Jens Maier (AfD) (li.) und Katja Kipping (Die Linke) (r.): Campact-Werbung
Wahlkampf-Unterstützung für Katja Kipping (Die Linke): Der Verein Campact wirbt für ihren direkten Einzug ins Parlament, um den Sieg ihres stärksten Kontrahenten, Jens Maier von der AfD, zu verhindern. Bildrechte: Facebook/Campact

Kampagnen-Plattform im Bundestagswahlkampf Versteckte Wahlkampfunterstützung durch Campact?

23. September 2021, 16:49 Uhr

Nicht nur Parteien sind im Wahlkampf aktiv. Auf Facebook wirbt der Verein Campact für Themen, aber auch für Direktkandidaten wie Katja Kipping aus Dresden (Die Linke) – und erzürnt mit seinen Aktivitäten Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow.

Die gebürtige Dresdnerin Katja Kipping tritt bei der Bundestagswahl als Direktkandidatin für die Linke im Wahlkreis 159 an. Der Wahlkreis sei ein "Ort der Gegensätze", beschreibt ihn Kipping auf ihrer Internetseite. Denn neben der Dresdner Altstadt und dem schicken Blasewitz zähle auch ein Plattenbaugebiet dazu. Um diesen Wahlkreis kämpfen neben Markus Reichel (CDU), Rasha Nasr (SPD) oder Torsten Herbst (FDP) auch Jens Maier von der AfD. Laut dem Verein Campact hat Letzterer gute Chancen, das Direktmandat zu ergattern. Deshalb wirbt Campact auf Facebook und Instagram dafür, strategisch zu wählen und die Erststimme an Katja Kipping von den Linken zu geben. Sie habe ähnlich gute Chance auf einen Sieg.

Für insgesamt vier Anzeigen auf Facebook und Instagram investierte der Verein rund 10.000 Euro. Bundesweit gab er in den vergangenen 30 Tagen (21.8. bis 19.09.) rund 330.000 Euro für Werbung auf Facebook und Instagram aus. Zum Vergleich: Bündnis 90/Die Grünen bezahlten rund 440.000 Euro und die CDU rund 400.000 Euro. In Sachsen ließ Campact für rund 18.000 Euro Werbung ausspielen, in Sachsen-Anhalt und Thüringen für je rund 6.000 Euro.

Campact-Kampagne: Mit der Erststimme strategisch wählen

Campact beschreibt sich selbst als Bürgerbewegung mit mehr als zwei Millionen Unterstützern. Der 2004 gegründete Verein organisiert Kampagnen zu Themen wie Klimaschutz oder sozialer Gerechtigkeit und er setzt sich gegen Rechtsextremismus ein. In seinem Jahresbericht informiert der Verein, dass er im vergangenen Jahr von rund 85.000 Menschen finanziell gefördert worden sei. Mehr als 100.000 Menschen hätten außerdem für einzelne Kampagnen gespendet. Die Entscheidung, im Bundestagwahlkampf auf die sozialen Medien zu setzen und dort viel Geld zu investieren, sei einerseits der Corona-Pandamie geschuldet, erklärt Campact-Geschäftsführerin Astrid Deilmann dem MDR. Andererseits wolle man über die eigene Filterblase hinaus Menschen erreichen und das sei mit bezahlter Werbung möglich.

In seiner aktuellen Kampagne für den Bundestagswahlkampf wirbt der Verein unter anderem in sechs Wahlkreisen dafür, mit der Erststimme strategisch zu wählen – so wie im Fall Kipping in Dresden. Campact empfiehlt die Wahl eines bestimmten Direktkandidaten, um den Sieg eines anderen Direktkandidaten zu verhindern, der nicht die gleichen Ziele wie Campact vertritt. Diese Wahlempfehlungen basierten auf Umfragen, die Campact eigens in Auftrag gegeben habe. Diese sowie die Ergebnisse vergangener Wahlen bescheinigten beispielsweise Kipping die besten Chancen, gegen den AfD-Kandidaten zu gewinnen. "Wir machen keinen Wahlkampf mit Katja Kipping, wir machen Wahlkampf für die aussichtsreichste Gegenkandidatin zur AfD", sagt Deilmann. "Unser Ziel ist es, den Direkteinzug ins Parlament eines Rechtsaußen-Kandidaten zu verhindern."

Campact-Antiwerbung gegen Hans-Georg Maaßen bei Facebook.
Kritik für die Kampagne gegen Hans-Georg Maaßen (CDU) kommt auch von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke). Bildrechte: Facebook/Campact

Ebenso will Campact verhindern, dass der umstrittene CDU-Direktkandidat Hans-Georg Maaßen in Südthüringen gewählt wird. Campact rief seine Unterstützer dazu auf, E-Mails an Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) zu senden, mit der Aufforderung, dass auch er sich für eine strategische Wahl des aussichtsreichsten Mitbewerbers – Frank Ullrich von der SPD – ausspreche. Ramelow schrieb auf Facebook, dass er sich als Ministerpräsident neutral verhalten müsse und keine Wahlempfehlung geben dürfe. Auch den aufgebauten moralischen Druck, sich gegen rechtsextreme Positionen zu stellen, kritisierte er. Campact räumte in diesem Fall inzwischen Fehler ein. Nicht die E-Mail-Adresse des Ministerpräsidenten, sondern Ramelows Abgeordneten-Adresse hätte verwendet werden sollen.

Rechtswissenschaftlerin Schönberger: "Parteispendenrecht müsste enger gefasst werden"

Deilmann versichert, dass Campact parteipolitisch neutral sei. Es gehe um die Themen, für die sich bestimmte Direktkandidaten einsetzten, informiert der Verein auch auf Facebook. "Da wir aber nicht dazu aufrufen die Zweitstimme der SPD zu geben, verändert es das Verhältnis der Parteien im Bundestag nicht", verteidigt Campact seine Erststimmen-Kampagne zum Beispiel für Karl Lauterbach auf Facebook.

Das sei zwar im Grundsatz richtig, findet Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger von der Universität Düsseldorf. Allerdings sei zu beachten, dass die Direktkandidaten ja von einer Partei aufgestellt würden. Deshalb bestehe in jedem Fall ein werblicher Effekt für die entsprechende Partei. Sie sieht es kritisch, wenn Dritte Wahlkampf betrieben ohne dass transparent gemacht würde, woher genau das Geld dafür komme. "Das Parteispendenrecht müsste weiter gefasst werden", findet Schönberger. Aktuell gelte, dass die Finanzierung von Wahlkampfaktivitäten durch Vereine nur dann transparent gemacht werden müssen, wenn es Absprachen mit den Parteien oder Kandidaten gegeben habe. "Wenn dies nicht der Fall ist, gibt es keine Pflicht zur Transparenz", erklärt Schönberger. "Aber Parteien freuen sich natürlich nicht nur über die Nähe." Schönberger schlägt vor, dass andere Wahlkampfakteure neben Parteien und Kandidaten diese über ihre Werbemaßnahmen in Kenntnis setzten müssten. "Die Partei könnte dann die Unterstützung annehmen und verbuchen oder aber auch sagen: 'Nein, ich möchte deine Unterstützung nicht'".

Campact legt Geldquellen offen

Campact bemüht sich auch ohne gesetzliche Regelung um eine gewisse Transparenz. "Die Kosten für die Werbeanzeigen im Wahlkreis von Katja Kipping wurden mit Spenden und Fördermitteln aus dem entsprechenden Wahlkreis finanziert", sagt Deilmann. Auch wurden im Vorfeld sowohl Katja Kipping als auch die Direktkandidaten der Grünen und der SPD von der Kampagne in Kenntnis gesetzt und die Umfrageergebnisse mit ihnen geteilt.

Katja Kipping stört die Unterstützung durch Campact nicht. Auf MDR-Anfrage antwortet sie: "Natürlich freue ich mich über jede Stimme, die sich dafür ausspricht, mich mit der Erststimme zu wählen. Denn wir stehen in der Verantwortung in Dresden zu verhindern, dass mit Jens Maier ein besonders Rechtsaußen von der AfD das Direktmandat in der Landeshauptstadt holt. Es wäre verheerend für den Ruf von Dresden, wenn demnächst ein Rechtsextremist mit dem Rückenwind eines gewonnen Direktmandates im Bundestag für Dresden sprechen kann."

Die Kontaktaufnahme mit den übrigen Direktkandidaten erfolgte seitens Campact nicht nur aus Transparenz-Gründen. Es ging Campact auch um eine mögliche gemeinsame Verständigung auf die Unterstützung eines einzigen Kandidaten im Wahlkreis. "Wäre es nicht ein tolles Zeichen, wenn wir über die Parteigrenzen hinaus denken könnten, weil wir den Direkteinzug eines Rechtsaußen-Kandidaten verhindern möchten?", erklärt Deilmann die Intention von Campact. Das Echo der Direktkandidaten, die nicht von Campact unterstützt wurden, fiel jedoch sehr unterschiedlich aus. Einerseits wurde Verständnis für das Vorgehen von Campact gezeigt. Andererseits gab es auch Ablehnung. "Ich war erstaunt, wie wichtig es dann doch für einige Kandidaten ist, unabhängig von den Erfolgsaussichten auf dem eigenen Mandat zu beharren."

Lobbycontrol: Keine versteckte Wahlwerbung

Timo Lange von Lobbycontrol sieht in der Erststimmen-Kampagne von Campact keine verdeckte Wahlwerbung, weil Campact "sehr vorbildlich" offenlege, woher das Budget für diese Kampagnen komme. Campact sei keine gemeinnützige Organisation, sondern habe eine klare politische Haltung. In seinem Jahresbericht schlüsselten Verein und Stiftung über die gesetzlichen Vorgaben hinaus auf, wie sich das Gesamtbudget von 13,7 Millionen Euro im Jahr 2020 zusammensetze.

Anders dagegen die Kampagne "Grüner Mist", bei der nach wie vor nicht klar sei, wer diese eigentlich finanziere. Lange wünscht sich ähnlich dem Vorschlag von Schönberger dennoch einen engeren gesetzlichen Rahmen. Außerdem findet er, dass es nicht Unternehmen wie Facebook überlassen werden sollte, Transparenz zu schaffen. "Da sehe ich auch den Gesetzgeber in der Pflicht. Facebook müsste ganz konkrete Angaben veröffentlichen, wer die Geldgeber sind."

Eine Gesetzesinitiative der SPD zur Verschärfung des Parteiengesetzes scheiterte zuletzt im Mai dieses Jahres an der Union.

Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 23. September 2021 | 06:30 Uhr

28 Kommentare

DER Beobachter am 24.09.2021

Der sächsische Höcke-Verehrer mal ohne Lederschlapphut und ohne Lederjacke? Ja, die "A"fD scheint verstanden zu haben, dass dieser Abklatsch irgendwo zwischen Gestapo und GPU nicht so gut jenseits der Stammwählerschaft ankommt. Und um Meier einordnen zu können, braucht man nicht mal campact...

DER Beobachter am 24.09.2021

Hm, man muss nicht mal links sein, um zu erkennen, dass die Einschätzung des Berliner Finanzamtes eine politische war, nicht eine finanzjuristische. Vorher traf es schon ganz andere Vereine wie attac, in dem auch bekennende progressive Unionspolitiker aktiv waren/sind...

Deputy am 24.09.2021

@Tacitus - "Der Spiegel berichtet gerade ..." - Diesen Spiegel-Bericht gab es bereits am 20. August, also vor 5 Wochen. - Sie kriechen wohl nervlich auf dem Zahnfleisch?

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