Flüchtlinge stehen vor einer Außenstelle des Sachgebiets Flüchtlinge der Ausländerbehörden und der Abteilung Flüchtlinge des Sozialamts
Wartende vor einer Außenstelle für Flüchtlinge beim Sozialamt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Marijan Murat

Faktencheck Diese Leistungen bekommen ukrainische Flüchtlinge in Deutschland

09. November 2022, 12:55 Uhr

Ukrainische Flüchtlinge bekommen seit 1. Juni Hartz-IV-Leistungen. Damit sind sie besser gestellt als Asylbewerber und auf dem Niveau anerkannter Geflüchteter. Die AfD behauptet, die Kriegsflüchtlinge bekämen quasi ein bedingungsloses Grundeinkommen und mehr Geld als deutsche Rentnerinnen und Rentner nach jahrzehntelanger Arbeit. Schaut man sich die von der AfD verwendeten Zahlen genauer an, stimmt das nicht. Ein Überblick:

MDR AKTUELL Mitarbeiter Andreas Sandig
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Geflüchtete aus der Ukraine benötigen für Grundleistungen in Deutschland einen Aufenthaltstitel. In der Regel ist das eine Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz, ausgestellt von der Ausländerbehörde zunächst für ein Jahr mit Option auf Verlängerung bis zu drei Jahre.

Aufenthaltstitel: Geflüchtete aus der Ukraine, die bis zum 30. November 2022 einreisen, benötigen für die ersten 90 Tage nach ihrer erstmaligen Einreise nach Deutschland aktuell keinen Aufenthaltstitel. Diese Ausnahmeregelung wurde seitdem mehrfach verlängert.

Wer sich nach 90 Tagen noch nicht behördlich registriert hat, hält sich illegal in Deutschland auf.

Seit Juni Hartz IV statt Asylleistungen

Erwerbsfähige ukrainische Frauen und Männer und ihre Familien werden seit 1. Juni 2022 vom Jobcenter betreut und haben Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen. Bei eingeschränkter Erwerbsfähigkeit oder Altersrente sind die örtlichen Sozialämter zuständig. Laut Regelsatz erhalten alleinstehende Erwachsene 449 Euro. Für jedes Kind kommen je nach Anzahl und Alter 285 bis 376 Euro hinzu. Seit 2023 haben sie Anspruch auf das neue und höhere Bürgergeld.

Damit erhalten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine genauso hohe Geldleistungen wie andere anerkannte Geflüchtete mit einem Aufenthaltstitel, die erwerbslos sind. Sie bekommen aber mehr Geld als Geflüchtete in einem laufenen Asylverfahren. Der Regelsatz für alleinstehende erwachsene Asylbewerber liegt nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bei 367 Euro. Für Kinder kommen hier je nach Alter 249 bis 326 Euro hinzu.

Die finanzielle Situation von geflüchteten Menschen aus der Ukraine hat sich also seit dem 1. Juni verbessert. Zuvor erhielten auch sie Leistungen nach dem AsylbLG. Laut Ausländerzentralregister hielten sich Ende August etwa 968.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland auf, darunter der Großteil Frauen, Kinder sowie Seniorinnen und Senioren.

Massenzustromrichtlinie Die Staaten der Europäischen Union einigten sich im März nur wenige Tage nach Kriegsbeginn, für die Geflüchteten aus der Ukraine die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie anzuwenden. Diese sieht vor, dass die Schutzsuchenden keinen Asylantrag stellen müssen, sondern erst einmal einen Aufenthaltstitel für ein Jahr erhalten und arbeiten dürfen.

Die Richtlinie wurde nach den Erfahrungen der Jugoslawien-Kriege beschlossen. Sie wird – und das ist insoweit historisch – nun aber zum ersten Mal angewendet.

Für syrische Geflüchtete wurde die Richtlinie nicht angewandt, weshalb Kritiker hier eine Ungleichbehandlung beziehungsweise nicht nachvollziehbare Maßstäbe bemängeln.

Familienleistungen und Bafög wie für Bürgerinnen und Bürger in Deutschland

Im Kern haben Menschen aus der Ukraine damit Anspruch auf Hartz-IV Leistungen (seit 2023 Bürgergeld) für Grundbedürfnisse wie Unterkunft, Lebensmittel, Kleidung, Körperpflege sowie Zugang zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.

Die Kriegsflüchtlinge werden also Einheimischen und anerkannten Asylbewerbern bei staatlichen Leistungen gleichgestellt. Es besteht für ukrainische Familien in Deutschland zudem auch Anspruch auf Kindergeld, Elterngeld und Unterhaltsvorschuss. Für Kinder und junge Erwachsene können darüber hinaus Kosten für etwa schulische Nachhilfe oder Musikunterricht übernommen werden. Auszubildende und Studierende haben Bafög-Anspruch.

Etwaiges Vermögen von Kriegsflüchtlingen wie Bargeld oder Kontoguthaben kann ab bestimmten Summen zur Deckung des Lebensunterhaltes herangezogen werden, das gilt nicht für Immobilienbesitz in der Ukraine.

Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhält nur, wer seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken kann. Es gelten insoweit die gleichen Regeln, wie für alle anderen Menschen, die in Deutschland Sozialleistungen beziehen.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

AfD-Falschbehauptung: Ukraine-Flüchtlinge erhalten mehr als deutsche Rentner

AfD-Vertreter behaupten, dass Hartz-IV-Leistungsempfänger und Geflüchtete aus der Ukraine mehr Sozialleistungen erhielten als Rentner in Deutschland. Diese Falschinformation wurde in Sozialen Medien verbreitet. Dabei belegt ein BR-Bericht, wie von der AfD Fakten verzerrt werden. Demnach nutzt die AfD offizielle Zahlen, um fälschlicherweise den Eindruck zu erzeugen, dass deutsche Rentnerinnen und Rentner gegenüber ukrainischen Geflüchteten benachteiligt würden.

Der AfD-Politiker René Springer prangert in einem Video als "Skandal" an, "dass jemand, der nie eingezahlt hat, sofort mehr Geld zur Verfügung hat als jemand, der ein ganzes Arbeitsleben hinter sich gebracht hat, der das Land aufgebaut hat und Kinder aufgezogen hat". Der AfD-Vertreter behauptet, die Hartz-Leistungen überstiegen schnell mal die 1.000 Euro, die Durchschnittsrente habe hingegen im Jahr 2020 bei 989 Euro gelegen.

Dabei werden jedoch Äpfel mit Birnen verglichen. Zum einen entspricht diese durchschnittliche Altersrente von 989 Euro nicht Rentnerinnen und Rentnern, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben. Es geht um Menschen, die 2020 erstmals Altersbezüge erhielten. Dazu zählen auch Rentnerinnen und Rentner, die nur kurz einzahlten, sich später selbstständig machten und anderweitig vorsorgten oder auch viele Frauen, die Kinder aufzogen und nur kurz oder gar nicht erwerbstätig waren. Diese Personen mit staatlichen Minirenten drücken die Durchschnittsrente.

Laut Deutscher Rentenversicherung betrug die Altersrente für die Gruppe, die mindestens 35 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat, in den vergangenen beiden Jahren etwa 1.310 Euro. Außerdem bezog nach Angaben der Arbeitsagentur (Stand März 2022) eine Mehrheit der Hartz-IV-Empfänger Leistungen unterhalb 1.000 Euro.

Darüber hinaus erklärt der AfD-Politiker Springer, dass Ukrainer sich in Deutschland nicht um Arbeit bemühen müssten, weil ihnen keine Sanktionen drohten. Das ist nur die halbe Wahrheit, weil das ebenfalls für deutsche Leistungsempfänger beschlossen wurde – als Übergangsregelung bis zur Einführung eines geplanten Bürgergeldes. Die Sanktionsfreiheit gilt also für alle. Das trifft auch auf die Aussage von Springer zu, dass die Jobcenter "jede Miete" für Ukraine-Flüchtlinge zahlten. Springer verschweigt dabei, dass die Aussetzung der Angemessenheitsregel bereits seit 2020 für alle neuen Hartz-IV-Bezieher gilt und nur für maximal ein Jahr.

Probleme bei Integration ukrainischer Flüchtlinge am Arbeitsmarkt

Bund und Länder haben sich Anfang April geeinigt, dass Geflüchtete aus der Ukraine schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten sollten. Darauf zielte auch die Entscheidung, den Geflüchteten Hartz-IV-Leistungen zuzugestehen und sie von den Jobcentern betreuen zu lassen. Etwa 350.000 Ukrainer sind derzeit als arbeitssuchend registriert, überwiegend gut qualifiziert.

Nach einer ifo-Umfrage wollten 90 Prozent der Befragten gerne eine Beschäftigung in Deutschland finden. Doch die Sprachbarriere ist eine große Hürde, da viele Bewerber zwar Englisch, aber ungenügend Deutsch beherrschen. Auch bei der Anerkennung von Qualifikationen stockt es. Damit bleiben vielen hochqualifizierten Ukrainerinnen und Ukrainern nur prekäre Jobs. Insgesamt sind daher nur wenige Geflüchtete aus der Ukraine bisher in Arbeit.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund rief die Bundesregierung zum Ausbau von Sprachkursen für Ukraine-Flüchtlinge auf. Die Kurse des BAMF sollten durch Angebote für höhere Sprachniveaus (B2, C1) und berufsbezogene Sprachkurse ergänzt werden, damit Menschen aus der Ukraine möglichst entsprechend ihrer Qualifikation arbeiten können. Der DGB fordert nachhaltige Lösungen für alle Geflüchteten – auch aus anderen Herkunftsstaaten.

Dieser Artikel wurde erstmals am 1. September 2022 veröffentlicht.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 28. August 2022 | 21:00 Uhr

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