Hintergrund Branche wartet weiter auf den Industriestrompreis – was hat die Politik dagegen?
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29. September 2023, 12:14 Uhr
Die Debatte um den Industriestrompreis zieht sich schon über mehrere Monate. Die Befürworter der Habeck-Idee bleiben dabei: Die stromintensive Wirtschaft braucht finanzielle Entlastung. Für Finanzminister Christian Lindner geht das Konzept so aber nicht auf. Er gilt als Hauptkritiker und verwehrt bisher seine Zustimmung. Heute wird im Bundesrat über die Einführung eines Industriestrompreises entschieden.
- Während sich SPD und Grüne weiter mit der FDP über den Industriestrompreis streiten, springen ihnen CDU-Ministerpräsidenten als Befürworter zur Seite.
- Mit Blick auf die Einhaltung der Schuldengrenze stellt sich Finanzminister Christian Lindner weiter quer und ist damit nicht alleine.
- Der Alternativvorschlag des FDP-Politikers ist die vorrübergehende Senkung der Stromsteuer – wofür er wiederum Gegenwind bekommt.
Er war ursprünglich die Idee von Robert Habeck. Der Bundeswirtschaftsminister hatte vor einigen Monaten die Einführung eines staatlich subventionierten, geringeren Industriepreis vorgeschlagen. Die SPD formulierte das Konzept aus und schlug vor, den Strompreis für bestimmte Firmen für fünf Jahre auf fünf Cent zu deckeln. Immer mehr Unternehmen gaben an, mit den aktuellen Energiepreisen nicht mehr gewinnbringend wirtschaften zu können. Man sei im globalen Wettbewerb überfordert, sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm im Juni.
Ende August beschloss die Bundesregierung dann ein umfangreiches Entlastungspaket, das die Wirtschaft in den kommenden Jahren mit 32 Milliarden Euro unterstützen soll. Der subventionierte Industriestrompreis ist jedoch nicht als Maßnahme enthalten. Der Verband der Chemischen Industrie kritisierte, ohne ihn seien alle anderen Vorhaben nur ein "Trostpflaster", das die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands nicht löse.
Unterstützung der CDU im Ampelstreit
Doch die Ampel-Koalition ist sich uneins, vor allem die FDP hält gegen den Industriestrompreis. Vertreter der SPD wie Kevin Kühnert und Lars Klingbeil hingegen drängen immer wieder darauf, die stromintensive Wirtschaft finanziell zu unterstützen. Sie sei zum großen Teil dafür verantwortlich, dass die Infrastruktur ausgebaut werde. Das dürfe nicht ins Stocken geraten. Im Konkreten geht es der SPD dabei darum, die Zukunftstechnologien im Wärme-, Verkehrs-, und dem digitalen Netz voranzutreiben. Die dafür zuständigen Unternehmen müssten dabei in jedem Fall unterstützt werden.
Auch aus den Reihen der Grünen gibt es Zustimmung für einen Industriestrompreis. Sogar Teile der CDU sprechen sich für das Konzept aus. Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff sagte MDR AKTUELL, es gehe nicht nur um den Konkurrenzkampf, sondern auch darum, die Arbeitsplätze im Land zu halten und Abwanderung ins Ausland zu verhindern. Sein Kollege aus Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, schließt sich dem an, ebenso wie alle anderen Ministerpräsidenten.
Lindner lehnt Preisdeckelung ab
Finanziert werden soll das Ganze dem SPD-Vorschlag zufolge über den Wirtschaftsstabilierungsfonds. Doch dann gibt es da noch Christian Lindner. Der Bundesfinanzminister lehnt einen Industriestrompreis ab. Bei seiner Bürger-Dialog-Reise durchs Land bekräftigte er diesen Standpunkt in Burg im Jerichower Land auch noch einmal. Seine Kritikpunkte laufen unter dem Stichwort Fairness. Wenn der Strompreis für einzelne große Betriebe gedeckelt werde, müsste das an anderer Stelle gegenfinanziert werden. Er befürchtet, dass die Bürger und mittelständischen Betriebe dafür aufkommen müssten. Über allem steht dabei nämlich das Wort Schulden. Und die gilt es so niedrig wie möglich zu halten, so Lindner.
Mit auf Linders Seite stellt sich auch CDU-Parteichef Friedrich Merz. Er hatte im ARD-Sommerinterview seine Ablehnung des Industriestrompreises deutlich gemacht. Die SPD versucht derweil, weiter Überzeugungsarbeit zu leisten und macht deutlich, dass der Industriestrompreis keine Dauersubvention werden solle. Es gehe lediglich um einen kleinen Zeitraum, laut Klingbeil um fünf Jahre.
Klimaschutz-Organisationen lehnen den Industriestrompreis ebenfalls ab, jedoch nicht aus den finanziellen Gründen. Sie befürchten, er sei die für klimafreundliche Transformation kontraproduktiv.
Und was sagt der Kanzler zu der Debatte? Olaf Scholz hat Vorbehalte gegenüber dem Industriestrompreis. Er warnt davor, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien unter keinen Umständen darunter leiden dürfe. Auch Scholz bringt ähnlich wie Linder das Fairness-Argument an. Der "Welt am Sonntag" sagte er: "Wie könnten wir es rechtfertigen, dass Unternehmen, die riesige Gewinne machen, von dem Steuerzahler und der Steuerzahlerin subventioniert werden und Deutschland sich dafür stark verschuldet? Sie merken, ich bin etwas zurückhaltend."
Was ist der Industriestrompreis? Der Industriestrompreis, oder auch Brückenstrompreis genannt, sieht nach einem SPD-Vorschlag vor, für ausgewählte Branchen den Strompreis für mindestens fünf Jahre auf fünf Cent pro Kilowattstunde zu begrenzen. Die Differenz zum durchschnittlichen Börsenstrompreis von knapp neun Cent soll nach dem Konzept der Staat übernehmen. Entlastet werden sollen damit vor allem stromintensive Unternehmen, die viel Energie verbrauchen. Hinzu kommen die Schlüsselbranchen für den klimaschonenden Umbau der Wirtschaft, also beispielsweise die Produzenten von Windrädern und Solaranlagen.
Der Gegenentwurf Stromsteuer-Senkung
Christian Lindner machte auf seiner Deutschlandreise stattdessen noch einen anderen Entlastungsvorschlag. Er halte eine Senkung der Stromsteuer für denkbar. Damit stieß er in der Branche auch nicht auf taube Ohren. Denn so sehr viele Vertreter aus der Industrie auch auf einen Industriestrompreis drängen, kommt der Einwand, dass er zum einen nicht ausreichen werde und zum anderen nicht die komplette Branche entlaste.
Der Chef von Infra Leuna, Christof Günther, sagte MDR AKTUELL nach dem Chemiegipfel am vergangenen Mittwoch, der gedeckelte Strompreis sei zwar eine Maßnahme, unterstütze aber nicht in der Breite. Kleine und mittelständische Unternehmen profitierten eher weniger davon als von einer Senkung der Stromsteuer auf den Mindestsatz.
Diesen auch von der FDP gemachten Vorschlag lehnen wiederum die Grünen ab. Bundestags-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge kritisierte, dass die großen Betriebe davon nicht entlastet würden, da sie sowieso von der Steuer befreit seien. Man setze weiterhin auf einen zeitlich begrenzten Industriestrompreis.
Industriebranche bangt weiter
Die Stimmen der Betroffen werden in der Zwischenzeit jedoch nicht leiser. Die Industriebranche ringt weiter mit den hohen Energiepreisen und fordert wirkliche Unterstützungsmaßnahmen von der Politik – nicht nur in Form eines angepassten Strompreises. Denn Christof Günther zufolge steht über allem die Wettbewerbsfähigkeit, innerhalb Deutschlands wie auch auf dem europäischen Markt.
MDR mit Reuters, AFP und dpa (amu)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 28. September 2023 | 06:00 Uhr
astrodon am 30.09.2023
@nicht vergessen: Was für ein Schwachsinn ... nicht "die Ampel" greift dem Bürger in die Tasche, sondern das macht jeder Staat mit jeder Regierung.
Im übrigen sind auch Sie Teil der "Räuberbande", als Staatsbürger und als Nutznießer der vom Staat ausgegebenen Steuermiliiarden.
astrodon am 30.09.2023
@Rocky: Das ist zwar richtig, aber trotzdem Blödsinn - selbstverständlich sind ALLE Finanzmittel des Staates Steuermittel. Auch die Schulden, das sind dann die Steuern von morgen und übermorgen.
Altmeister 50 am 30.09.2023
Für mich ist die Forderung nach einem gedeckelten Industriestrompreis der Beweis für politischen Murks bei der Besteuerung und Subventionierung der Stromerzeugung in der Vergangenheit. Aus einem kaum noch überschaubaren Geflecht von Förderung für "Erneuerbare", Netzentgelte, EEG- Umlage, Merit Order-Preise, CO 2-Bepreisung und dergleichen ist das herausgekommen, was die Industrie nunmehr nach neuen Subventionen durch Steuern oder Schulden rufen lässt. Es sollen weitere Reparaturmassnahmen erfolgen, die es ohne die genannten staatliche Eingriffe vermutlich so nicht gäbe. Durch die willkürliche Festlegung, wo die zu subventionierende Industrie anfängt und endet wird die nächste Ungerechtigkeit und Unwucht erzeugt, deren notwendige Reparatur bereits jetzt absehbar ist. Den Subventionsempfängern wird die ökonomische Macht in die Hand gegeben, ihre mittelständischen Zulieferer und Dienstleister aufzukaufen, wenn die wegen der erhöhten Belastung nicht mehr können.
Will man das ?