Das Goethe-Schiller-Denkmal vor dem Deutschen Nationaltheater DNT auf dem Theaterplatz in Weimar. Blick über die Innenstadt Wittenbergs bei aufgehender Sonne neben der Stadtkirche
In welche Stadt kommt das Deutsch-Israelische Jugendwerk? Unter anderem sind die Namen Weimar und Wittenberg für den Standort im Gespräch. Bildrechte: MDR/Hartmut Bösener, imago images/Jacob Schröter

Ort für Begegnung Weimar, Wittenberg oder München: Suche nach Standort für Deutsch-Israelisches Jugendwerk

02. September 2023, 11:46 Uhr

Das Bundesjugendministerium will ein Deutsch-Israelisches Jugendwerk aufbauen. Dadurch soll die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel in puncto Jugendpolitik auf eine neue Stufe gehoben werden. Mehrere Standorte kommen infrage. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung und die Jüdische Landesgemeinde Thüringen sprechen sich gegen Wittenberg aus und sehen Weimar als Sitz dafür. Nun bringt der bayrische Anitsemitismusbeauftragte auch noch München ins Spiel. Der Stadrat in Wittenberg hat die Ablehnung in einem offenen Brief kritisiert.

Deutschland und Israel planen, ein gemeinsames Jugendwerk in Deutschland aufzubauen – wo genau, ist noch nicht entschieden. Während zunächst die Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt als Standort vorgeschlagen wurde, fordert der Freistaat Thüringen, dass das Deutsch-Israelische Jugendwerk in Weimar entstehen soll.

Deutsch-Israelisches Jugendwerk soll Jugendliche zusammenbringen

Die Bundesjugendministerin Lisa Paus (Grüne) und die damalige israelische Bildungsministerin Yifat Shasha-Biton hatten im vergangenen September vereinbart, ein Deutsch-Israelisches Jugendwerk aufzubauen.

In einer Pressemitteilung des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hieß es, das Jugendwerk solle die jugendpolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel auf eine neue Stufe heben. Es solle die Erinnerung an den Holocaust wach halten, wenn es bald keine Zeitzeugen mehr gebe. Zudem solle das Jugendwerk Zusammenarbeit zu aktuellen Themen wie dem Klimawandel ermöglichen.

Wittenberg und Weimar wollen Standort für Jugendwerk werden

Das Jugendwerk solle auf Grundlage der bestehenden Koordinierungsbüros für den Jugendaustausch in Deutschland und Israel entstehen, hieß es im September. Das deutsche Koordinierungsbüro "Conact" befindet sich seit seiner Gründung im Jahr 2001 in der Lutherstadt Wittenberg. "Conact" fördert nach eigenen Angaben jährlich rund 300 Projekte im Bereich des deutsch-israelischen Jugendaustauschs. Träger ist die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt.

Lutherstadt Wittenberg Stadtansicht
Das Koordinierungszentrum für deutsch-israelischen Jugendaustausch sitzt in der Lutherstadt Wittenberg. Bildrechte: IMAGO / Hartmut Bösener

Der Freistaat Thüringen hat ebenfalls Anspruch auf den Standort erhoben. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte beim Besuch des israelischen Botschafters Ron Prosor im März dafür geworben, dass das Jugendwerk seinen Sitz in Weimar haben soll. Thüringen verfüge über eine 900-jährige Geschichte des Judentums und eine lebendige jüdische Gemeinde, hatte Ramelow erklärt. Zudem gebe es bereits ein gemeinsames Konzept mit dem Jugendherbergswerk.

Historischer Ort für Jugendwerk in Weimar geplant

Laut dem Vorstandsvorsitzenden des Thüringer Jugendherbergswerks, Siegfried Wetzel, soll das Jugendwerk Teil einer geplanten neuen Jugendherberge in Weimar werden. Die Konsumgenossenschaft Weimar wolle das Projekt finanzieren. Der Neubau mit 420 Betten soll demnach auf dem Gelände der ehemaligen Viehauktionshalle entstehen.

Der Ort sei ein Symbol der Judenverfolgung im Nationalsozialismus in Thüringen, erklärte Wetzel. Ab 1942 wurden demnach in der Halle Jüdinnen und Juden zusammengetrieben, um sie über den nahe gelegenen Bahnhof Weimar zu deportieren. Später hatte die Wehrmacht auf dem Gelände ein Depot, in dem auch Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald Zwangsarbeit verrichten mussten. Die Viehauktionshalle brannte 2015 ab. Nun soll dort laut Wetzel ein Gedenkort entstehen.

Die Reste der ausgebrannten Viehauktionshalle Weimar
Von der Viehauktionshalle in Weimar sind nach einem Brand 2015 nur Ruinen übrig geblieben. Bildrechte: picture alliance / Candy Welz/dpa-Zentralbild/dpa | Candy Welz

Thüringens Kulturstaatssekretärin Tina Beer (Linke) hat der Staatskanzlei zufolge auf ihrer Israel-Reise vor wenigen Wochen noch einmal für Weimar geworben. Als früherer Ort schlimmster Verbrechen gegen die Menschlichkeit gerate die Stadt ganz selbstverständlich in den Blick für eine Organisation, die sich aktiv für die Völkerverständigung einsetze.

Jüdische Gemeinde und Antisemitismusbeauftragter gegen Standort Wittenberg

Die Jüdische Landesgemeinde Thüringen unterstützt das Vorhaben in Weimar – auch, weil Wittenberg dem Gemeindevorsitzenden Reinhard Schramm zufolge der falsche Ort für das Jugendwerk wäre. Grund sei der Reformator Martin Luther: Dieser sei ohne Zweifel eine bedeutende Persönlichkeit gewesen. "Aber zugleich war er ein großer Antisemit", sagte Schramm. In Wittenberg sei Luther allgegenwärtig. Schramm sagte, in seiner Ablehnung der Stadt als Sitz des Jugendwerkes sei er sich mit anderen Juden in Deutschland einig.

Eine Stadt, in der mit der 'Judensau' an der Stadtkirche Judenfeindlichkeit so offen ausgestellt wird, kann für jüdische Israelis kein Ort des Willkommens sein.

Felix Klein Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat sich ebenfalls gegen Wittenberg als Standort ausgesprochen. Die Gründung des Jugendwerks begrüße er sehr. Es sei jedoch schwer zu vermitteln, dass gerade Wittenberg ein Ort der deutsch-israelischen Verständigung werden soll. "Eine Stadt, in der mit der 'Judensau' an der Stadtkirche Judenfeindlichkeit so offen ausgestellt wird, kann für jüdische Israelis kein Ort des Willkommens sein", sagte Klein.

Wittenberger Stadtrat kritisiert Klein

Der Stadtrat von Wittenberg kritisierte Kleins Aussage. In einem gemeinsamen Schreiben warfen die Stadtratsfraktionen dem Beauftragten vor, er habe sich in der Debatte um das deutsch-israelische Jugendwerk unsachlich geäußert. Die Stadt habe bereits zahlreiche Anstrengungen unternommen, um die Schmäh-Plastik als Mahnmal in den richtigen Kontext zu stellen.

Zudem sei in Wittenberg im Jahr 2001 unter anderem durch den damaligen israelischen Botschafter Shimon Stein und Bundespräsident Johannes Rau das Koordinierungszentrum "Conact" für den deutsch-israelischen Jugendaustausch eröffnet worden. Das Zentrum in Trägerschaft der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt habe seitdem "eine beeindruckende Expertise im Bereich der Jugendkontakte" aufgebaut.

Schmähplastik "Judensau"

In Wittenberg gibt es seit Jahren Streit um die sogenannte "Judensau"-Plastik an der Fassade der Stadtkirche. Ein jüdischer Mann hatte gefordert, sie zu entfernen. Laut Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe darf die Plastik bleiben – auch wenn sie für sich betrachtet antisemitisch sei. Der Gemeindekirchenrat hat schließlich entschieden, sie nicht zu entfernen, aber mit Info- und Gedenktafeln in Kontext zu setzen.

Evangelische Kirche hält an Wittenberg fest

Die Evangelische Akademie plädiert weiter für den Standort Wittenberg als Sitz des Jugendwerks. Akademiedirektor Christoph Maier sagte am Freitag, eine Standortdebatte in Deutschland sei der Sache nicht zuträglich. Sie käme für die ohnehin schwierige politische Konstellation zur Unzeit. "Es gibt wohl keine Stadt und keinen Ort in Deutschland, der nicht auf die eine oder andere Weise mit Antisemitismus belastet wäre." Besonders für junge Menschen und in der direkten Begegnung sei eine ehrliche Auseinandersetzung damit wichtig.

Auch die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hält weiterhin an Wittenberg fest. Für die Lutherstadt sprechen demnach eine gute Verkehrsanbindung, die zentrale Lage und eine offene Stadtgesellschaft. Die Geschichte der Stadt und ihre Bedeutung für das Leid jüdischer Menschen seien relevant für die Wahl: Mit der Standortentscheidung könnten Zeichen gegen historische oder aktuelle Formen des deutschen Antisemitismus gesetzt werden.

Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt ist ebenfalls dafür, dass das Jugendwerk in Wittenberg entsteht. Regierungssprecher Matthias Schuppe sagte, das Koordinierungsbüro "Conact" arbeite von Wittenberg aus erfolgreich und fachlich hoch anerkannt. Das Büro weiterzuentwickeln, würde es ermöglichen, auf gewachsenen Beziehungen des Jugendaustauschs aufzubauen.

Bayrischer Antisemitismusbeauftragter wirbt für München als Standort

Ludwig Spaenle (CSU), bayrischer Antisemitismusbeauftragter, hat München als Standort für das Jugendwerk ins Spiel gebracht. Er sagte, zwischen Bayern und Israel gebe es seit den früher 2010er-Jahren einen intensiven Austausch in Schulfragen. Außerdem habe die Konferenz der europäischen Rabbiner ihren Hauptsitz von London nach München verlagert.

Allerdings war München auch Schauplatz des Attentates vom 5. September 1972, als palästinensische Terroristen in die Unterkunft des israleischen Teams im Olympischen Dorf eindrangen und dort zwei Männer erschossen und neun Geiseln nahmen, die später ebenfalls ums Leben kamen.

Bundesjugendministerium entscheidet

Wo das Deutsch-Israelische Jugendwerk seinen Sitz bekommt, entscheidet das Bundesjugendministerium als Träger der künftigen Einrichtung. Dem Ministerium zufolge befasst sich derzeit eine bilaterale Arbeitsgruppe damit, wie die jugendpolitische Zusammenarbeit künftig organisiert und weiter ausgestaltet werden soll. Diese Fragen würden zuerst geklärt, teilte eine Sprecherin mit.

epd, dpa, MDR (Maren Wilczek, Leonard Schubert), zuerst veröffentlicht am 03.08.2023

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 02. August 2023 | 13:30 Uhr

7 Kommentare

Ralf G vor 38 Wochen

Ein Deutsch-Israelisches Jugendwerk wäre eine gute Sache.
Israel wird seit Jahrzehnten von vielen muslimischen Staaten in seiner Existenz bedroht. Die Bürger dieses Landes befinden sich in einem permanenten Kriegszustand.
Wie Herr Korenzecher, Herausgeber der Jüdischen Rundschau schrieb, verlassen leider immer mehr jüdische Bürger Deutschland. Seine Begründung: Die Einengung der Freiheit in diesem Land. Und damit meint er nicht nur die Juden.

Bernd_wb vor 38 Wochen

Aus meiner Sicht irrt der Herr Klein sogar , denn der Verbund des Reliefs mit der Gedenktafel und den Stolpersteinen in der Nähe zeigen dass Wittenberg hier aus der Geschichte gelernt hat, die Plastik als in Stein gehauene Beleidigung und die Tafel die klar zeigt was man heute von der Plastik hält. Ist in Regensburg vergleichbar. In Köln gibt es solche Tafel nicht, komisch dass Herrn Klein das nicht zu stören scheint.

DER Beobachter vor 38 Wochen

Mich würde einmal interessieren, welche deutschen Städte auch mit historisch-jüdischer Tradition, aber auch (verschiedener) Shoa-Erfahrung und zugleich durchaus aktiver Gemeindeexistenz sich noch beworben hat? Warum nicht letzten Endes das Werk selbst entscheiden lassen?

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