Folgen des Terroranschlags Besitzer des Kiez-Döner Halle: "Fühlen uns im Stich gelassen"
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27. April 2020, 18:25 Uhr
Bei dem rechtsextremistischen Anschlag von Halle am 9. Oktober starben zwei Menschen, zwei wurden schwer verletzt, etliche traumatisiert. Die Bundesanwaltschaft hat Anklage gegen den mutmaßlichen Attentäter erhoben, in wenigen Wochen beginnt der Prozess. Ismet Tekin ist womöglich einer der Nebenkläger. Er war Angestellter in dem Döner-Imbiss, in dem ein junger Mann erschossen wurde. Auch auf ihn wurde geschossen. Wie es ihm heute geht und was er von dem Prozess erwartet.
In wenigen Wochen beginnt der Prozess um den rechtsextremistischen Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019. Einer der Nebenkläger ist womöglich Ismet Tekin. Er war Angestellter in dem Döner-Imbiss, in dem ein junger Mann erschossen wurde. Mittlerweile sind er und sein Bruder die Besitzer der Kiez-Döners, der nach drei Wochen Corona-Pause nun wieder geöffnet hat – zumindest für den Straßenverkauf. Doch die Kundschaft fehlt.
Zwar spielt auch die Corona-Krise dabei eine Rolle, doch auch schon vorher sei es schwierig gewesen. Neue Kunden gebe es selten, sagt Ismet Tekin MDR SACHSEN-ANHALT. Von den früheren Kunden kämen etwa noch 25 Prozent, schätzt er. Denn der Imbiss auf der Ludwig-Wucherer-Straße ist und bleibt ein Tatort. Ein Mensch ist hier gestorben.
Große Auswirkungen – psychisch und finanziell
Tekin selbst war an jenem 9. Oktober noch nicht im Laden. Er lief die Straße entlang auf dem Weg zur Arbeit, als der Attentäter auch auf ihn schoss. Seitdem verbindet er mit der Saalestadt, in der er seit zwölf Jahren lebt und die eine zweite Heimat geworden ist, nun auch immer seinen schlimmsten Albtraum. Über den Tag selbst möchte er nicht viel sprechen. Das Trauma sitzt tief, seitdem fehlten ihm Kraft und Mut, so Tekin. "Ich fühle mich, als wäre in mir nichts. Ich habe eigentlich auf nichts Lust."
Und weil der Laden nicht gut läuft, kommen nun große finanzielle Sorgen hinzu. Er sei enttäuscht, dass die Kundschaft nicht mehr komme: "Die Menschen haben uns Mut gegeben, weiterzumachen. Wir sind hier, aber keiner ist da. Wir fühlen uns im Stich gelassen." Als ihm und seinem Bruder 40 Tage nach dem Anschlag der Imbiss übergeben wurde, war der Laden voll. Das gab den beiden Zuversicht. Auch der Ministerpräsident Reiner Haseloff sagte damals Hilfe zu. Seitdem hätten er und sein Bruder aber nichts mehr gehört.
Lücke im staatlichen Hilfesystem
Das Problem: Für wirtschaftliche Folgen solcher Taten gibt es keine rechtliche Handhabe, habe man ihnen gesagt. Antje Arndt von der mobilen Opferberatung Sachsen-Anhalt spricht von einer Lücke im staatlichen Hilfesystem. Sie sagte MDR SACHSEN-ANHALT: "Das Opferentschädigungsgesetz greift nur bei wirtschaftlichen Folgen, die aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen bestehen, beispielweise wenn jemand arbeitsunfähig wird oder einen behindertengerechten Arbeitsplatz benötigt."
Auch die sogenannten Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten würden nur psychischen oder körperlichen Verletzungen gelten, so Arndt. Zwar könnten berufliche Einschränkungen bei der Höhe der einmaligen Entschädigungen berücksichtigt werden, der Erfahrung nach habe das praktisch aber kaum Relevanz. Betroffene wie Ismet Tekin blieben mit den Einnahmeverlusten alleine oder seien auf Spenden angewiesen, was meist bei Weitem nicht reiche.
Demnächst steht nun noch der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter von Halle bevor. Auch das wird für Ismet Tekin eine weitere Belastung werden. Er sei gespannt, was dabei herauskomme. Es werde sich zeigen, was ein Menschenleben wert sei. Bis dahin hofft er weiter, dass doch wieder mehr Kunden in den Imbiss kommen.
Quelle: MDR/cw
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 25. April 2020 | 19:00 Uhr