Fahrradstraße mit Sicherheitstrennstreifen und Grünelementen.
Mehr sichere Radwege führen dazu, dass mehr Menschen mit dem Fahrrad fahren. Bildrechte: imago images/A. Friedrichs

Interview | Verkehrsingenieur Fahrradwege müssen sicher, durchgängig und schnell sein

11. Mai 2023, 08:21 Uhr

Kopenhagen ist Europas Fahrradhauptstadt. Der Grund, das Rad zu nehmen ist für Radfahrer dort aber nicht die Umwelt oder die eigene Gesundheit, sondern dass es schnell und sicher geht. Für solche attraktive Verkehrswege für Radfahrer auf Kurzstrecken spricht sich auch Verkehrsingenieur Torsten Perner im Interview aus, denn aktuell nutzen Autos deutlich mehr Platz als ihnen auf den Straßen zusteht. Das führt zu Stau und Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer.

MDR AKTUELL: Was sind die großen Zukunftsthemen bei Thema Fahrradverkehr?

Torsten Perner: Das größte Thema ist, dass alle sicher fahren können. Und wenn sie in deutschen Städte schauen, ist es eben so, dass jeder von acht bis 108 Jahren dort sicher fahren können muss. Eine sichere Infrastruktur für alle – das ist das Hauptthema.

Fahrradfahrer brauchen sichere Wege ohne Lücken

Wie kann man das umsetzen?

Mit einer Struktur ohne Lücken: Das heißt, dass ich in der Stadt von A nach B fahren kann, ohne dass ich groß nachdenken muss. Ich kann alle Orte – meine Schule, mein Arbeitsplatz, die Uni, Einkaufsmöglichkeiten – sicher erreichen, ohne dass ich auf irgendwelchen großen Straßen fahren muss, auf denen ich mich nicht sicher fühle.

Die Straßen sind ja nun mal da, wo sie sind. Wir können nicht die Städte neu bauen. Wie schaffen wir es in der bestehenden Infrastruktur, das Radwegenetz sicherer zu machen?

Zum einen kann man den Radverkehr auf ruhige Straßen führen, was wir in Deutschland über längere Zeit auch schon ein bisschen gemacht haben. Das geht, aber das hat auch irgendwo Grenzen, denn Radfahrende wollen auch schnell von A nach B kommen und deswegen wollen sie auch auf den Hauptverkehrsstraßen fahren. Das ist auch die Erfahrung, die wir in Kopenhagen gemacht haben.

Der Autoverkehr hat heute viel mehr Platz als ihm eigentlich zusteht. Er hat in Städten wie Leipzig 25 bis 40 Prozent des Verkehrsaufkommens aber 60 bis 70 Prozent der Fläche.

Torsten Perner, Verkehrsingenieur

Und das geht nur durch eine Umverteilung: Das heißt, Fahrspuren, die der Autoverkehr hat, umzuwandeln in Fahrradspuren. Der Autoverkehr hat heute viel mehr Platz als ihm eigentlich zusteht. Er hat in Städten wie Leipzig 25 bis 40 Prozent des Verkehrsaufkommens aber 60 bis 70 Prozent der Fläche. Und der Radverkehr hat viel zu wenig Platz und braucht einfach mehr Fläche. Damit können wir dann auch viel mehr Verkehr leisten, weil der Radverkehr viel mehr Verkehr auf der gleichen Fläche abbringen kann. Die Diskussion müssen wir führen.

Auf Radwegen ist drei Mal so viel Verkehr möglich wie auf Autospuren

Jetzt wohnen wir in Deutschland und nicht in Dänemark, ich kann mir also die Debatten vorstellen, wenn man einen Radstreifen baut und dafür eine Autospur wegnimmt. Wie wollen Sie die Autofahrer überzeugen?

Es geht um Angebote. Wir haben in Deutschland einfach noch kein gutes Angebot. Und auch in Dänemark haben wir diese Diskussion geführt. Nur halt schon vor 50 Jahren – man hat das mit der Ölkrise gleich genutzt und hat umgestaltet. Und die Physik ist nicht anders in Dänemark als in Deutschland: Das heißt auf einer Fahrradspur kriegen Sie dreieinhalbtausend Menschen pro Stunde lang, mit dem Auto aber nur tausend.

Und das ist der Grund, warum es etwa in Kopenhagen weniger Stau gibt als in deutschen Städten.

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Bildrechte: MDR/Jessica Brautzsch

Umstieg aufs Rad: Sichere Angebote statt Umwelt-Appelle

Wie ist das mit den Deutschen: Wie können sich Autofahrer umgewöhnen?

Sie müssen sich nicht umgewöhnen, sie müssen ja erstmal die Angebote spüren. Wenn es keine Angebote gibt, kann ich nicht sagen, "Bitte fahr mal mit dem Fahrrad, weil es schön ist, oder weil es umweltfreundlich ist". Das ist der Hauptpunkt in der Diskussion, der anders ist in Dänemark als in Deutschland. In Deutschland antworten die Leute auf die Frage warum sie mit dem Rad fahren, "es ist gut für die Umwelt, es ist gesund" – das sagt in Dänemark kein Mensch. Die sagen einfach nur, "es ist schnell und einfach". Punkt. Und so muss die Infrastruktur sein.

Ganz viele gefahrene Strecken in Deutschland sind kürzer als fünf Kilometer, fast die Hälfte. Und das lässt sich sehr einfach mit dem Fahrrad zurücklegen. Wenn die Menschen merken, dass es ein gutes Angebot gibt, dann werden sie auch öfter das Rad nutzen.

Was könnten denn gute Angebote sein, um das Radfahren attraktiv zu machen?

Ich glaube, da können wir auch noch nach Dänemark und in die Niederlande schauen: Die Infrastruktur muss geschützt sein. Das heißt, ich muss mich nicht zwischen den Autos drängeln, die Leute parken nicht auf den Radstreifen oder fahren darauf. Die Radfahrer müssen sich sicher fühlen und sollten nicht mit dem Autoverkehr kollidieren.

Radschnellwege werden immer relevanter

Wie wichtig sind Fahrradautobahnen?

Wir nennen es nicht Fahrradautobahn, sondern lieber Radschnellverbindung. Das sind Premiumradwege, die besonders breit sind, drei Meter pro Richtung, sodass man zu dritt nebeneinander fahren kann oder z.B. ein Lastenrad sicher überholen kann.

Fahrradfahrer fahren auf neuer Fahrradstrasse mit frisch aufgebrachten Piktogrammen, hier die Kahrstrasse im Stadtteil Holsterhausen.
Radschnellwege machen auch längere Strecken mit dem Rad attraktiv. Bildrechte: imago images/Rupert Oberhäuser

Das ist einfach ein Radweg, der besonders viel Verkehr aufnehmen kann – dreieinhalbtausend Menschen in der Stunde. Vor allem für die längeren Distanzen, etwa Halle-Leipzig, ist das ja auch geplant. Eben dort, wo viele Menschen unterwegs sind mit verschiedenen Verkehrsmitteln. Gerade auch mit dem Elektrofahrrad, mit dem ich auch Verbindungen zwischen zehn und 15 Kilometer in einer guten Zeit zurücklegen kann.

Deswegen sind diese Radschnellwege ein Rückgrat für den Verkehr, wie es vielleicht die Bundesstraßen beim Auto sind, das Gleiche eben dann fürs Fahrrad, für Distanzen zwischen zehn bis 20 Kilometern.

Glauben Sie, dass die Radschnellwege in 50 Jahren eine höhere Bedeutung haben werden?

Ich hoffe, dass sie in fünf Jahren schon eine andere Bedeutung haben. In NRW gibt es schon erste Strecken, auch im Raum Frankfurt werden Strecken schon teilweise umgesetzt. Und wir hoffen auch, dass wir in zehn Jahren etwa in den meisten Städten und Ballungsräumen in Deutschland schon im Netz haben werden und die ersten Strecken schon gut in Betrieb sind. Der Trend ist weltweit da, dass Menschen aufs Fahrrad umsteigen – und in allen deutschen Städten wächst der Fahrradverkehr obwohl die Infrastruktur noch so schlecht ist. Wenn wir erstmal eine gute Infrastruktur haben, dann ist das, glaube ich, keine Utopie, dass wir auch hier Radverkehrsanteile wie in den Niederlanden oder in Dänemark haben.

Autofahrer kommen die öffentliche Hand teuer – vor allem beim Parken

In Leipzig gab es zuletzt einen großen Aufschrei als am Hauptbahnhof eine baulich getrennte Radspur eingerichtet wurde. Wird der Veränderungsprozess Reibereien bringen, weil die Autofahrer weniger Platz haben?

Die wird es nicht geben, die gibt es schon. Die haben wir überall, in allen Städten. Da müssen wir erstmal 50 Jahre aufholen, wo Dänemark die Leute langsam dran gewöhnt hat. Wir haben in Deutschland Leute über 50 Jahre daran gewohnt, dass sie überall mit dem Auto fahren können, schnell ans Ziel kommen und vor allem dafür fast nicht bezahlen müssen. Beim Parken ist das in anderen Städten ganz anders.

In den nächsten zehn Jahren wird es dann noch Reibereien geben. Aber wenn die Menschen erst einmal merken, es ist nicht nur das Stück am Hauptbahnhof, sondern es ist wirklich zehn Kilometern, wo ich geschützt fahren kann, dann werden sie vom Auto aufs Fahrrad umsteigen. Das kommt dann auch den Autofahrern zugute, weil die, die darauf angewiesen sind – das ist vor allem der Wirtschaftsverkehr oder diejenigen, die längere Strecke zurücklegen müssen – dass die nicht mehr von anderen Autos blockiert werden und deutlich schneller vorankommen.

Jetzt sagen viele Autofahrer "Das Parken wird immer teurer, immer weniger Platz, immer weniger Parkplätze und so weiter." Stimmt das? Werden die Autofahrer unfair behandelt?

Ich glaube nicht, dass sie unfair behandelt werden. Ich glaube, wir hatten in den letzten 15 Jahren eine insgesamt unfaire Verkehrspolitik, die Autofahren unheimlich subventioniert hat.

Ein Parkplatz hat Kosten von 5.000 bis 10.000 Euro pro Jahr, den die öffentliche Hand zahlt.

Torsten Perner Verkehrsingenieur

Wenn Sie mal in andere Städte gucken, wenn wir Kollegen, wie aus Helsinki oder Stockholm oder Oslo zu Besuch haben, die lachen sich kaputt über unsere Parkgebühren. Da kostet ein Parkplatz im Jahr 1.500 Euro. Auch das ist nun nicht mehr kostendeckend. Ein Parkplatz hat eher so Kosten von 5.000 bis 10.000 Euro pro Jahr, den die öffentliche Hand zahlt. Das zahlen wir alle, ob wir jetzt ein Auto haben oder nicht. Und wenn ein Parkplatz dann eben mal 1.000 Euro im Jahr kostet, ist das schon etwas näher an den reellen Kosten.

Torsten Perner, Verkehrsingenieur Torsten Perner studierte an der TU Dresden Verkehrsingenieurwesen. Anschließend hat er seine berufliche Laufbahn bei der Stadt Freiburg begonnen und arbeitet nun seit 20 Jahren als Berater für Planungsbüros, sowohl in Deutschland als auch international mit Schwerpunkt in Nord- und Osteuropa sowie Afrika. Dabei beschäftigt er sich insbesondere mit integrierten Verkehrslösungen im urbanen Raum. Nachdem er einige Jahre für ein deutsches Büro Straßenbahnen in Dänemark mitgeplant hat, ist er seit 2019 bei der Architektur-, Ingenieur- und Managementberatung Ramboll in Berlin, um insbesondere dänisches Fahrradverkehrs-Know-How nach Deutschland zu bringen. So ist er derzeit u.a. Projektleiter für Radschnellverbindungen in Berlin und Wiesbaden-Mainz sowie das neue Fahrradnetz 2.0 in Münster.

MDR AKTUELL (pad)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 09. Mai 2023 | 19:30 Uhr

54 Kommentare

Alte Liebe MD vor 51 Wochen

Fahre seit 1 Jahr E-Bike zur Arbeit einschließlich Spät- und Nachtdienst. Durchschnittsgeschwidigkeit ohne Anstrengungen und Schwitzen 18 Kmh, kann leicht auf ca 24 mit höherer Unterstützung gesteigert werden. Bin bis jetzt nur einmal richtig nass geworden, habe überlebt. Das mit dem Anzug und Büroblüschen wird sich bei einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung auch geben. Gibt ja jetzt schon elegante und sportive Mode.

Idaho vor 51 Wochen

Ich persönlich finde es schade, dass es so viele Ängste und Vorbehalte bzgl. dieses Wandels gibt.
Ich persönlich fahre gerne Fahrrad und nutze regelmäßig eine Fahrradstraße in Dresden, durch die ich trotz Umweg schneller am Ziel bin, als wenn ich einen kürzeren Weg mit viel Autoverkehr wähle.
Und aus meiner Sicht geht es genau darum: den Fahrrädern geeignete Wege zu geben, bei denen gehäuft Fahrräder fahren, als auch vereinzelte Autos. Damit RadfahrerInnen möglichst getrennt von Autos fahren können, und trotzdem beide Straßen für alle Verkehrsteilnehmer geöffnet sind.
Durch diesen Wandel kann langfristig auch mehr Platz und eine belebtere Innenstadt entstehen, da immer weniger Menschen ein eigenes Auto inklusive Parkplatz benötigen. Ab und zu benötige ich auch mal ein Auto um etwas zu transportieren und nutze dafür Car-Sharing, welches auch ausgebaut wird, wenn es mehr Leute gibt, die es nutzen.
Ganz nebenbei hoffe ich, dass die Städte dadurch auch leiser und besser riechen werden.

jtmd vor 51 Wochen

Wäre aber schon mal ein Fortschritt, alle mehr Rücksicht auf einander nehmen würden. Meine dabei nicht nur die Radfahrer, welche ohne Beleuchtung in schwarzen Klamotten nachts mitten auf der Straße unterwegs sind, auf Fußwegen rückssichtslos fahren, bei ROT fahren......
Auch eine Haftplichtversicherung für E-Bikes würde ich befürworten.

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