Kellner beim Bierzapfen
Die Gastronomie in Sachsen-Anhalt hat mit mehreren Problemen zu kämpfen. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / blickwinkel

Fehlende Gäste und Personal Gastronomie in der Dauerkrise

07. September 2023, 08:12 Uhr

Fehlende Mitarbeiter, weniger Gäste und die Rückkehr zur Mehrwertsteuer von 19 Prozent – die Gastronomie in Sachsen-Anhalt hat mit mehreren Problemen zu kämpfen. Auch Lieferdienste und der Trend zu Fertigprodukten erschweren den Betrieb. Wie es künftig in der Branche weitergehen könnte.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Wer im ehemaligen Arbeiterviertel Magdeburg-Buckau unterwegs ist, der muss schon genauer hinsehen, um die ehemaligen Kneipen zu entdecken. Als in den Fabriken des Schwermaschinenbaus noch Stahl gegossen und geschmiedet wurde, floss auch das Bier aus den Zapfhähnen nach Feierabend – und der war im Schichtbetrieb teils auch frühmorgens. Doch die Arbeiter in Buckau wurden immer weniger und so schlossen auch die Kneipen. Getrunken wird seitdem zu Hause, vor dem Fernseher.

Haus mit Schild "Gasthof zum Meilenstein"
Ein geschlossener Gasthof Bildrechte: MDR/Ulrich Wittstock

"Es gab politische Entscheidungen, die nicht hilfreich waren"

Michael Pirl kennt so einen Gästerückgang nur aus Erzählungen. Mit seinem Bruder führt Pirl das Ringhotel zum Stein in Wörlitz in der vierten Generation. In der Region ist das Haus ein gastronomisches Schwergewicht, denn die Küche versorgt auch das Gartenreich Wörlitz mit kulinarischen Angeboten. Bis zu 500 Portionen werden hier pro Tag ausgereicht, zum Beispiel bei den beliebten Gondelfahrten im Park.

Mitten im Weltkulturerbe gelegen, merkt Pirl derzeit nur einem leichten Rückgang der Gäste. Ein paar Kilometer weiter sehe das schon anders aus: "Es gab politische Entscheidungen, die nicht hilfreich waren. Es wurden Dorfgemeinschaftshäuser gefördert und der Gastronom am Ort hat zugemacht beziehungsweise hatte keinen Nachfolger mehr", erzählt er.

Keine flächendeckende Gastronomie mehr

Die Corona-Krise und daran anschließend der Ukraine-Krieg und die Inflation haben die Situation zusätzlich verschärft. Michael Pirl, der auch im Vorstand von Sachsen-Anhalts Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA aktiv ist, befürchtet, dass es in Zukunft noch schwieriger sein dürfte, für Familienfeiern oder Jubiläen die passende Gastwirtschaft zu finden. Von einer flächendeckenden Gastronomie könne schon jetzt in einigen Regionen nicht mehr die Rede sein.

Auch deshalb kritisiert der Hotelier die Pläne der Bundesregierung, die Mehrwertsteuer in der Gastronomie wieder auf 19 Prozent anzuheben: "Es kann nicht sein, dass eine Pizza im Supermarkt, die industriell hergestellt ist, die ungesund ist, mit sieben Prozent besteuert wird und ein handgemachtes Produkt, was in einer Gastronomie mit regionalen Produkten gemacht wird, mit 19 Prozent."

Eine der Merkwürdigkeiten im deutschen Steuerrecht ist jedoch, dass Getränke und Speisen im Außerhausverkauf mit sieben Prozent Mehrwertsteuersatz berechnet werden. Michael Pirl lehnt es aber ab, deshalb "Rouladen-To-Go" zu verkaufen. Sollten die Pläne der Bundesregierung greifen, dann würden sich ab Januar seine Gerichte im Durchschnitt um zwei Euro verteuern.

Regionalität als Chance

Das bestätigt auch Josephine Clemens. Sie betreibt in Magdeburg das Restaurant Hoflieferant als Quereinsteigerin, ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin, aber mit familiärer Verbindung in die Gastro-Branche. Sie wusste also, worauf sie sich einließ. Das Team vom Hoflieferanten ist relativ gut durch die Corona-Krise gekommen. Neben den staatlichen Hilfen liegt das aber auch an dem gastronomischen Konzept.

Denn hier kommt nur auf den Tisch, was in der Region heimisch ist: "Die kurzen Lieferwege, die wir haben, waren ein absoluter Vorteil in dieser Zeit der Krisen und Lieferschwierigkeiten. Es ist günstig, wenn der Lieferant vor der Tür sitzt. Da hat man ein paar Probleme weniger", erklärt Josephine Clemens.

Allerdings geht das einher mit einem klaren Verzicht auf der Speisekarte. Saisonware aus der Region heißt eben auch, dass es keine Meeresfrüchte gibt, keine Erdbeeren im Herbst und keinen Spargel im Advent. "Wir werden versorgt von kleinen Lieferanten, die wir hier in der Region haben. Die haben wir über die Jahre zusammengesucht, aus allen Bereichen: Fisch, Fleisch, Gemüse, Obst. Und wir kennen die natürlich persönlich. Wir fahren immer mal hin, schauen uns vor Ort um. Das ist uns wichtig."

Die Region verdient mit

Ein Konzept, das man auch im Ringhotel zum Stein in Wörlitz verfolgt. Küchenchef ist dort Bert Freier. Er verbringt seinen Arbeitstag nicht nur in der Küche, sondern auch bei den Lieferanten vor Ort: "Wir haben mehrere Fischer, die uns beliefern. Dann gibt es eine Käserei in Vockerode, die uns versorgt. Der Schafskäse kommt aus Pratau aus dem Ökohof." Freier rät: "Diese Dinge sollte man versuchen, mit einfließen zu lassen in seinem Konzept für die Küche." Man kenne die Leute, vieles laufe übers Telefon.

Ein Mann mit Koch-Uniform steht in einem Raum
Bert Freier, Küchenchef im Ringhotel zum Stein, setzt auf Regionalität. Bildrechte: MDR/Ulrich Wittstock

Damit wiederum bleibt ein Teil des Geldes, welches die Touristen im Weltkulturerbe ausgeben, in der Region. Nicht selten seien die Gäste überrascht, dass Sachsen-Anhalt eben auch ein Weinland ist oder kleine Brauereien hat, die überregional kaum bekannt sind.

Lieferdienst statt Restaurant

Doch Hotelchef Michael Pirl weiß auch, dass in Sichtweite des Weltkulturerbes einiges möglich ist, was anderswo im Land nicht funktionieren würde. "Corona hat einige Entwicklungen in der Gesellschaft beschleunigt. Nehmen Sie die Mittelstädte, die haben ja kaum noch Ladengeschäfte in den Innenstädten." Was dann Folgen auch für die Gastronomie hat: Nach dem Einkaufsbummel noch irgendwo einkehren entfällt, wenn der Einkaufsbummel im Internet stattfindet.

Stattdessen wird etwa der Pizzalieferdienst angerufen. Die Nahrungsmittelindustrie hat diesen Trend längst entdeckt und setzt auf "Convenience", übersetzt: Bequemlichkeit. "Convenience Food" sind vorbereitete Lebensmittel, welche die Küchenarbeit erleichtern oder ersetzen. In so mancher Gaststätte wird inzwischen mehr aufgewärmt als gekocht. Angesichts des Fachkräftemangels verwundert dies nicht.

Gastronomie muss zum Event werden

Für Küchenchef Bert Freier vom Ringhotel zum Stein ist das aber keine Alternative. Für ihn ist klar, dass die Gastronomie zunehmend zu einem Event wird, also ein Erlebnis anbieten, das Lieferdienste eben nicht leisten können. So kann man im Wörlitzer Park Gondelfahrten buchen, bei denen für jeden Gast eine Warmhaltebox mit Essen geliefert wird.

Ein Ende der klassischen Gastronomie befürchtet Freier nicht, auch wenn die Bedingungen schwieriger werden: "Die gute Gastronomie wird bleiben, denn der Mensch will sich etwas gönnen. Er wird sich vielleicht nicht mehr so viel gönnen, aber er möchte den Spaß trotzdem noch haben."

Die gute Gastronomie wird bleiben, denn der Mensch will sich etwas gönnen.

Bert Freier Küchenchef Ringhotel zum Stein

Josephine Clemens vom Magdeburger Hoflieferanten sieht das ähnlich. Doch sie blickt auch kritisch auf einige Entwicklungen: "Wichtig ist, dass man ein Genusserlebnis hat und nicht nur einfach essen geht, um satt zu werden." Doch was passiere, wenn weniger Leute in der Gastro arbeiten wollen? "Es gibt schon Roboter, die das Essen an den Tisch bringen. Das finde ich nicht besonders schön." Eine Alternative sei, verstärkt auf Selbstbedienung zu setzen, was wiederum auch bei den Gästen nicht unbedingt Begeisterung auslösen dürfte.

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MDR (Ulrich Wittstock, Annekathrin Queck)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 06. September 2023 | 07:10 Uhr

22 Kommentare

ElBuffo vor 34 Wochen

Wenn der nur Personal für die Hälfte der Tische hatte, kann das schon so sein. Und natürlich wird es auch in der Branche erfolgreiche Unternehmer geben und solche, die nicht am Markt bestehen.

zenkimaus vor 34 Wochen

Selbst bin ich Raucher und froh das es in Räumen verboten ist. Es gibt bei mir eine Raucherkneipe, allerdings stinkt es darin erbärmlich. Und in der DDR gab es 0,0 Promille Grenze. Wenn sie erwischt wurden,war der Lappen ganz schnell weg. Heute ist es auch nicht anders.

zenkimaus vor 34 Wochen

Erlebnis letzten Samstag in Dresden. 19.20 Uhr in einem Restaurant angekommen und gefragt ob sie 4 freie Plätze hätten ( Lokal war nur zur Hälfte besetzt) Antwort, nein ab 20 Uhr alles reserviert. Über Google nach einem anderen geschaut. Angerufen und Viola 4 Plätze erhalten obwohl sehr gut gefüllt.
Auf dem Rückweg am anderen Lokal vorbei geschaut und was soll ich sagen der Biergarten war leer und sonst noch 2 Tische besetzt. So geht also Krise.

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