
80. Geburtstag Der Zeit auf der Spur: Volker Koepp zieht mit Doku "Chronos" Bilanz
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22. Juni 2024, 03:00 Uhr
Die Tage rund um seinen 80. Geburtstag am 22. Juni verbringt der ehemalige DEFA-Regisseur Volker Koepp im Schneideraum. Für seinen Film mit dem Arbeitstitel "Chronos" hat der Dokumentarfilmer eine lange Reise unternommen – eigentlich dauert sie schon sein ganzes Leben. Denn Koepp ist für den Film an die wichtigen Orte seines Schaffens zurückgekehrt. Doch auch die aktuelle Zeitgeschichte mit dem Krieg in der Ukraine spielte in die Dreharbeiten hinein.
- Volker Koepp hat über 60 kurze und lange Dokumentarfilme gedreht. Bekannt wurde er durch seine sechs Wittstock-Filme.
- Für "Chronos" kehrte er an die wichtigsten Orte seines Schaffens zurück. Einige davon, wie Czernowitz, sind heute im Krieg.
- Die ARD-Mediathek zeigt unter dem Titel "Menschen und Landschaften - Volker Koepp" eine Werkschau seiner Filme.
Zu seinem 75. Geburtstag schenkten ihm Freunde einen Stich von einer Landkarte, die seine Lieblingslandschaft "Sarmatien" zeigt. Dabei entdeckte Volker Koepp den altgriechischen Namen seines Lieblingsflusses Memel: Chronos, wie der Gott der Zeit. Dieser Ruf aus der Vergangenheit war für Volker Koepp ein Anlass, noch einmal auf die Reise zu gehen und in der Gegenwart nachzuschauen.
Filmische Reise in ein vergangenes Land
Es war 1962 oder 1963, erinnert sich Koepp, als der erste Gedichtband des aus Kaliningrad stammenden Johannes Bobrowski erschien. Er hieß "Sarmatische Zeit". Von Sarmatien erzählt Volker Koepp gerne. Er beschreibt jenen geographischen und auch kulturellen Raum, der sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer erstreckt. Mit Bobrowski unter dem Arm erkundet Koepp immer wieder dieses vergangene und zugleich utopische Land. Mit einem historischen Auftrag, wie er sagt: "Bobrowski sagte ja auch, wenn ich da bin und über diese Gegenden schreibe, möchte ich meinen deutschen Landsleuten etwas mitteilen, was sie nicht wissen. Denn sie wissen nämlich nicht über den Osten Europas Bescheid."
Koepp ist dabei alles andere als ein Erklärer. Mit offenen Augen begegnet er Menschen und Landschaften und lässt sich auf sie ein. Oft auch mehrfach. Das Wiederkommen ist bei ihm ein filmisches Prinzip. Das ist neben dem ruhigen Fluss seiner Bilder und den oft überirdisch wirkenden Landschaftsaufnahmen ein Grund dafür, warum sich das Publikum in seinen Filmen so heimisch fühlt.
Der Krieg ist zurück
Mit "Chronos" wollte Koepp die Reise aus "In Sarmatien" (2014) noch einmal in umgekehrter Richtung machen: vom Baltikum über Belarus in Richtung Ukraine und Moldau. In Kaliningrad drehte er schon nicht mehr, weil er Protagonisten, von denen er annahm, dass sie gegen den offiziellen russischen Kurs sind, nicht gefährden wollte. Nachdem die Dreharbeiten zunächst wegen Corona ins Stocken kamen, musste er sie im Februar 2022 wieder abbrechen. Spätestens mit dem russischen Großangriff auf die Ukraine wurde sichtbar, was Koepps Filme schon immer enthielten: "Der letzte Krieg war in den Gegenden, in denen ich gedreht habe, immer sehr nah", sagt der Regisseur.
Der letzte Krieg war in den Gegenden, in denen ich gedreht habe, immer sehr nah.
Der Krieg kehrt zurück. Als Koepp 2023 seine Reise ins ukrainische Czernowitz fortsetzte, fuhr er alleine, ohne Team. Frau Zuckermann, Überlebende der Shoah in Czernowitz, zog 1999 im Film "Herr Zwilling und Herr Zuckermann" eine fatale Bilanz des 20. Jahrhunderts, bewahrte sich aber die Hoffnung, dass sich die Geschichte nicht wiederhole. Koepp traf nun ihren Sohn Felix. "Er sagte, es ist gut, dass meine Mutter das nicht noch erleben musste, was jetzt ist. Es war ja auch so absurd, dass jüdische Leute aus der Westukraine, die Stalin und Hitler überlebt hatten, jetzt noch mal nach Deutschland fliehen mussten, im Alter von fast 90 Jahren", berichtet der Filmemacher.
Wahlergebnisse der AfD und Rückkehr nach Wittstock
Volker Koepp wirkt heute ratlos, wenn er darüber spricht. Kopfschüttelnd schaut er auch auf die Wahlergebnisse zur Europa-Wahl. Warum so viele Menschen AfD wählen, kann er nicht begreifen. Es ginge den Menschen doch gut. Für seinen Film "Chronos" fuhr er auch nach Wittstock an der Dosse zurück, wo zwischen 1974 und 1997 der "Wittstock-Zyklus", eine Langzeitbeobachung über drei Textilarbeiterinnen, entstand, heute ein Klassiker. Er hat sich die Wahlergebnisse in Wittstock bei den ersten – und letzten – freien Wahlen in der DDR noch mal angeschaut. Da wurde kaum rechts gewählt.
An seiner filmischen Haltung ändert das alles nichts. Unbestechlich dokumentiert Volker Koepp die Zeit, die durch die Landschaften und die Leben der Menschen hindurchgegangen ist. Auch mit 80. Zu seinem Geburtstag widmet ihm die ARD-Mediathek nun eine Filmreihe. Wann "Chronos" fertig für die Leinwand ist, steht noch nicht fest. Der Film muss sich noch sortieren, sagt Koepp.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 22. Juni 2024 | 17:10 Uhr