Mutige Frauen, mutige Wendegeschichten Eva Löber: Eine Wittenbergerin, die in den Wendewirren Historisches rettete

30. September 2021, 17:47 Uhr

Sie haben dem System getrotzt, haben sich aufgelehnt und für ihre Sache gekämpft. MDR SACHSEN-ANHALT erzählt zum Tag der Deutschen Einheit die Geschichten von vier mutigen Frauen. Eva Löber ist eine von ihnen. Sie engagiert sich in Wittenberg in den 1980er Jahren in einer Friedensgruppe, setzt sich für den Erhalt der historischen Cranach-Höfe ein – und steht nach dem Mauerfall plötzlich vor neuen Herausforderungen.

MDR SACHSEN-ANHALT-Reporter Lucas Riemer
Bildrechte: Magnus Wiedenmann

Dass die Fassade häufig täuscht, ist eine Binse, die auch und gerade in der DDR galt – im Großen wie im Kleinen. "Nach vorn zur Straßenseite hin", sagt Eva Löber, "sahen die Gebäude der Cranach-Höfe vor der Wende nicht so schlimm aus." Besucher aus Westdeutschland, die durch die Wittenberger Altstadt schlenderten, sollten schließlich einen guten Eindruck aus der DDR mitnehmen.

Doch hinter der Fassade, in den Höfen, in denen im 16. Jahrhundert die berühmten Maler Lucas Cranach der Ältere und der Jüngere lebten und arbeiteten, hausten Ratten, bröckelte der Putz von den Wänden und hatten die Dächer mehr Löcher als Ziegel. Der DDR-Führung waren die historischen Höfe am Rande des Wittenberger Marktplatzes ein Dorn im Auge, 1988 fiel gar der Entschluss, die jahrhundertealten Gebäude abreißen zu lassen.

Engagement in der Friedensbewegung

Eva Löber engagiert sich zu dieser Zeit schon länger für "eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Dingen, die in der DDR nicht gut liefen", wie sie es nennt. Sie ist damals Mitglied einer evangelischen Friedensgruppe, die 1982 vom Wittenberger Pfarrer und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer gegründet worden war. Löber und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter organisieren Kunstausstellungen, rufen zu Friedensgebeten auf, knüpfen Kontakte in den Westen. Im Jahr 1988 formulieren sie ihre Kritik an der DDR in 20 Thesen, die in westdeutschen Medien veröffentlicht werden.

Wir wurden natürlich von der Stasi beäugt, aber das kirchliche Dach und die Kontakte zu Westmedien boten uns einen gewissen Schutz.

Eva Löber

Die studierte Textildesignerin arbeitet zu dieser Zeit im Wittenberger "Kulturhaus Wilhelm Pieck", ihr Mann ist im örtlichen Stickstoffwerk beschäftigt. Als sie aus ihren Jobs gedrängt werden sollen, hilft ihnen eine befreundete Juristin und verhindert die Entlassungen.

Gründung der Bürgerinitiative

Es entspricht ihrem Naturell, dass Eva Löber nicht einfach zusieht, als sie Ende der 1980er Jahre vom geplanten Abriss der Cranach-Höfe erfährt. Sie will das Andenken an die berühmten Renaissance-Maler in der Lutherstadt bewahren und an deren früheren Wirkungsstätten Orte der Kunst und Kommunikation schaffen. Am 7. November 1989 gründet eine Gruppe engagierter Wittenbergerinnen und Wittenberger um Eva Löber eine Bürgerinitiative zum Erhalt der historischen Gebäude, am selben Abend wird in der Wittenberger Schlosskirche ein Aufruf zur Rettung der Cranach-Höfe verlesen. Binnen kürzester Zeit kommen tausende DDR-Mark an Spenden zusammen.

Die Cranach-Höfe Die Cranach-Höfe sind zwei historische Höfe in der Wittenberger Altstadt, gelegen am Markt 4 und in der Schlossstraße 1. Die berühmten Renaissance-Maler Lucas Cranach der Ältere und sein Sohn, Lucas Cranach der Jüngere, hatten rund um diese Höfe im 16. Jahrhundert ihre Wohnräume und Werkstätten.

Zwei Tage später fällt in Berlin die Mauer. Für Eva Löber zunächst ein Schock: "Wir waren im Predigerseminar und hörten im Radio vom Mauerfall. Alle hatten ein ungutes Gefühl im Bauch. Wir fürchteten, dass wir und die Mitbestimmung, die wir uns erkämpft hatten, nun nicht mehr gefragt sein würden." Doch tatsächlich profitieren Löber und die Bürgerinitiative auch von den offenen Grenzen. Noch im November 1989 berichtet eine Journalistin in der "Zeit" über den desolaten Zustand der Cranach-Höfe und sorgt so dafür, dass viele Spenden aus dem Westen in Wittenberg eingehen.

Wilder Westen im Osten

Plötzlich herrschen tief im Osten Verhältnisse wie im wilden Westen. Mittendrin: Eva Löber, die nach der Wiedervereinigung Geschäftsführerin der neu gegründeten Cranach-Stiftung wird und aus den Ruinen Locations macht. "Wir haben davon profitiert, dass es in den ersten Jahren nach dem Mauerfall wenige Regeln gab. Wir konnten einfach machen, haben viel angepackt und Kultur zwischen Baugerüsten veranstaltet", erinnert sie sich.

Nachdem die Stadt Wittenberg die Cranach-Höfe 1990 für fünf Millionen D-Mark von ihren – westdeutschen – Vorbesitzern gekauft hat, geht die Restaurierung der historischen Gemäuer nur langsam voran. "Es hat sich gezeigt, dass es im westdeutschen System sehr langwierig ist, Dinge durchzusetzen. Das sieht man ja aktuell auch beim Thema Klimaschutz", sagt Löber. Erst 1998 ist das erste Haus komplett renoviert, bis zur kompletten Fertigstellung der Höfe dauert es noch weitere elf Jahre.

Ausgezeichnet und ruhelos

Inzwischen haben Künstlerateliers, Ausstellungsflächen, eine Malschule, Büroräume und eine Herberge ihren Platz in den Cranach-Höfen gefunden, die längst eine beliebte Touristenattraktion in der Wittenberger Altstadt geworden sind. "Es ist ein Wunder der Wende, dass das möglich gemacht und ein Stück Kulturgeschichte erhalten wurde", sagt Eva Löber.

Zu DDR-Zeiten wäre solch eine Restaurierung unvorstellbar gewesen, allein schon, weil es an den Baustoffen gefehlt hätte, so Löber. Und doch hätte sie sich gewünscht, dass manches von dem Positiven, das in der DDR da war, in das vereinte Deutschland mitgenommen worden wäre. Sie vermisse seit der Wende das Gefühl, dass die Menschen füreinander Zeit haben, sagt Eva Löber.

Erst vor ein paar Monaten hat sie sich, inzwischen 71 Jahre alt, vom Amt der Geschäftsführerin der Cranach-Stiftung zurückgezogen. Für ihr Engagement wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, in wenigen Tagen erhält sie für ihr Lebenswerk außerdem den Karl-Friedrich-Schinkel-Ring vom Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz. In den Cranach-Höfen ist sie trotzdem fast täglich unterwegs, auch ein Büro in der Stiftung hat sie weiterhin. Für Eva Löber gibt es noch viel zu tun.

Ist die Grenze noch in den Köpfen?

Eva Löber engagierte sich vor der Wende in einer evangelischen Friedensgruppe in Wittenberg und setzte sich für den Erhalt der historischen Cranach-Höfe in der Lutherstadt ein. Nach der Wende wurde sie Geschäftsführerin der Cranach-Stiftung. Das sind ihre Gedanken zur Wiedervereinigung.

Löber: "Viele Menschen aus den alten Bundesländern haben keine Verwandten im Osten und auch sonst keinen Bezug hierher. Das ist in meinen Augen ein Grund für die weiter bestehenden Ost-West-Konflikte. Ich hoffe, dass eine junge Generation nachwächst, die sich in den Unterschieden weiter annähert, bis wir wieder eins sind."

MDR SACHSEN-ANHALT-Reporter Lucas Riemer
Bildrechte: Magnus Wiedenmann

Über den Autor Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über kleine und große Geschichten aus den Regionen des Landes.

MDR/Lucas Riemer

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