Mittelalterliche Judensau, ein Schmäh- und Spottbild an der Stadtkirche St. Marien in Wittenberg
Das "Judensau"-Relief an der Stadtkriche in Wittenberg sorgt immer wieder für Diskussionen. Bildrechte: IMAGO / epd

Droht Aberkennung des Welterbe-Titels? Antisemitismusbeauftragter: "Judensau"-Relief in Wittenberg bewusst unterschlagen

16. Mai 2023, 10:28 Uhr

Seit Jahren gibt es Streit um ein judenfeindliches Relief an der Stadtkirche von Wittenberg. Nun werden Vorwürfe laut, die Stadt habe das Relief bei der Bewerbung um den Welterbe-Titel bewusst verschwiegen. Droht nun die Aberkennung des Titels?

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, wirft der Lutherstadt Wittenberg vor, bei der Bewerbung der Stadtkirche um den Welterbe-Status das umstrittene "Judensau"-Relief verschwiegen zu haben. Klein sagte MDR SACHSEN-ANHALT, das Relief sei bei der Begutachtung der Stadtkirche durch die UNESCO-Jury Mitte der 1990er-Jahre offenbar übersehen worden.

Relief bei Antrag verschwiegen?

Die Wittenberger Antragsteller hätten aber gewusst, dass das Relief da sei. "Mir stellt sich die Frage, ob das bewusst verschwiegen wurde", sagte Klein. Er habe die damalige Berichterstattung im Auswärtigen Amt überprüfen lassen. Es sei tatsächlich so, dass die Darstellung der "Judensau" mit keinem Wort erwähnt worden sei. Deshalb habe sich die UNESCO damals auch nicht dazu äußern können.

Oberbürgermeister reagiert gereizt

Die Lutherstadt Wittenberg widerspricht Klein. Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) sagte MDR SACHSEN-ANHALT, er wisse nicht, was Klein anführen könne. Dieser solle "nicht mit seinem Titel und seinem Amt wedeln", sondern Argumente gelten lassen. Zugehör sieht Wittenberg auf der sicheren Seite und will entspannt abwarten, wie es weitergeht. "Als kleine Stadt, die wir nun einmal sind, werden wir jetzt aber auch nicht erschrecken, bloß weil sich jemand von der Bundesregierung meldet. Das berührt mich als Oberbürgermeister der viertgrößten Stadt Sachsen-Anhalts nicht."

Aberkennung schon im Herbst?

Klein hat nach eigenen Angaben mit dem deutschen Botschafter bei der UNESCO über eine mögliche Aberkennung des Welterbe-Status gesprochen. Sollte sich bestätigen, dass es bei der Antragstellung keinen Hinweis auf das Relief gegeben habe, könne dies demnach bei der nächsten Welterbe-Tagung im Herbst in Saudi-Arabien durchaus zur Aberkennung des Titels führen.

Ob dies dann nur die Stadtkirche oder alle Welterbe-Stätten in Wittenberg betreffe, sei noch unklar. Hier gingen die Meinungen auseinander. Ihm selbst gehe es nur um die Stadtkirche. Neben der Stadtkirche gehören seit 1996 auch die Schlosskirche, das Melanchthonhaus und das Lutherhaus zum UNESCO-Welterbe.

Klein hatte wiederholt gefordert, das umstrittene Relief von der Stadtkirche zu entfernen. Ende April hatte er dann die Aberkennung des Welterbe-Status für die Stadtkirche gefordert.

Schmäh-Relief nicht nur in Wittenberg

Das mittelalterliche, in Stein gehauene Schmäh-Relief "Judensau" ist an der Südfassade der Kirche angebracht. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen Menschen saugen, die durch ihre Kleidung als Juden erkennbar sind. Ein als Rabbi dargestellter Mann schaut dem Tier in den After. Schweine gelten im jüdischen Glauben als unrein. Über das Relief, seine historische Einordnung und den Umgang mit ihm wird seit Jahrzehnten diskutiert. Auch an anderen Kirchen, darunter der Regensburger Dom, wurden im Mittelalter solche Schmäh-Plastiken angebracht.

Dort werden inzwischen, wie auch in Wittenberg, die Zusammenhänge und antisemitischen Hintergründe auf Informationstafeln erläutert und eingeordnet. Für Klein reicht das zumindest in Wittenberg als Distanzierung mit Verweis auf die Bedeutung der Kirche als Mutterkirche der Reformation nicht aus. Eine Beleidigung bleibe eine Beleidigung, ob man sie nun erkläre oder nicht.

Welterbe-Titel und Aberkennung: Weltweit gibt es mehr als 1.000 Welterbestätten, 46 davon liegen in Deutschland. Dazu gehören zum Beispiel der Aachener Dom, die Würzburger Residenz oder das Wattenmeer. Der Welterbetitel verpflichtet dazu, die Stätten für künftige Generationen zu erhalten.

Die UNESCO hatte dem Dresdner Elbtal 2009 nach fünf Jahren den Welterbe-Status aberkannt, nachdem die Stadt mit der Waldschlößchenbrücke eine vierspurige Elbquerung mitten durch das Tal gebaut und damit nach Ansicht der UNESCO die erhaltenswerte Kulturlandschaft zerstört hatte. Zu diesem äußersten Mittel, der Aberkennung des Welterbestatus, hat das Welterbekomitee bisher erst dreimal gegriffen. Neben dem Dresdner Elbtal wurde auch dem Wildschutzgebiet der arabischen Oryx und der historischen Hafenstadt von Liverpool der Titel aberkannt.

Vor der Aberkennung des Titels wird die Stätte auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt.

MDR (André Damm, Moritz Arand) | Erstmals veröffentlicht am 12.05.2023

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 12. Mai 2023 | 06:30 Uhr

36 Kommentare

Britta.Weber vor 48 Wochen

Ich stimme den Foristen zu, das Schmäh-Relief ist als Zeitdokument zu sehen und die schlimmen Judenverfolgungen werden nicht ungeschehen, wenn man das Relief entfernt. Das Relif ist als Mahnung an uns zu sehen.
Wo war und ist denn die Mahnung von Herrn Klein bei den öffentlich skandierten abscheulichen judenfeindlichen Auswüchsen bei den Palästinenserdemos in Berlin? Bei der letzten Demo gab es gute Bilder über die Akteue- welche Strafverfahren gibt es, wurden Personen ausgewiesen?

Bernd_wb vor 48 Wochen

Frage trifft es dann nur Wittenberg oder auch den Kölner und/oder Regensburger Dom. Falls nein warum nicht? Für mich ist die Judensau ein Mahnmal und das in zweifacher Hinsicht, erstens es erinnert wie Juden in Deutschland über Jahrhunderte lebten, gut beschrieben auf der Gedenktafel am Fuße der Stadtkirche (ob Herr Klein diese kennt???) und zweitens and die heute gelebte Intoleranz von Politikern wir Herrn Klein sofern es die Stadtkirche Wittenberg anders behandelt wie den Kölner Dom.
Ganz nebenbei ich bin unzählige Male an der Kirche vorbeigelaufen und erst als ab 2017 Leute verlangen die Judensau zu entfernen habe ich mal nach der gesucht.

Horst Hessel vor 48 Wochen

Das Relief bleibt da wo es ist und basta, es war schon immer da, ist da und wird es bleiben. Komisch das es ausgerechnet bei der Besichtigung niemanden aufgefallen sein soll obwohl man sich erst nach der Wende überhaupt daran so aufgeilt. Diese Art moderner Bilderstürmerei nervt langsam nur noch und kommt hier im Osten erst recht nicht gut an dieses Belehrende, schon garnicht wenn es von jemandem aus den alten Bundesländern ist. Dieser Herr Klein sollte sich lieber über den importierten Antisemitismus Gedanken machen statt sich um solche Nebensächlichkeiten die nun wirklich niemanden stören.

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