polyurethan-Möbel betrifft – auch was die Entwicklung in der DDR angeht.

Plastik-Ikonen: Känguruh-Stuhl und Garten-Ei

Eines der Möbelstücke aus dieser Kollektion war der Känguruh-Stuhl, der heute unter dem Namen Z-Stuhl in Chemnitz wieder produziert wird. Wegen seiner charakteristischen Silhouette wird der Freischwinger auch gern als "Hockender Mann" bezeichnet. Der bunte Plastikstuhl mit den kufenförmigen Füßen wurde von Ernst Moeckl im Westen entworfen, später aber in Lizenz auch in der DDR produziert.

Ähnlich war es beim Garten-Ei, einem aufklappbaren ovalen Garten-Sessel aus Polyurethan mit Innenpolster. Entworfen wurde dieser von Peter Ghyczy im niedersächsischen Lemförde. Seine Idee: Im Falle eines Regengusses konnte der Sessel zugeklappt werden und die Polsterauflagen blieben trocken. Das außergewöhnliche und knallbunte Design, das an eine futuristische Muschel erinnert, wurde später zum Kultobjekt.

Sitzei - rotes, eiförbiges Gebilde aus Plastik, mit geöffneter Klappe die als Lehne dient
Das Gartenei – ein futuristischer Gartensessel war nicht nur in den Siebzigern ein Hingucker. Bildrechte: imago/HRSchulz

Riesige Polyurethan-Anlagen in der DDR

Während im Westen an den Designs getüftelt wurde, hatte man auch in der DDR Interesse an dem neuen Kunststoff, wollte ihn im großen Stil herstellen und Konsumgüter fertigen. So entstanden in den Siebzigern riesige Polyurethan-Anlagen in Schwedt und Schwarzheide, die unter anderem in Lizenz diese West-Möbel produzierten. Während der Känguruh-Stuhl auch in der DDR vor allem in Freibädern, Eisdielen oder FDGB-Ferienheimen seinen Platz fand, wurde das Garten-Ei zwar im Osten produziert, der Großteil jedoch in Westdeutschland abgesetzt. 

Gegen Fehlinformationen auf dem Vintage-Möbelmarkt

Es ist ein bisher weitgehend unerzähltes Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte, das Autor Lange unterhaltsam wie wissenschaftlich genau schildert. Dabei setzt er nicht nur auf einzelne Kultobjekte, sondern führt zahlreiche Möbel dieser Zeit inklusive Designer und Hersteller auf. Damit will er gegen die vielen Fehlinformationen vorgehen, die auf dem Vintage-Möbelmarkt im Netz kursieren würden. "Es ist so, dass diese Polyurethan-Möbel noch in großen Mengen auf dem Vintage-Möbelmarkt erhältlich sind, sehr viele Anbieter, die über das Internet verkaufen, aber die Designer falsch zuordnen." Viele würden denken, wenn sie den Designer zu einem Möbelstück nennen, finde der potenzielle Käufer das Möbelstück interessanter.

Zwei Plastikstühle (ein Känguruh-Stuhl und ein Z-Stuhl) in Anthrzit und Gelb
Kunststoffstühle wie den Känguruh-Stuhl (r.) gibt es noch zahlreich auf dem Vintage-Möbelmarkt. In Chemnitz wird er zudem unter dem Namen Z-Stuhl (l.) wieder neu aufgelegt. Bildrechte: MDR/Cornelia Winkler

Wohnzeitschriften als Recherche-Grundlage

Um die Details korrekt erzählen zu können, hat er lange recherchiert, denn die Quellenlage war bisher eher dürftig. Rund drei Jahre hat Lange an dem neuen Buch gearbeitet. Den Anfang genommen habe alles mit ein paar alten Ausgaben von Wohnzeitschriften wie der "Schöner Wohnen" oder der "Kultur im Heim", so Lange.

"Und dann wurde das zu einer Marotte, und ich habe die jahrgangsweise bestellt. Und was ich dann feststellen musste, dass da gar nicht so viel über diese Möbel drinstand. Da musste ich dann tiefer hinabsteigen in Fachzeitschriften, von denen ich zuvor noch nie was gehört hatte." Vieles seien letztendlich auch Zufallsfunde gewesen. Auch die Bestände in der Deutschen Nationalbibliothek habe er durchsucht. Zudem habe er das Glück gehabt, mit noch lebenden Zeitzeugen sprechen zu können.

Sascha Lange
Sascha Lange ist Autor und Historiker und betreibt zudem einen Vintage-Möbelladen in Leipzig. Bildrechte: MDR / Gert Modes

Am Ende sei es ein riesengroßes Puzzle gewesen. Das hat der Autor gekonnt auf rund 200 Seiten zusammengesetzt – und dazu reich bebildert mit historischen Fotos und Möbelanzeigen.

Angaben zum Buch

Sascha Lange: "Möbel aus der Zukunft. Eine deutsch-deutsche Geschichte"
Verlag: Ch. Links Verlag
208 Seiten
Preis: 30 Euro
ISBN: 9783962891848

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 18. März 2024 | 08:40 Uhr

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